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Kultur: Da muss ich durch

Thomas Vinterberg über den plötzlichen Erfolg, herbe Enttäuschungen – und die dänische Ironie

Herr Vinterberg, wenn man sich Ihre letzten Filme ansieht, stechen einem in erster Linie die stilistischen Unterschiede ins Auge. Was ist der Grund dafür?

„Das Fest“ lag mir sehr nahe. Doch nach dem extremen Erfolg mit diesem Film wollte ich neue Gebiete erforschen. Deshalb ging ich mit „It’s All About Love“ exakt in die entgegengesetzte Richtung. „Dear Wendy“ ist ein erster Schritt zurück. Und mein nächster Film wird dann wieder ein dänischer Film, der dem ähnelt, was ich in „Das Fest“ gemacht habe.

Hatten Sie bei diesen stilistischen Wechseln auch das Bedürfnis, das Publikum zu überraschen?

Das ist insofern richtig, als ich einen Drang verspürte, mich nicht zu wiederholen. Aber es hat auch damit zu tun, dass ich nicht wusste, wo ich als Filmemacher hingehöre. „Das Fest“ schlug in meinem Leben ein wie eine Handgranate. Plötzlich war alles möglich. Ich bekam Briefe von großen Schauspielern, die mit mir arbeiten wollten. All das hat mich sehr verwirrt. Ich war mir aber noch nicht im Klaren, welche Art Künstler ich sein wollte. Deshalb wollte ich weiter ausprobieren.

Man darf „Dear Wendy“ also als Ausdruck Ihres Ringens um künstlerische Identität verstehen?

Zunächst einmal war „Dear Wendy“ mit dem Wunsch verbunden, wieder mit Lars von Trier zusammenzuarbeiten. Wir hatten viel Spaß, als wir „Dogma“ erschufen. Ich wurde süchtig nach diesen gemeinsamen Ergründungen. Zweitens war es eine große Erleichterung, mit einem Drehbuch zu arbeiten, das ich nicht selbst geschrieben hatte.

Warum?

„It’s All About Love“ war ein Kampf. Es ist eine sehr zerbrechliche, persönliche Geschichte, die nicht den normalen Rezepten des Filmemachens folgt und das Publikum von Punkt A nach B begleitet. Der Film verschreckte neun von zehn Leuten. Danach hatte ich eine harte Zeit. Ich musste erst mal durchatmen und einfach nur als Regisseur arbeiten.

Inwiefern war es eine „harte Zeit“?

Bis zu diesem Punkt in meinem Leben war ich sehr verwöhnt. Egal wo ich hinschaute, die Leute breiteten ihre Arme aus. Und mit einem Mal gingen die Arme runter. Ich wusste vorher, dass dies bei einem so ungewöhnlichen Skript im Bereich des Möglichen lag. Trotzdem war ich emotional darauf nicht vorbereitet.

In dieser Situation bot Ihnen Lars von Trier das Drehbuch an. Wie kam es dazu?

Er hatte es ursprünglich für sich selbst geschrieben. Doch dann entwickelte er eine Obsession für schwarze Böden und Kreidestriche – und „Dear Wendy“ passte da nicht rein. Darüber hinaus weiß Lars genau, dass wir sehr verschiedene Regisseure sind. Er beschäftigt sich mit den großen politischen Themen, ich kümmere mich dagegen normalerweise um das alltägliche Leben. Lars ist mathematisch präzise; was die Form seiner Filme angeht, ist er die Avantgarde – zumindest – Europas. Das Skript glich daher einem Schachbrett, das Lars aufgestellt hatte. Und so kam er zu mir und sagte: „Kannst Du mir helfen und da Leben hineinbringen?“

Im Drehbuch kann man unschwer, wie in vielen anderen Filmen Lars von Triers, eine kritische Auseinandersetzung mit Amerika erkennen.

Richtig, es steckt eine politische Allegorie darin – und außerdem enthält es die typischen, provokativen Lars-vonTrier-Themen. Gleichzeitig findet man aber auch eine Geschichte über das Jungsein und die Enttäuschungen des Lebens. Deshalb habe ich das Alter der Protagonisten sofort um zehn bis fünfzehn Jahre verjüngt und bin eingetaucht in die emotionale Geschichte.

Was haben Sie sonst verändert?

Es gab ein paar Dinge, die ich übertrieben fand. Zum Beispiel die durchaus interessante Satire über die amerikanische Waffenkultur: Die nahm ich zurück. Möglicherweise habe ich nicht die gleiche Ironie wie Lars.

Was heißt das konkret: „zurücknehmen“?

Die Art, wie wir Dänen uns gegenseitig auf den Arm nehmen, kann unhöflich wirken, obwohl es sehr liebevoll gemeint ist. Dass der Film für die Amerikaner eine Beleidigung sein könnte, machte mir Sorgen. Ich bin viel gereist in den USA – und wenn ich diese Art von dänischer Ironie gebrauchte, wurde sie nicht immer verstanden. Lars macht das ständig. Das ist seine Art der Kommunikation. Ich verstand mich daher als Vermittler. Deshalb musste ich Änderungen vornehmen, andernfalls hätte es die völlige Ablehnung zur Folge gehabt – was immer noch der Fall sein kann. Vielleicht habe ich nicht genug zurückgenommen.

Ein Grund war wohl auch die Tatsache, dass Lars von Trier noch nie in den Vereinigten Staaten war?

Ich räume ständig hinter ihm auf. Das ist ermüdend. Aber der Grund für die Änderungen war nicht, dass ich Arroganz gegenüber Amerika verstecken, sondern unsere tiefe Faszination für dieses Land stärker herausheben wollte. Mit Ausnahme von Bergman und Fellini sind alle meine Kinohelden Amerikaner: Sean Penn, Clint Eastwood, Martin Scorsese, Francis Ford Coppola und jetzt auch Sofia Coppola, die mit „Lost in Translation“ den wichtigsten Film der letzten sieben, acht Jahre gemacht hat. Aber ich habe den Film mit Lars zusammen konzipiert – deshalb muss ich da durch.

Das Gespräch führte Julian Hanich.

Thomas Vinterberg , 1969 in Kopenhagen geboren, begründete 1995 mit Lars von Trier das „Dogma“-

Manifest. Seine Filme bisher: „Das Fest“ (1998) und „It’s All About Love“ (2002).

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