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Crosby, Stills & Nash

© DAVIDS/Sven Darmer

Crosby, Stills & Nash in Berlin: Die Hippies sind da

Sie singen von einer besseren Welt und das schon seit fast 50 Jahren. Jetzt sangen Crosby, Stills & Nash im Tempodrom in Berlin.

Inzwischen ist „Hippie“ wieder ein Schimpfwort. Einer konservativen Kanzlerin, die Grenzen öffnet, wird attestiert, „Hippiepolitik“ zu betreiben. Jedenfalls von einigen Engländern. Der Vorwurf lautet: Hippies sind wie Kinder, sie lassen sich nur von ihren Gefühlen leiten.

Das ist Unfug. Die Hippies sind längst im Großelternalter angekommen, und sie haben die Welt in den letzten 50 Jahren wie kaum eine Generation vor ihnen verändert. Der Vernunft folgend. Zu hämmernden Klavierakkorden singt Graham Nash am Mittwochabend „We can change the world“, und das ausverkaufte Tempodrom singt mit: „Re-arrange the world.“ „Chicago“ heißt der fröhlich vorwärtsschaukelnde Song, er erinnert an Proteste und Polizeigewalt beim Parteitag der Demokraten von 1968. Der Refrain endet optimistisch: „It’s dying ... to get better.“ Die alte Welt muss sterben, und die neue Welt wird eine bessere sein.

Das Konzert von Crosby, Stills & Nash ist ein Hochamt des Hippietums. Und eine Leistungsschau. Denn David Crosby, Stephen Stills und Graham Nash, die seit 47 Jahren gemeinsam musizieren, gehören nicht bloß zu den besten Songwritern, die der Folkrock hervorgebracht hat. Sie sind auch begnadete Musiker. Crosby und Nash vereinen ihre Stimmen immer wieder zu betörenden, allenfalls von den Beach Boys übertroffenen Harmoniegesängen. Und wenn Stills bei Klassikern wie „Questions“, „Teach Your Children“ oder „Love The One You’re With“ leichthändig ein stotterndes, sägendes, schepperndes Solo spielt, muss das als Gruß an den abwesenden Freund Neil Young und als Beweis dafür verstanden werden, dass er noch immer in die Supergroup der Spitzengitarristen gehört. Anschließend schreitet er pfauenhaft über die Bühne, im Applaus badend.

Barfuß auf der Bühne

„No more war!“, skandiert Graham Nash am Ende von „Military Madness“. Das Lied, das aus seinem epochalen ersten Soloalbum „Songs for Beginners“ stammt, handelt vom Wahnsinn, 1942 im englischen Blackpool in den Zweiten Weltkrieg hineingeboren worden zu sein. Die Hollies zu verlassen, erst nach Kalifornien, dann nach Hawaii zu ziehen, so weit in den Westen wie möglich, war auch eine Flucht vor dieser Erinnerung.

Nash, der spillerige Hauptconférencier der Show, bewegt sich barfuß. Jenseits der Rampe, unter den nach vorne geschobenen Mikrofonständern für die drei Stars liegen drei bereits leicht ausgetretene Orientteppiche. Als wäre der Konzertsaal ein Probekeller. Nur der Geruch von Räucherstäbchen fehlt, dafür funzeln einige Kerzen im Hintergrund, dort, wo auch die exzellente fünfköpfige Begleitband platziert ist.

Bevor er die märchenhaft entrückte Liebesballade „Guinnevere“ anstimmt, sagt David Crosby: „Wir spielen das Stück jedes Mal anders. Nicht weil wir Jazz-Typen wären, sondern weil ich mich nie erinnern kann, wie wir es zuletzt gespielt haben.“ Er hat wegen Drogendelikten im Gefängnis gesessen und eine neue Leber bekommen. Lange Zeit war er dem Tod näher als dem Leben. Aber er lebt. Crosbys schulterlanger grauer Haarschopf, genauer gesagt: dessen Rest, der eine Halbglatze umschließt, stieg zum Symbol der amerikanischen Gegenkultur auf.

Die trotzige Hymne „Almost Cut My Hair“, von grummelnden Gitarren begleitet und in einem heiseren Aufschrei endend, wird zum Höhepunkt des Abends. Er hat sich die Haare schneiden lassen, singt Crosby. Fast. Weil er erkältet war und aus Angst vor der eigenen Paranoia. Fast. Die Haare blieben dran. „I feel like letting my freak flag fly.“ Die Frisur als Freakflagge. Hippies sind die besseren Hipster.

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