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Mit Fanbindung. Der Erotikfilm „Hotel Desire“ mit Clemens Schick und Saralisa Volm entstand als erste deutsche Produktion komplett mit Hilfe von Crowdfunding.

© Teamworx

Crowdfunding: Die Masse macht’s

Förderung war gestern: Der Trend geht zum Crowdfunding, dem Spendensammeln. Internetnutzer finanzieren so Filme und Musik, die es ihrer Meinung nach verdient hat. Ein unkonventionelles Modell – mit Erfolgsaussichten.

Die Gitarre war als Erste weg. Eine alte Yamaha, mit der Jann Klose früher auf Tour war. 500 Dollar hat ein Fan dafür bezahlt. Für 40 Dollar wurde der gebürtige Hamburger ein handgeschriebenes Rezept für Bratkartoffeln mit Speck los – in seiner neuen Heimat New York kein Problem. Für 300 Dollar können Fans mit Klose und seinem Bassisten im Central Park joggen gehen. Das wollte bisher allerdings niemand. Oder man kauft für 20 Dollar eine CD, die noch gar nicht erschienen ist. Und von der auch nicht sicher ist, ob sie je erscheint. 5540 Dollar hat der New Yorker Singer-Songwriter Klose auf diese Weise bereits von 117 Spendern zusammenbekommen. Bei 10 000 Dollar beginnt er mit der Produktion seines neuen Albums.

Crowdfunding nennt sich diese moderne Form des Spendensammelns im Internet. Eine beliebig große Masse (englisch: crowd) gibt Geld für ein konkretes Projekt – ob Film, CD oder Kunstausstellung. Dafür bekommen die Spender Aufmerksamkeiten wie persönliche Widmungen, Premierenkarten, Privatkonzerte oder eine Option auf das Endprodukt.

Gib ein wenig Geld für etwas, das du magst, und sei dabei, wenn es entsteht: Der Fan wird zum Mäzen. Mithilfe des Internets entwickelt sich Crowdfunding vor allem für Nachwuchsprojekte zu einer interessanten Alternative zum klassischen Kapitalgeber. Als Pioniere gelten die Mitglieder der britischen Rockband Marillion. Als sie 1997 eine Nordamerika-Tour aus finanziellen Gründen für unwahrscheinlich erklärten, taten sich Fans spontan zusammen und spendeten 61 000 Dollar. Auch die folgenden drei Alben ließ sich Marillion von den Fans vorfinanzieren – sie wollten nicht mehr von einem Plattenlabel abhängig sein.

Lesen Sie auf Seite zwei, wo sich Crowdfunding in Deutschland bereits bewährt hat

Auch Jann Klose hat schlechte Erfahrungen mit Plattenfirmen. Soweit es geht, schließt er nur noch kurzfristige Lizenzverträge ab. „Die Verträge sind anders als früher“, sagt der 36-Jährige. „Es bleibt immer weniger für die Musiker. Und ich will selbst entscheiden können, was ich mache.“ Schon seine zweite CD „Reverie“ hat Klose teilweise über Fans vorfinanziert. Heute traut er sich mehr, weil sich Crowdfunding in den USA etabliert hat. In Amerika kamen auf diese Weise schon gut 80 Millionen Dollar zusammen. Weltweit gibt es mehr als 100 Websites.

In Deutschland ist Crowdfunding bislang wenig bekannt. Aber prominente Beispiele rücken es auch hier mehr und mehr ins Bewusstsein der Künstler. Die Bar 25 ist so ein Beispiel. 26 991 Euro sammelten Fans für einen Dokumentarfilm über die inzwischen geschlossene, legendäre Berliner Bar. Regisseurin Nana Yuriko hatte sieben Jahre lang den fröhlichen Exzess an der Holzmarktstraße 25 mit der Kamera begleitet. Mit dem Geld der 271 Spender kann sie dieses Material nun professionell schneiden und den Film voraussichtlich im Frühjahr 2012 ins Kino bringen.

