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Kultur: Dabeisein ist gar nichts

Stars und Loser: Schauspieler Joost Renders hat einen Film über den Berlinale-Traum gedreht

Sieht so aus, als hätte Wanda es doch geschafft. Eigentlich war die Provinzschauspielerin nur zur Berlinale gereist, um Catherine Deneuve zu sehen, nun soll sie selbst zum Star werden. Der Regisseur ist sehr zufrieden mit den Probeaufnahmen und stellt ihr das Team vor. Das besteht allerdings aus denselben kaputten Figuren, die Wanda schon den ganzen Tag über begegnet sind: der halbdebile Drehbuchautor, die hysterische Kommilitonin von der Schauspielschule – der Bodensatz der Berlinale, die Scheiternden, die draußen bleiben. Auch Wanda erwacht aus ihrem Traum und ist wieder die Provinzschauspielerin, die sich auf der Toilette verkrochen hat.

Traum und reale Handlung verschwimmen in dem Independent-Film „VIP- Lounge“, der derzeit in der Brotfabrik läuft. Er wurde auf der Berlinale gedreht und zeigt die Filmfestspiele aus Sicht der Zaungäste. Wanda möchte einmal dabei sein, wenn die großen Stars auflaufen, vielleicht auch nebenbei den Blick eines Regisseurs auf sich ziehen. Doch schnell verliert sie sich zwischen der durchlässig-undurchlässigen Potsdamer-Platz-Architektur, die Glaswände und die Brunnenbecken spiegeln nur ihr Gesicht.

„Man denkt bei der Berlinale an rauschende Partys“, sagt Regisseur Joost Renders. „Eigentlich ist das dort aber ein großes zielloses Treibenlassen.“ Der gebürtige Holländer, in Fernsehkrimis gerne als holländischer Taxifahrer besetzt, stand selbst auf vielen Provinzbühnen und kennt die Träumereien von Schauspielern in der zweiten Reihe aus eigener Anschauung. „Man sollte nicht glauben, wie viele von denen heimlich in Gala-Heftchen blättern.“

In Jeans und Fleecepulli sitzt der Mittvierziger in der Blechbar, „dem einzigen Laden, der hier noch so ist wie früher“. Gemeint mit „hier“ ist der Simon-Dach- Kiez. Renders gibt nicht viel auf Glamour, und er zögert, bis er schmunzelnd berichtet, wie seine Bühnenkarriere begann. „Wir waren 15 Jahre alt und wollten eine Band, konnten aber beide kein Instrument spielen, also sangen wir. Nach fünf Wochen trennten sich unsere Wege, er ist dann ziemlich berühmt geworden.“ Die Rede ist von Tote-Hosen-Sänger Campino, der wie Renders zu den jüngsten in der Düsseldorfer Punkszene gehörte, wo damals alles ziemlich schnell ging. „Wir gingen einfach raus, ohne Geld, und gründeten Bands und Zeitschriften, es war eine wahnsinnig kreative Zeit.“

Vor sechs Jahren, als Jürgen Teipel seinen Doku-Roman „Verschwende deine Jugend“ über die deutsche Punkbewegung veröffentlichte, kamen bei Renders Erinnerungen hoch. „Das hat mir einen Push gegeben“, erzählt Renders. „Ich wollte wieder so arbeiten wie damals.“ Auf der Berlinale 2002 kam ihm dann die Idee zu „VIP-Lounge“. Er telefonierte Schauspielerfreunde zusammen, und begann, mit einer Digitalkamera draufloszudrehen. Ein Kurzfilm war geplant, doch es reihte sich Einfall an Einfall, immer neue Bekannte tauchten auf und wurden spontan in die Handlung integriert. Die Dreharbeiten waren bestimmt durch die ständige Ausschau nach Stars, die gefilmt werden konnten, und Wachpersonal, das nach einer Drehgenehmigung hätte fragen können.

Das Ergebnis ist eine einstündige Stoffsammlung, die nicht verbergen kann, dass viele Aufnahmen erst im Schnitt mit Sinn versehen werden sollten. Zu oft gleitet die Kamera unentschieden über die kühlen Häuser- und Menschenfassaden, und die Akkordeonmusik will in ihrer Gemütlichkeit nicht ganz zu Wandas Beklemmungen passen. Kritik am Filmgeschäft oder Satire auf die Möchtegernsternchen? Der Film entscheidet sich nicht. Doch gerade in seiner Unvollkommenheit bewahrt er das, worum es geht: den Außenblick auf die Glamourwelt. Nur kurz ist Catherine Deneuves Haarpracht von hinten zu sehen, das Bild grobkörnig und verwackelt. Die Amateur-Kamera kommt an den Star nicht heran.

Die Menschen hinter „VIP-Lounge“ haben noch keinen roten Teppich betreten, außer vielleicht Katja Bienert, die in den achtziger Jahren mit den Sex-Horror-Filmen von Jess Franco bekannt wurde. Fast alle standen gemeinsam auf mittelgroßen Bühnen und sind verbunden durch unzählige „Kisten“, wie Renders Anekdoten nennt. Der Film ist denn auch voll von selbstironischen Anspielungen. So wird der Intendant des inzwischen geschlossenen Berliner Off-Theaters „Fürst Oblomov“ als „sehr wichtig“ vorgestellt.

Renders spricht mit Ekel von Schauspielern, die während der Berlinale ihre Setcards an die Wände des Hyatt-Hotels pinnen, in der traurigen Hoffnung, entdeckt zu werden. Und hat dennoch Verständnis. Er ist oft genug mit seinen Drehbüchern abgeblitzt. Mit „VIP-Lounge“ entdeckte er den alten Punkethos für sich erneut und half sich nun selbst. Er nannte sich nach einer Zeile der Ramones „Hey ho, let’s go! Film“ und drehte mit einem Großteil der Darsteller gleich den nächsten Film: „Herzlutschen“, ein Kiez-Film über einen Sonntag in Friedrichshain, an dem Hippietum und Punk in einer kleinen Lovestory Versöhnung feiern. Mit seinen schrulligen, aber liebenswerten Figuren fand „Herzlutschen“ die Aufmerksamkeit der Stadtmagazine und läuft seit zwei Jahren immer wieder in kleineren Kinos. Nun denkt Renders den nächsten Film an.

„Ich will nicht nach Sibirien“, sagt Wanda müde, als die karrieregeile Schauspielschul-Kommilitonin mal wieder einen neuen Regisseur aufgetan hat, dem sie nach Nordrussland folgen soll. Ironie des Schicksals, dass der Film dann selbst in Sibirien lief – auf einem Independent-Festival in Kansk. Renders erfuhr davon im Nachhinein. Auch auf einem Filmfest in Reykjavik konnte Renders nicht zu Gast sein, gerade wurde seine Tochter geboren. Immerhin in Berlin war er dabei, beim „Tromanale“-Festival im Tacheles, wo Nadine Buchet den Preis als beste Hauptdarstellerin erhielt.

Am Ende bekommt auch Wanda, die nie genau weiß, wie ernst sie es mit ihren Träumen meint, ihre Chance. „VIP-Lounge“ läuft nach fünf Jahren zum ersten Mal in einem Kino. Ein unverhofftes kleines Stück vom Ruhm.

„VIP-Lounge“, heute/morgen 19 Uhr 30, Brotfabrik Kino. „Herzlutschen“ läuft ab 21. Februar in den Tilsiter Lichtspielen.

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