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Kultur: Dahinter steckt ein guter Fotograf

Alfred Seiland fotografierte einst die sprichwörtlich gewordene „FAZ“-Werbekampagne. Die Galerie Kicken Berlin zeigt jetzt die andere Seite des Österreichers

Die „FAZ“-Werbekampagne „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“, besetzt mit hinter der Zeitung verborgenen Prominenten, gehört wohl zu den erfolgreichsten der Branche. Ein echter Hingucker, brillant arrangiert, perfekt fotografiert. Kein Wunder also, dass sich die Fotogalerie Kicken wiederum für den Kopf hinter der Kamera interessierte. Dabei lernten die Galeristen Alfred Seiland kennen, der seinerseits in der Werbefotografie längst Prominentenstatus besitzt und heute für Unternehmen wie BMW, Daimler Chrysler oder große Rückversicherungen unter Vertrag steht. Was die wenigsten jedoch wissen: Wann immer die Aufträge rund um den Globus dem Österreicher Zeit ließen, hat er frei fotografiert und dabei ein bemerkenswertes Oeuvre geschaffen. Ein Fall für eine Fotogalerie also. Und ähnlich wie bei dem aus Deutschland stammenden Londoner Modefotografen und Kate-Moss-Vertrauten Juergen Teller, der vor wenigen Monaten mit privaten Motiven in der Berliner Galerie Contemporary Fine Arts seinen ersten Galerie-Auftritt erlebte, soll nun auch Alfred Seiland als freier Künstler für den Markt entdeckt werden.

Lakonische Leere

Eine Entdeckung sind die Fotografien von Seilands österreichischer Heimat, von der Stadt Prag, der amerikanischen Ost- und Westküste sowie der deutschen Wendezeit allemal. Seine Bilder haben bereits auf dem Berliner Art Forum ihre ersten Käufer gefunden. In der Galerie Kicken gibt es nun über die Kunstmesse hinaus Gelegenheit, die Arbeiten von Alfred Seiland kennen zu lernen. Sie verblüffen auf den ersten Blick, denn sie scheinen so ganz der amerikanischen Foto-Tradition entsprungen mit ihrer lakonischen Leere, der Zelebrierung einer perfekten Komposition und ihren fantastischen Farben. Stets sind es Totalen, die einen Moment des Innehaltens, der Stille zeigen. Vielleicht traut man ihnen deshalb nicht recht über den Weg, hält sie für inszeniert und möchte gegen das Holz klopfen, die Steine fühlen und die Kühlerhauben heben, wie es ein Kritiker einmal geschrieben hat.

Doch Seiland hat die Dinge genau so vorgefunden. Er musste nur warten. „Ich muss immer den richtigen Zeitpunkt finden“, erklärt er seine Arbeitsmethode. Bei der aufwändigen Arbeit mit der Großbildkamera, die er seit 1979 ausschließlich benutzt, bleibt ihm kaum etwas anderes übrig. Zeit ist auch das Geheimnis des weiteren Produktionsprozesses: Der Fotograf vergrößert seine Aufnahmen ausschließlich selbst – was Stunden dauern kann, bis sie seiner Vorstellung von Wirklichkeitstreue und angestrebtem persönlichem Ausdruck entsprechen. Einem Laboranten sei das nicht zuzumuten, so Seiland. Das Resultat sind brillante Bilder von größter Unbedingtheit, die nicht nur über das Gesehene berichten, sondern auch Geschichten erzählen. „Eiersalat“ steht zum Beispiel im Schaufenster eines Lebensmittel-Ladens groß geschrieben, darunter akkurat aufgeführt: „4 Eier in Scheiben, 50 g Mayonnaise, 1 Zwiebel in Würfeln, 1 kleiner Apfel in Würfeln, Salz, Pfeffer, Senf“. Dahinter türmen sich Pyramiden leerer Eierkartons. Eine Ost-Berliner Momentaufnahme des Jahres 1990, genau am Übergang von der Mangelwirtschaft zur Konsumgesellschaft, in liebevoller Ironie festgehalten (3800 Euro).

Spiel der Linien

Diese Haltung zeichnet alle Bilder Alfred Seilands aus. So zeigt er Situationen, die immer ein wenig enthüllen: die Tristesse eines Ski-Ortes, die Banalität eines Küstenstädtchens in Maine oder die Langeweile eines verlassenen Spielplatzes. Und doch erhebt sich der Fotograf nie über das Präsentierte. Zu sehr delektiert er sich an den farblichen Valeurs der gezeigten Situation, dem Spiel der Linien etwa durch Hochspannungsmasten und den eingefangenen Botschaften, die er durch Plakate, Ladenschilder, Werbetafeln stets mit ins Bild rückt.

Seilands Bilder lassen sich dadurch auch als subtile Verschränkung verschiedener Ebenen lesen, der räumlichen und zeitlichen. Die Plattenkamera ermöglicht es ihm, bis in den tiefsten Hintergrund gestochen scharf zu fotografieren und dadurch scheinbar allem eine gleichberechtigte Bedeutung zu geben – den schneebedeckten Baumspitzen in der Ferne ebenso wie den an einer Wäscheleine aufgehängten Blümchen-Bettbezügen im Vordergrund (11 800 Euro). Gemeinsam bilden diese Ebenen ein Porträt des Steiermärkischen Ortes Proleb, seiner Geordnetheit, ja Biederkeit und gleichzeitiger Naturschönheit.

Ein Jahrzehnt später, Anfang der Neunziger, kommt Seiland wieder in seine Heimat, fotografiert diesmal einen Traktor auf regennasser Straße, an dessen hinterem Ende ein totes Schwein aufgehängt ist (3800 Euro). Eine groteske Situation, zumindest für den Blick des Städters, von der man kaum vermuten würde, dass sie gar nicht so lange her ist. In ihrer Stille gewinnen diese Bilder eine Zeitlosigkeit. Die dargestellten Häuser, Autos, Örtlichkeiten lassen kaum Rückschlüsse auf das Entstehungsjahr zu. Dabei haben sich die dargestellten Gegenstände schon im Moment nach dem Drücken des Auslösers wieder verändert. Mit seinen Fotografien hat ihnen Alfred Seiland klassische Kontinuität verliehen.

Kicken Berlin, Linienstraße 155, verlängert bis 13. Dezember; Dienstag bis Freitag 11 – 18 Uhr, Sonnabend 14 – 18 Uhr.

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