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Hitzige Farben. "Summer Madness" von 1990 ist ein Sinnbild für die südliche Schwüle, das Sirren der Insekten und die schweren Blüten im Sommer (Ausschnitt).

© bpk, Bayerische Staatsgemäldesammlungen

Cy Twombly im Centre Pompidou in Paris: Sonne, Mond und Meer

Das Werk des US-Malers ist ein Kosmos, der den Betrachter sofort in sich aufsaugt, sobald er mit der Entzifferung der skripturalen Kürzel beginnt.

Nach Wien kam Cy Twombly noch einmal angereist. 2009 war das, zur Eröffnung seiner Schau „Sensations oft the Moment“ im Museum Moderner Kunst. Ein älterer Herr im hellen Anzug, der sich während der Performance zu seinen Ehren im Publikum versteckt und später erzählt, er könne nun, mit achtzig Jahren, nicht länger auf Leitern herumklettern. Vorbei sei es mit den monumentalen Leinwänden. Zwei Jahre vor seinem Tod im Jahre 2011 widmete Twombly sich stattdessen der Skizze und der Fotografie – dem Kleinformatigen. Ein Verschwinden auf Raten, der Ausklang eines Lebenswerks. Eigentlich hat Twombly nie etwas anderes getan, als sich zu fragen, wie wenig es braucht, um etwas gerade so sichtbar zu halten.

Wer sich davon überzeugen möchte, hat in der Ausstellung des Centre Pompidou Gelegenheit. Wieder einmal, möchte man sagen, denn große Retrospektiven zum Werk des gebürtigen US-Amerikaners, den es in den fünfziger Jahren nach Italien zog, gibt es verlässlich alle paar Jahre. Das Wiener Haus bot mit 200 Werken sogar noch mehr auf als in Paris nun Kurator Jonas Storsve, der knapp 140 Bilder und Skulpturen chronologisch ordnet. Nach Wien folgten Sichtungen im Münchner Museum Brandhorst und in der Fondation Beyeler, die im Herbst 2015 das Frühwerk in Basel zeigte. Ein gutes Jahr später stellt man sich immerhin die Frage, welche Aspekte das Centre Pompidou einem Œuvre abgewinnen kann, das derart präsent ist. Doch der Einwurf verpufft im selben Moment, in dem man die Ausstellung unter dem Dach des Centre Pompidou betritt.

In Italien fand der Künstler ein Leben jenseits des American way of life

Twomblys Werk ist ein Kosmos, der jeden in sich aufsaugt. Sonne, Mond und Meer: Der Maler hat alles noch einmal für sich erschaffen und lebt darin fort. Sobald man die Kürzel seiner Bilder entziffert – oder es wenigstens versucht –, werden sie lebendig wie die Handschrift eines Autografen. „Cy Twombly lesen“ heißt nicht ohne Grund einer der vielen Kataloge über seine Arbeit. Worte wie „Venus“ oder „Adonis“ treffen auf Zahlenkolonnen und abstrakte Notate. Manche davon sind mit Farben direkt aus der Hand gemalt, für andere hat Twombly Bleistifte verwendet.

Zusammen ergeben sie eine Zeichensprache, die so gern wie ermüdend als „Gekritzel“ beschrieben wird. Dabei handelt es sich eigentlich um Chiffren. Es sind Twomblys Konzentrate jener Sitzungen, während derer er laut Augenzeugen über Stunden tatenlos vor der Leinwand saß, um seine Gedanken in eine Form zu bringen. Dass dieser Prozess keinesfalls eruptiv, aber auch nicht allein geistiger Höhenflug war, bezeugen die frühen Leinwände im ersten Saal: Man sieht Brüste, Steckdosen, Penisse und Hinterteile.