Nana Yuriko sammelte über die Plattform Inkubato, einem von elf solchen Portalen im deutschsprachigen Raum. Die Berliner Regisseurin Claudia Rorarius entschied sich für Startnext. „Inhaltlich nehmen die sich alle nichts“, sagt sie. „Ich habe mir überlegt, auf welcher Plattform ich spenden würde.“ Irgendwie feminin fand sie Startnext, sie fühlte sich wohl.

Ein Endzeit-Hörspiel, eine Fotoausstellung, eine moderne „Momo“-Inszenierung oder ein Klassikfestival – derzeit hat man auf der Seite die Wahl zwischen 69 Projekten. Ein grüner Balken zeigt an, wie viel Prozent der angestrebten Finanzierung erreicht sind. Nach dem Alles-oder Nichts-Prinzip erhalten die Spender ihren Anteil zurück, wenn nicht genügend Geld zusammenkommt. Die meisten Plattformen nehmen bei Erfolg eine Gebühr von sieben bis zehn Prozent der Zielsumme.

Der Balken von Claudia Rorarius zeigte im Mai 102 Prozent an. 8155 Euro hat sie in zweieinhalb Monaten gesammelt, um ihren Debütfilm „Chi l’ha Visto – Wo bist Du“ in die Kinos zu bringen. Für den Dreh hatte Rorarius eine Förderung der Film- und Medienstiftung Nordrhein-Westfalen bekommen. „Chi l’ha Visto“ lief auf Festivals, darunter 2009 im Wettbewerb von Turin, dennoch bekam Rorarius keine Verleihförderung. Der Film sei nicht kommerziell genug, hieß es. Internationale Kollegen rieten ihr, es mit Crowdfunding zu versuchen. 2010 knüpfte die 39-Jährige auf dem Filmmarkt in Cannes Kontakte mit Kinos und Verleihern. „Ich hatte das Gefühl, dass der Film auf großes Interesse stößt“, erzählt sie. „Als sich verschiedene Kinos gemeldet haben, die den Film zeigen wollten, war es selbstverständlich, dass wir es versuchen.“ Seit August läuft ihr Film in den Kinos.

Durchschnittlich spendet ein Einzelner 89 Euro. Das hat das Berliner Institut für Kommunikation in sozialen Medien (Ikosom) in der kürzlich vorgelegten ersten Crowdfunding-Studie ermittelt. Im Schnitt kommen 1416 Euro pro Projekt zusammen. Knapp jedes zweite (49,3 Prozent) der zwischen dem 1. Mai 2010 und dem 31. August 2011 auf den acht untersuchten Plattformen angemeldeten 321 Projekte erlangte die angestrebte Summe. Insgesamt wurden 454 643 Euro eingeworben, mehr als die Hälfte davon im vergangenen halben Jahr. „Sowohl die Anzahl der Projekte als auch das Finanzierungsvolumen steigen massiv an“, sagt Ikosom-Gründer Karsten Wenzlaff.

Lesen Sie weiter über den ersten komplett über Crowdfunding finanzierten Film.

Ein weiteres aktuelles Beispiel zeigt, was alles möglich ist. Gerade wurde erstmals ein deutscher Film komplett über Crowdfunding finanziert. Auf einer eigenen Homepage konnte die Produktionsfirma Teamworx 170 000 Euro für den Erotikfilm „Hotel Desire“ mit Clemens Schick und Saralisa Volm auftreiben, noch vor Ablauf der 80-Tage-Frist. Das Team um Regisseur Sergej Moya hat bereits mit den Dreharbeiten begonnen. Weil es sich um einen expliziten Sexfilm handelt, der nur 45 Minuten dauert, gingen die Produzenten nicht davon aus, Fördermittel zu bekommen.

Tausende Privatpersonen spendeten kleine Beträge – einen Credit im Abspann gab es schon für 250 Euro –, es waren aber auch größere Investoren dabei. „Der Unterschied ist, dass die Macher von ,Hotel Desire‘ mit Teamworx eine große Firma im Hintergrund haben und entsprechend Werbung machen können“, sagt Claudia Rorarius. „Das kann eine kleinere Produktion nicht leisten.“ Doch auch sie glaubt, dass mit der Bekanntheit des Crowdfundings die möglichen Summen steigen. „Es gibt bereits Modelle, bei denen die Spender am Erfolg beteiligt werden“, sagt Karsten Wenzlaff.

