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Kultur: Damals am See

Als ich erfahre, daß Jürgen Fuchs tot ist, wird mir bewußt, wie selten wir uns in den letzten Jahren gesehen haben.Das war nicht immer so.

Als ich erfahre, daß Jürgen Fuchs tot ist, wird mir bewußt, wie selten wir uns in den letzten Jahren gesehen haben.Das war nicht immer so.Im Spätsommer 1975 habe ich den Verschlossenen, kurz zuvor in Jena von der Universität Verwiesenen kennengelernt, bei einem meiner häufigen Besuche bei Robert Havemann in Grünheide bei Erkner, vor den Toren Berlins.Jürgen und Lilo Fuchs bewohnten damals den zum See gelegenen Schuppen auf Havemanns Grundstück - wie zwei Vertriebene, die endlich wieder ersten Boden unter den Füßen spüren.

Am 6.November 1976 trafen wir uns dort zum letzten Mal, am Vorabend der Konzertreise Wolf Biermanns in den Westen.Es war ein warmer Herbsttag.Wir saßen draußen in der Sonne.Wolf sang und spielte auf der Gitarre.Die Stasi schien es nicht zu geben.Wenige Tage später war die scheinbare Idylle zu Ende.Am 16.November meldete ADN, daß Wolf Biermann ausgebürgert sei.

Drei Tage später wird Jürgen Fuchs, zusammen mit Gerulf Pannach und Christian Kunert, verhaftet.Über Robert Havemann erfahre ich von den physischen und psychischen Pressionen, denen der zum Staatsfeind erklärte Dissident ausgesetzt ist.Als er bedrängt wird, von sich aus die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft zu beantragen, um einer langjährigen Freiheitsstrafe zu entgehen, beschwört Robert ihn, sich auf diesen Handel nicht einzulassen.Am Ende der (1978 erschienenen) "Vernehmungsprotokolle" heißt es dazu: "Ich unterschreibe / ja, ich habe unterschrieben / wie groß muß eine Demütigung sein, von der man sich nicht mehr erholt?" Wenn ich keine Familie gehabt hätte, sagt er mir später, wäre es wohl anders gekommen.

Als im Februar 1977 im Rowohlt-Verlag die "Gedächtnisprotokolle" erscheinen, die in Grünheide verfaßte Aufzeichnung seiner Verhöre in Jena, sitzt der 26jährige Autor bereits seit vier Monaten in einem Stasi-Gefängnis.Wolf Biermann schreibt im Vorwort: "Den Haß unserer feudalsozialistischen Fürsten im Politbüro hat Jürgen Fuchs sich redlich verdient.Die Verfolgungen, denen er jetzt ausgesetzt ist, sind nicht die Folge von Mißverständnissen." Die Widmung in meinem Exemplar der "Gedächtnisprotokolle" trägt das Datum des 28.August 1977.Sie lautet: "für hartmut (herzlich und traurig)".Zwei Tage zuvor ist Jürgen Fuchs nach West-Berlin entlassen worden.An diesem Augustsonntag gehe ich mit ihm und seinen gleichfalls abgeschobenen Freunden zu meinem Zehlendorfer Hausarzt.Ernstliche Gesundheitsschäden fördert die Untersuchung nicht zutage.Abends sitzen wir dann in größerer Runde zusammen.Auch Wolf Biermann und Bille Havemann sind gekommen, um die entlassenen Freunde zu begrüßen.

In der Folgezeit verschärft die DDR Zug für Zug die Isolierung Robert Havemanns, der sich standhaft weigert, in den Westen zu gehen.Am 1.März 1978 trifft auch mich das längst erwartete Einreiseverbot.Es wird erst 1987, zwei Jahre nach Havemanns Tod, aufgehoben.Der gestern in Mariendorf zu Grabe getragene Jürgen Fuchs hat das ihm vom SED-Staat zugefügte Unrecht bis zuletzt nicht vergessen und verdrängen können.Es ist ihm zum Schicksal geworden.

Der Autor ist Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin

HARTMUT JÄCKEL

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