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Kultur: Damendämmerung

Zur Münchner Uraufführung von Botho Strauß’ Zweikampf-Komödie „Die eine und die andere“

Ausverkauf, gleich zum Anfang. Viele Zeitgenossen an den Wühl- und Grabbeltischen mit dem Zeichen „Sale“; da betritt eine blonde junge Frau in Turnschuhen das Kaufhaus, wird getreten, geschubst, gekniffen, bis sie am Tisch für Schäler, Gabeln, Messer tief ins Waffenlager des Alltags greift. Plötzlich stößt ihr ein Junge mit Kapuze das Gesicht mitten in den blitzenden, schartigen Haufen. Endlich reißt ein junger Mann den Attentäter zurück, doch der schreit hin zu seinem Opfer: „Die ist nicht echt! Alien! Puppe! Dummy!“

Die junge Frau, die nun das wunderbarer Weise unverletzte Gesicht hebt, heißt Elaine. In ihrem Namen klingt der „Alien“ noch an. Später wird sie ihren Retter, den jungen Mann Tim, innig bitten, sie mit der Gabel zu streicheln, dann zu stechen. Und bei einer übersinnlich symbolischen Abendmahlparty lässt sie sich als heillose Erscheinung ans Türkreuz nageln. Doch Elaines Blut ist allemal Theaterblut. Das zeigt: Wir sind mittendrin in einem neuen Stück von Botho Strauß.

Aber trotz solchem Metaphyseln steht der am Münchner Residenztheater von Dieter Dorn uraufgeführte Zweiakter „Die eine und die andere“ auf eher festen Füßen. Die Geschichte scheint ja einfach: Zwei Damen um die 60, „die eine“ ist Insa, die Mutter von Elaine, und sie führt auf den Resten eines familiären Gutshofs irgendwo östlich von Berlin, am Ufer der Oder, eine heruntergekommene Fremdenpension. Die unverheiratete Elaine klebt an ihr wie das Lebenspech, dem sie mit immer wieder herrischer, fraulicher Hoffnung trotzt. So glaubt sie in ihrer Lebensausverkaufsstimmung noch eine letzte Umarmung „frei“ zu haben. Ihr Liebhaber soll im Spätsommer ihr letzter Stammgast sein. Doch den schnappt ihr, wie zu erwarten, „die andere“ weg: Lissie, die beste Freundin und Feindin, die ihr schon den Vater von Elaine ausspannte – eine expansive „Großmacht von Frau“, zu fast jedem preemptive oder postcoital strike bereit. Lissie freilich hat das Schicksal auch ein wenig gebeutelt. So sucht sie als frisch gekündigte Architekturkritikerin, die beteuert, die Liebe und die Lust längst hinter sich zu haben, bei Insa Obdach zum letzten Gefecht. Nur als Kollateralschaden wirkt dabei die Offenbarung, dass Tochter Elaine und ihr Retter Tim als geil keusches Paar („wie Eiskunstläufer“) auch Halbgeschwister sind. Lissie und Tim übrigens heißen mit Nachnamen Kelch, und der geht hier an keinem und keiner vorbei.

Schon die Andeutungen zeigen, wie leicht sich in diesem einfach komplizierten Stück die Ebenen (und Abgründe) mischen. Bereits der Beginn, der Ausverkauf, spielt mit dem basso continuo; doch ganz leise und hell klingen selbst Aktualitäten als Zwischentöne an – beim Kaufhausattentat der rätselhafte Anschlag auf die schwedische Außenministerin; hier gilt er der vermeintlich Außerirdischen. Verletzung und Selbstverletzung, Passionsstück und boulevardeske Seitensprünge am Oderbruch, all das mixt Botho Strauß wieder stellenweise virtuos und dem schieren Text nach als geistvolle Unterhaltung. Allein, in der Münchner Uraufführung bläht und spreizt sich das, wirkt das Zarte oft zäh.

Von Anfang an scheint Dieter Dorns hoch besetzte Inszenierung unter einem starken Überdruck zu stehen. Was überrascht, da Dorn zu den erfahrensten und erfolgreichsten Strauß-Inszenatoren zählt, neben Luc Bondy und vormals Peter Stein. Zudem hat Jürgen Rose mit elegant wechselnden Foto-Projektionen von Berliner Straßenszenen, Betonbrachen, Flussufern oder morbid schicker Altbauarchitektur auf der offenen, mit wenigen auf- und abfahrenden Requisiten bestückten Bühne eine wirkungssichere Szenerie gebaut. Darin aber agieren einige der Münchner Schauspielstars sonderbar unsicher: weil überlaut und aufgekratzt wie Akteure, die statt zu spielen immerzu etwas beweisen wollen.

So treibt Dorn die im Film wie im Theater oft irisierend heißkalte Juliane Köhler als Elaine in den Einheitston einer rätsel- und grundlosen Maso-Göre, bleich, fanatisch, hysterisch. Nie gerät hier das Schmerzlüsterne zur dunkleren Lebenslust. Eigentlich eine Bombenrolle, aber ohne Treffer nur ein wandelnder Alarm.

Auch Elaines Mutter Insa wird bei Cornelia Froboess auf eine eher harmlose Übertreibung festgelegt: Zwar lässt sie in allen Hennenkämpfen die Nähe des erhaben Schmerzlichen zur Untiefe des Lächerlichen ab und an durchleuchten. Doch darüber liegt die Gebärde des sprechopernhaft Gezierten, die Vokale gedehnt, der Mund ein Oh, die Gesten einer Tschechow-Dame im Courths-Mahler-Kostüm. Ebenso wie bei Jens Harzers Tim, der mit dauerndem Staunen und zeitlupenhafter Entrückung den Tagträumer spielt, weiß man nie, ob dieser Stil nur eine Parodie des Melodramatischen meint.

Strauß jedoch hat kein Melodram, sondern eine bissige, am Ende etwas verläppernde Zweikampf-Komödie geschrieben: mit Anspielungen auf Becketts Endzeitpaare, Bernhards Herrinnen und sogar Albees „Virginia Woolf“. Den Ton für so viel doppelten Boden trifft – außer Thomas Holtzmann in der winzigen Nebenrolle des Exgatten und Elaine/Tim- Vaters – nur eine. Nämlich die andere: Gisela Stein als furiose Lissie. Mit weißem Haar, im Sommerfähnchen, mit rot lackierten Altdamenkrallen und einmal sogar nacktem Busen wird die Stein zum Ereignis. Ein fabelhaft menschliches Raubtier. Bei ihr ist alle Energie wirklich nervig, nicht nervend, ihre Künstlichkeit kunstvolle zweite Natur. Gisela Stein, immer zwischen Tragödie und Farce, erscheint als Frau und Fighterin wie eine Verkörperung jenes Museums, das in der schönsten Szene die „Remains of the Future“ zeigt. Nanobots unterm Archäologenblick – und Lissie, die biestige Menschin, leuchtet auf dem Boulevard der Dämmerung als Zukunftsrest. – Was folgt, ist im März Berlin: Luc Bondys Interpretation des Stücks, mit Jutta Lampe und Edith Clever im BE. Mal sehen.

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