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Tanzender Dandy. Szene aus „Coup Fatal“ von Alain Platel.

©  Chris Van Der Burght

"Coup Fatal" bei den Berliner Festspielen: Kinshasa, wie es singt und lacht

Einfaltsreichtum: Alain Platel arrangiert einen kongolesischen „Coup Fatal“ im Haus der Berliner Festspiele.

„Bongo, bongo, bongo, ich will niemals fort vom Kongo, denn dort bin ich froh“, sangen im Trümmer-Berlin der Nachkriegsjahre die Drei Travellers. „Bingel, bangel, bungel. Ach ich fühl’ mich wohl im Dschungel und sonst nirgendwo.“ Damals wollte man es einfach nicht besser wissen. Dass im Kongo millionenfach die grausamsten Kolonialverbrechen begangen wurden und das zivile Leben in der Region seitdem immer wieder Massakern zu erliegen droht. Wenn ein international bestens vernetzter, überaus sensibler Theatermann wie Alain Platel eine Produktion mit Musikern aus Kinshasa für das europäische Festivalkarussell kuratiert, darf man das aber erwarten: Reflexion, Widerständigkeit auch.

„Coup Fatal“ heißt der Konzertabend, der jetzt auf Stippvisite bei den Berliner Festspielen vorbeischaut. Er ist dem Traum von Serge Kakudji entsprungen, einem jungen kongolesischen Countertenor. Er wollte das Kernrepertoire für seine Stimme, den Barock, mit der Musik seiner Heimat konfrontieren. Also erklingt Monteverdis Toccata, die den „Orfeo“ einleitet, auf dem Daumenklavier Likembe und der schnarrenden E-Gitarre von Musikchef Rodriguez Vangama. Bald schon wummert die Percussionsgruppe dazu. Monteverdis selbstbewusste Auftrittsmusik als moderner Künstler wurde schon bald von seinen adeligen Auftraggebern geraubt und als klingendes Statussymbol missbraucht. Nach Ehrenrunden im Jazz wirbelt sein Klangrudiment nun durch den Kongo. Leise klirren die aus goldenen Patronenhülsen gefertigten Vorhänge dazu. Doch die erkennt man nur, wenn man von ihnen weiß.

Mit weit aufgerissenen Augen und einem gewaltigen Grinsen beginnen die Backgroundsänger ihre schweißtreibende Arbeit. Soll hier an Minstrel Shows und die von ihnen propagierten Schwarzen-Klischees erinnert werden? Oder ist das alles ein reichlich infantiler Spaß, der noch weniger vom Kongo wissen will als die Drei Travallers? Man kann nur mutmaßen, doch dafür hat man Zeit, weil die musikalische Adaption alsbald ihren Einfaltsreichtum offenbart. Händel und Gluck können da auch nicht viel ändern, obwohl sie in einen ungewohnt hyperaktiven Körperzusammenhang gestellt werden. Das führt zu Kuriositäten: Welcher Opernsänger riskiert es schon, von seinem eigenen hüpfenden Hintern an die Wand gespielt zu werden? Serge Kakudji hat davor keine Angst.

Seine Backgroundsänger haben derweil zwei Damen aus dem Publikum im Sturm erobert und sind über die Stühle im Parkett geklettert, Nina Simones „To Be Young, Gifted and Black“ auf den Lippen. Dabei mischt sich plötzlich Bitternis in den Ausdruck, etwas, das Teil einer Inszenierung hätte sein können. So bleibt nur, sich den Auftritt von Simone 1969 beim Harlem Cultural Festival im Netz anzusehen. Und zu verstehen, wie schwer Enttäuschung wiegt in einer Welt, die Schwarze noch immer benachteiligt – und wie viel Kraft Stolz kostet.

Choreograf Platel aber lässt die teilweise atemberaubende Schnellkraft der Körper im Raum verpuffen. Irgendwann kleiden sich alle auf der Bühne wie die Sapeurs, die Dandys von Kinshasa. Das bedeutete einmal mehr als buntes Anzuggewitter. Es war Ausdruck einer Haltung, die brutale koloniale Unterdrückung und mörderisches Stammeswüten ablehnten. Verjuxt. Gegen „Coup Fatal“ sind André Hellers „Begnadete Körper“ wahre Aufklärungsarbeit.

Noch einmal heute, Dienstag, 20 Uhr. Informationen: www.berlinerfestspiele.de

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