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Kultur: "Coppélia": Das Kabinett des Doktor Larifari

Der Magen ist zur Vorweihnachtszeit ein sensibel Ding. Das hatte auch die Deutsche Oper einst erkannt und servierte im vergangenen Jahr eine kraftvolle "Romeo und Julia"-Brühe, von Youri Vamos liebevoll abgeschmeckt - eine Seltenheit in der Berliner Tanzküche, in der zu viele Aushilfsköche den Brei verderben.

Der Magen ist zur Vorweihnachtszeit ein sensibel Ding. Das hatte auch die Deutsche Oper einst erkannt und servierte im vergangenen Jahr eine kraftvolle "Romeo und Julia"-Brühe, von Youri Vamos liebevoll abgeschmeckt - eine Seltenheit in der Berliner Tanzküche, in der zu viele Aushilfsköche den Brei verderben.

Dass das Haus in diesem Jahr mit "Coppélia" wieder zum tänzerischen Naschwerk zurückkehrt, rechtfertigt es unter Berufung auf Götz Friedrich damit, den Opernbesucher von morgen ansprechen zu wollen. Der ist am Premierenabend durchschnittlich 65 Jahre alt und fragt sich, warum ihm auf der Bühne alles so bekannt vorkommt. Richtig - die Vorgänger-Inszenierung von 1973 sah dem ganz ähnlich, was Ronald Hynd nun neu choreographiert oder, besser gesagt, für Berlin aufgewärmt hat. Seit fünfzehn Jahren läuft seine "Coppélia" in London, in einer Fassung, die dem kruden Libretto zur Musik von Léo Delibes nur wenig Sinnvolles hinzuzufügen weiß. Noch immer ist der Verweis auf E.T.A. Hoffmanns traumatische "Sandmann"-Erzählung nicht mehr als ein wohlfeiler Vorwand, Ballerinen als ruckende Maschinenwesen agieren zu lassen.

Puppenbauer Doktor Coppelius (Tomas Karlborg), der von künstlichen Geschöpfen träumt, sieht aus wie ein ausrangierter Mime aus Wagners Ring, nicht aber wie ein Verbündeter dunkler Mächte, die gegen die finale Hochzeit von Swanilda und Franz ihr Haupt erheben. Eine Welt jenseits des Eiscafé-Venezia-Ambientes der Dekorationen von Roberta Guidi di Bagno existiert nicht. Anstelle von Bühnenmagie kocht Hynd kräftig Maggi-Fix für Folklore-Ballett auf. Es wurde trotz des engagierten Ballett-Corps eine zähe Mahlzeit, zumal Dirigent Peter Ernst Lassen die Tempi unerklärlich verschleppte. Einzig Christine Camillo fiel als Swanilda mit herbem Barbarina-Charme wohltuend aus dem staubigen Rahmen. "Tanzen ist Poesie mit Füßen", steht über dem Tanzsaal der Deutschen Oper geschrieben. Im Fall von Hynds "Coppélia" muss man diesen Ausspruch leider durch Wörtchen "getreten" komplettieren.

So war es André Schmitz, der in der Rolle des kommissarischen Intendanten der Deutschen Oper das Debüt des Abends gab. Ebenso charmant wie unerbittlich holte er nach der Premiere seine Mitarbeiter ins Scheinwerferlicht und versprach dem Ballett besonderen Schutz. "Auch wir können das Museum sehr gut pflegen", holte Schmitz zum Seitenhieb gegen die Staatsoper aus und erteilte jeder Spezialisierung seiner Compagnie eine klare Absage. Der viel geschändete Begriff "Berlin-Ballett" kam nicht über seine Lippen. Stattdessen befürwortete der Herr über das "Trauerhaus" eine größere Eigenständigkeit des Balletts, die einen selbstverwalteten Etat einschließen soll. Das hatte Götz Friedrich stets zu verhindern gewusst, doch davon schwieg Schmitz am Abend nach der Beerdigung des Patriarchen taktvoll.

Nächste Aufführungen am 23./26. und 29. Dezember sowie am 2. Januar 2001.

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