Man muss das wollen. Denn, das sagen alle, die Erfolg hatten, Crowdfunding ist extrem zeitaufwendig. Ohne Engagement und Durchhaltevermögen geht gar nichts. „Man muss bereit sein, etwas zu investieren“, sagt Hagen Lindner von Startnext. Ein Projekt auf einer der Plattformen zu platzieren, dauert nicht länger als einen Tag. Doch dann geht die Arbeit erst los: Facebook, Twitter, Blogs, Pressearbeit. Je mehr die Projekte mit ihren Finanzierern kommunizieren, desto eher haben sie Erfolg, bestätigt Wenzlaff. Viel hängt von der Selbstdarstellung ab. Crowdfunding ist nichts für Introvertierte.

Der Berliner Filmkomponist Hans Hafner hatte das unterschätzt. Obwohl er auf der Plattform MySherpas.de 1500 Euro für die Musik zu Alexander Pfanders Film „Abschiedstournee“ gesammelt hat, warnt er vor allzu großer Euphorie. „Für mich war es zu früh“, sagt er. Eine große Spende am Schluss sicherte zwar die Finanzierung, aber Hafner rät: „Man muss die Community vorher aufbauen und sie dann kapitalisieren. Wenn der Zug erst mal rollt, ist er nicht mehr aufzuhalten.“

In erster Linie wollen sich die Künstler von der öffentlichen Förderung unabhängig machen. Die Kulturausgaben von Bund und Ländern lagen 2010 zwar bei 9,6 Milliarden Euro, doch viele innovative Projekte passen nicht in die Förderformate. Die Wege sind lang, erfordern unzählige Anträge und ein gutes Konzept. Drei Monate hatte Claudia Rorarius an ihrem gebastelt, letztlich verlorene Zeit. Sie lehnt die klassischen Förderwege nicht ab, findet es aber „schade, dass wenige Projekte viel Geld bekommen und Sachen, die eher kulturell wertvoll sind, auf der Strecke bleiben“. Und immer besteht die Gefahr, dass Projekte gefördert werden, die hinterher kein Publikum finden.

Bei Jann Klose und Claudia Rorarius waren es vor allem Freunde und Fans, die kleinere Beträge gaben. Die Bindung, die so entsteht, darf man nicht unterschätzen, so Klose. Crowdfunding sei mehr als reines Geldeintreiben. „Die direkte Beziehung zu den Fans ist wichtig, die Leute haben das Gefühl, mitgemacht zu haben.“ Das ist eine charmante Art des Marketings: Wer investiert, wird seinen Freunden davon erzählen und sie mit ins Kino nehmen oder ihnen die CD schenken. Die kaufe im Download-Zeitalter ja ohnehin kaum jemand mehr, sagt Jann Klose. „Aber wenn die Leute dir vorher das Geld geben, dann sehen sie, was es kostet, ein gutes Album zu produzieren.“

Für einen Sexfilm mit Starbesetzung sammelt es sich einfacher als für eine anspruchsvolle Doku. Auch mit einem bekannten Namen wie Bar 25 kommt schneller Geld zusammen. Doch mit einer guten Idee und ein wenig Fantasie schaffen es auch kleinere Projekte. „Wichtig ist, dass die Leute authentisch sind“, sagt Hagen Lindner von Startnext.

Es werden immer mehr. Startnext hat einen Besucherzuwachs von monatlich 45 Prozent. Und, auch das ein Ergebnis der Ikosom-Studie, Crowdfunder sind Wiederholungstäter: 96 Prozent der befragten Künstler wollen wieder ein Projekt auf diese Weise realisieren. Das gilt auch für Claudia Rorarius. Dann vielleicht den gesamten Film.

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