Immer wieder verweisen Twomblys Exegeten in diesem Zusammenhang auf Italien, wo sich Geschichte seit der römischen Antike überlagert – bis hin zu den blätternden Fassaden und ihren Graffiti zu Twomblys Zeit. Kann sein, dass diese collagenhaften Momente den Künstler schon beeindruckt haben, als er sich 1952 mit seinem Freund und Kollegen Robert Rauschenberg nach Europa und Nordafrika aufmachte, um eine Idee vom Leben jenseits des American way of life zu bekommen. Doch das Schichten von Farbspuren und Gedankenblitzen etwa zur griechischen Mythologie ist auch der Kern seiner Arbeitsweise: Jedes Thema wird umkreist. Das Bild am Schluss ist ein Ergebnis assoziativer Ketten. Twombly gibt den Blick frei auf den Entstehungsprozess, seine Bilder bleiben offen wie die Leinwand selbst, die häufig nicht einmal grundiert ist, sondern schmutziggrau wirkt und ihre Struktur zeigt.

Der erste Raum der Schau soll als Herzkammer dienen, in der sich alles konzentriert, was später im Werk des Künstlers wichtig wird. Hier hängen Bilder wie „Sans Titre (Lexington)“ von 1951, in denen Twombly die Gesten des abstrakten Expressionismus ausprobiert. Es gibt Pinselschwünge und Endlosspiralen, die dem Duktus der wichtigen amerikanischen Maler ähneln. Gleichzeitig machen seine Motive klar, wie wenig ihn mit den großen, maskulinen Gesten eines Jackson Pollock verbindet. Twombly lässt sich nicht mitreißen – eher wirkt er wie ein dandyhafter Ästhet aus dem späten 19. Jahrhundert, der das Gesehene aus der Distanz goutiert. Sein Furor ist kalkuliert und dennoch Ausdruck einer großen Sensibilität.

Immer tiefer tauchte Twombly in die Vergangenheit ein

Dazu passen Twomblys Lebensumstände. 1957, als der Maler ein zweites Mal nach Italien reist, lernt er seine künftige Frau kennen. Eine Malerin mit aristokratischen Wurzeln und einer repräsentativen Wohnung, in der sich Antiquitäten den Platz mit einem Gemälde von Pablo Picasso teilen. Gleichzeitig lernt er die wichtigen kulturellen Protagonisten Roms kennen.

Je mehr sich Twombly mit der europäischen Vergangenheit beschäftigt, desto tiefer taucht er ein. Im Centre Pompidou entfalten Säle und Kabinette immer neue Themen. Hier hängt mit „Night Watch“ von 1966 ein Motiv auf schwarzem Grund, das Rembrandts berühmtestes Gemälde auf einen Kubus reduziert. Dort erscheint in „School of Athens“ Raffaels Renaissance-Meisterwerk scheinbar respektlos auf ein paar pastose Farbflecken reduziert. Schaut man genauer hin, entpuppen sich die gelben, blauen und roten Wolken ebenso wie die Graffitilinien als markante Elemente. Es sind exakt jene Marken, anhand derer sich das Motiv in Twomblys Malerei wiederfinden lässt. Ähnliches geschieht in „50 Days at Iliam“ aus den späten siebziger Jahren – ein „Gemälde in zehn Teilen“ nach Homers „Ilias“.

Das Centre Pompidou hat sich den Zyklus aus dem Kunstmuseum Philadelphia geliehen. Ein kleiner Coup, der bislang nicht einmal dem New Yorker Museum of Modern Art gelang. Achill, der Held der Griechen, steht im Zentrum der freien malerischen Interpretation über Krieg und Tod, Twomblys Farben erzählen von Staub und Blut.

Zuletzt, nach einem Raum mit seinen abstrakten Skulpturen, gelangt man zu den späten Rosenbildern nach Gedichten von Rainer Maria Rilke oder Ingeborg Bachmann. Wie Twomblys späte Fotos von überreifen Früchten beschwören sie das süße Leben – und verweisen doch darauf, dass sie im Vergehen begriffen sind.

Centre Pompidou, Paris, bis 24. 4.; Katalog (Sieveking Verlag) folgt.

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