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Kultur: Damen fallen aus dem Rahmen

Belcanto aktuell: Christof Loy inszeniert Donizettis „Roberto Devereux“ in München

Man nehme: die amtierende Belcanto-Königin, den amtierenden „Regisseur des Jahres“, außerdem ein melodramma, in dem die Affekte hart und schamlos aufeinanderprallen und die klappernde Dramaturgie einzig dafür sorgt, dass sich die Lava der Leidenschaften permanent ungehemmt an die Rampe ergießt – und schon ist das Opernglück perfekt. Einerseits scheint die Sache tatsächlich so einfach zu sein und auch: so durchschaubar, so sauber kalkulierbar. Andererseits ist sie wohl um einiges vertrackter. Der rasende Erfolg jedenfalls, den Donizettis „Roberto Devereux“ der Bayerischen Staatsoper in München nun bescherte, verdankt sich einer ausgefuchsten Dialektik. Er balanciert auf dem schmalen Grat zwischen kulinarischer Sause und kritischer Coolness, zwischen Aufklärung und Triebbefriedigung. Dass der Abend drei pralle Stunden lang nicht abstürzt, weder in die eine noch in die andere Richtung, könnte man schlicht intelligent nennen. Oder abgefeimt. Oder auch ganz einfach: very british.

Der Dreh, den Regisseur Christof Loy und sein Ausstatter Herbert Murauer für Donizettis Königinnendrama finden, ist bestrickend. Er ist so bestrickend, dass man sich bald zu wundern beginnt: Darüber, dass diese tragedia lirica in Zeiten politischer Innovationslähmung und medialer Intimsphärenverschmutzung nicht längst die Spielpläne beherrscht; und darüber, warum erst jetzt jemand auf die Idee verfällt, in pseudohistorischen Opernfiguren wie Elisabetta, der letzten Tudor-Königin, die Karikatur einer postmodernen Staatschefin zu sehen - im rastlosen Widerstreit zwischen Machthunger, frustrierter Weiblichkeit und politischer Vernunft. Was sich leicht als immermüder Aktualisierungsversuch abtun ließe, das wissen Loy und Murauer ausgesprochen geschickt zu nutzen. Es ist ihr ironisches Augenzwinkern, die leichte Überdrehung im richtigen Augenblick, das unterschwellige Liebäugeln mit dem Slapstick, was diese szenische Transaktion vom 17. über das 19. ins 21. Jahrhundert lustvoll macht und glaubhaft. Elisabetta nämlich kommt in München als iron lady, als leibhaftiger Maggie-Thatcher-Verschnitt daher – inklusive Tweed-Kostüm, notorisch schlenkernder Handtasche und grüngüldener Betonfrisur –, und das Ganze spielt zwischen Ledersesseln, welken Tapeten, Neonröhren, Wasserspendern und Zentnern von Aktendeckeln sozusagen in der Parteizentrale der Konservativen.

Man trägt stramm sitzende Einreiher oder, was das weibliche Personal angeht, Kostüme wie bei British Airways in den Fünzigerjahren, man reißt sich regelmäßig die druckfrischen Exemplare der Yellow Press aus den Händen (auf Roberto Devereux, den Liebes- und Landesverräter gemünzt: „Off with his head!“), und, wenn‘s vertraulich wird, dann senkt sich in dieser trübseligen Lounge der Macht schon mal der Plafond herab oder schiebt sich wie von Geisterhand eine gläserne Wand mitten in den Raum.

Die Story selbst ist rasch erzählt: Elisabetta liebt Roberto Devereux, den Grafen von Essex, der sich politisch inkorrekt verhalten hat und dafür büßen soll. Devereux wiederum liebt Sara, die Herzogin von Nottingham, weshalb er sich Elisabettas blindwütigen Rettungsversuchen („Wenn dich die Liebe zu mir führt, bist du für mich unschuldig“) verweigert. Am Ende ist es der gehörnte Herzog von Nottingham, der seinen Freund Devereux ans Messer liefert. Elisabetta, dem Wahnsinn nahe, dankt ab.

Ein Gleichnis über die Macht der Gefühle im öffentlichen Raum und darüber, wie intime Händel den Gang der Geschichte bestimmen. Ein Gleichnis auch übers Begehren und unbedingte Geliebt-werden-wollen: Da wo er Mensch wird, und also fehlbar und bemitleidenswert und groß allenfalls noch in seiner Verzweiflung, da verliert er jede politische Zurechnungsfähigkeit. Loy gibt dem Affen hier gerne Zucker und er vergisst nie, was er der Bayerischen Staatsoper schuldig ist. Kleine Fiesheiten, ja, aber bitte nichts Existenzielles: Wenn Elisabetta-Maggie sich vor Devereux‘ erstem Auftritt rasch die Lippen nachzieht oder wenn sie sich zu ihrer Final-Arie die Beton-Perücke vom Kopf zieht und darunter ein schlohweißes fusseliges Greisinnen-Haupt zum Vorschein kommt.

Mehr Anarchie freilich saugt Loy nicht aus Donizettis melancholischem Arienräderwerk, das, wie von einer Zentrifuge angetrieben, inständig aufs Extreme zielt: In keinem anderen Stück des Belcanto-Repertoires verselbständigen sich die Koloraturen derart radikal, nirgends sonst birgt die halsbrecherische Virtuosität des Gesungenen so viel Schönheit in der Einsamkeit. Es ist schade, wie gesagt, dass Loy dieses Strukturmoment nicht ernsthaft beim Wort nimmt, aber es macht den Abend auch bukolisch und typisch münchnerisch leicht. Friedrich Haider am Pult des Bayerischen Staatsorchesters liefert dazu (nach anfänglichen Rumplern) solide Kapellmeisterkost.

Selbstredend setzt Edita Gruberova zum Verbeugen den Thatcher-Helm wieder auf - die kleine Eitelkeit sei ihr gerne gegönnt. Sängerisch war sozusagen klar, dass sie sich diese Partie mit Haut und Haaren einverleiben würde, mal gurrend wie ein Täubchen, mal krallend und fauchend wie eine Tigerin, mal mit der Mimik einer Zitronenpresse nur mehr Verächtliches, Gallenbitterböses zischend. Schauspielerisch aber scheint die Gruberova hier erstmals wirklich erweckt worden zu sein: Wie ihrer Elisabetta die Musik und der Wahn buchstäblich in die Glieder fahren, wie sie die Contenance gleichwohl nicht ganz verlieren kann und will und letztlich elend an sich selbst zugrunde geht – das ist großartig. Jeanne Piland als seelenvoll bekümmerte Sara, Paolo Gavanelli als herrlich weich timbrierter, braver Nottingham und Zoran Todorovich als sehr selbstbewusster, mit beachtlichem tenoralem Schmelz agierender Devereux komplettieren ein Solistenensemble, um das Intendant Peter Jonas herzhaft zu beneiden ist. Am Donnerstag erhält er den Kulturellen Ehrenpreis der Stadt München. Höchste Zeit.

Christine Lemke-Matwey

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