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Kultur: Daniel Barenboim im Interview: "Wer große Kunst will, muss dafür auch zahlen"

Daniel Barenboim wurde 1942 in Buenos Aires geboren, wuchs in Israel auf, war Schüler unter anderem von Igor Markevich und Nadia Boulanger und galt als pianistisches Wunderkind. 1961 debütierte er als Dirigent.

Daniel Barenboim wurde 1942 in Buenos Aires geboren, wuchs in Israel auf, war Schüler unter anderem von Igor Markevich und Nadia Boulanger und galt als pianistisches Wunderkind. 1961 debütierte er als Dirigent. 1981 trat er erstmals bei den Bayreuther Festspielen auf. Seit 1991 leitet er das Chicago Symphony Orchestra, seit 1992 ist er künstlerischer Leiter und Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper Unter den Linden. Die Vertragsverlängerung ist noch in der Schwebe.

Herr Barenboim, Sie machen aus Ihrem gelegentlich angespannten Verhältnis zur Presse kein großes Hehl.

Was ich hasse, sind Vorverurteilungen. Da sind wir auch gleich bei einem typischen Berliner Phänomen: In dieser Stadt ist sehr oft zu früh über Dinge diskutiert worden - von der Politik, von der Presse -, die überhaupt noch nicht spruchreif waren. Man hat sich da vieler Möglichkeiten beraubt. Oder servieren Sie das Essen, bevor es gekocht ist?

Ist Ihnen Berlin als Stadt zu nervös?

Nein, aber ich halte mich in vielen Fragen bewusst zurück. Man hört wenig von mir - außer wenn ich dirigiere oder Klavier spiele.

Die Verhältnisse an der Staatsoper Unter den Linden gelten derzeit als schwierig. Als Musiker sind Sie in der ganzen Welt zuhause: von Bayreuth über Chicago bis Tel Aviv. Was hält Sie in Berlin?

Ich denke, das hat viel mit meinem Weg nach Deutschland zu tun. Im Sommer 1954 nahm ich als Elfjähriger in Salzburg an einem Dirigierkurs von Igor Markevich teil, und Edwin Fischer, der Pianist, sagte: Der Junge muss Furtwängler vorspielen. Und Furtwängler lud mich ein nach Berlin, zu den Philharmonikern. Diese Ehre! Mein Vater aber befand, es sei noch zu früh: Der Krieg war erst seit neun Jahren vorbei - für eine jüdische Familie nicht gerade viel Zeit.

Aber in Österreich durften Sie spielen?

Immerhin gab es zu dieser Zeit bereits diplomatische Beziehungen zwischen Österreich und Israel. Ich habe dann viele Proben unter Furtwängler gehört, habe mich intensiv mit seinen Schallplatten und Schriften beschäftigt. Seine Persönlichkeit hat mich tief beeindruckt. Diese ganze Welt, diese Philosophie des Musizierens war etwas Faszinierendes, etwas, das ich nicht kannte. Durch ihn habe ich begriffen, dass Musik mehr mit Werden, mit Entstehen zu tun hat als mit Dasein. Musik ist Klang und nicht Konzept.

Nun gilt gerade Wilhelm Furtwängler als ausgesprochen "deutscher" Dirigent. Ist das eine ästhetische Kategorie, mit der wir heute noch etwas anfangen können?

Ich glaube, Furtwängler war für gar nichts typisch. Er schwamm immer gegen den Strom. Gestern wie heute. Deshalb ist er uns oft auch so fremd. Musik hat immer mit Sprache zu tun. Und Deutsch ist eine sehr konsonantenreiche Sprache. Es dauert also ziemlich lange, bis Sie in einem Wort beim Vokal angelangt sind. Dasselbe Phänomen gibt es in der Musik auch. Man wartet, bis schwere Akkorde ihr volles Gewicht entfalten. Das kann man auch bei Furtwängler beobachten, und insofern ist er vielleicht wirklich ein "deutscher" Dirigent.

Gab es für Sie, als Sie später in Deutschland konzertiert haben, so etwas wie ein Trauma?

Ja und nein. Mein allererster Auftritt war bei den Münchner Philharmonikern unter Fritz Rieger ... Mein Gott, Sie müssen glauben, Sie sitzen hier einem echten Dinosaurier gegenüber! (lacht) Jedenfalls: München war fürchterlich, ein absoluter Albtraum. Ich kannte keine Menschenseele, sprach die Sprache nicht, kam aus Israel - entsetzlich. In Berlin war das ganz anders, von Anfang an. Dieser Stadt gegenüber konnte man nicht kühl bleiben: Entweder man hat sie gemocht oder man hat sie gehasst wie die Pest. Außerdem hatte ich hier immer Freunde. Friedelind Wagner, die ich sehr lange kannte, hat mir den Osten der Stadt gezeigt. Mit ihr bin ich dann auch zum ersten Mal nach Bayreuth gefahren.

Die Zeichen in Ihrem Leben standen also frühzeitig auf Berlin. Wenn Sie heute, nach zehn Jahren Lindenoper, eine Bilanz ziehen müssten: Wie fiele die aus?

Ich denke, man hat den Sonderstatus dieser Stadt noch immer nicht begriffen. Das reicht von den Folgen der Teilung und dass hier beide Gesellschaftssysteme so hart wie sonst nirgends aufeinander prallten bis zum Etikett "Hauptstadt". Die Industrie ist bis heute nicht nach Berlin gekommen. Das halte ich für einen Fehler. 1989/90 befand man sich hier in einer enormen Euphorie. Aber was folgte darauf? Die Depression. Und in der befinden wir uns heute. Physiognomisch ist diese Stadt doch viel weiter als psychologisch. Das Problem ist nur, dass diese Phase des Übergangs bereits zu lange dauert.

Ist Berlin in Ihren Augen und Ohren auch eine noch unfertige Kulturstadt?

Ich kann hier nur für die Lindenoper sprechen. Als ich hierher kam, war das Niveau sehr gut, mit allen Vor- und Nachteilen eines ehemaligen Ostblocklandes. Das Staatskapelle zum Beispiel hat eine ganz andere Bescheidenheit, als man das aus dem Westen kennt. Die stehen vor einer Beethoven-Symphonie nicht wie vor einem sehr populären Stück Musik, sondern wirklich mit Ehrfurcht. Das ist unglaublich wertvoll. Ich habe versucht, diese Werte zu erhalten und das Haus trotzdem zu internationalisieren. Chéreau war hier und Solti und Giulini und wie sie alle heissen. Das war gut. Auch meine beiden großen Zyklen, den Wagner-Zyklus und den Beethoven-Zyklus, habe ich verwirklichen können.

Im Bereich der Neuen und der Alten Musik hingegen hat die Lindenoper schwere Schlappen erlitten ...Das ist richtig. Die Bremse kam 1995. Ab da sah der Spielplan nicht mehr so aus, wie wir ihn uns vorgestellt haben. Die finanziellen Daumenschrauben wurden einfach zu eng. Wir mussten Produktionen absagen oder verschieben, zuletzt "Die Trojaner" mit Michael Gielen, die Gastspiele des Chicago Symphony Orchestra zu den Festtagen werden nicht mehr stattfinden - was ich persönlich sehr bedauere.

Wann reißt Ihnen die Geduld?

Ich sage schon seit langem: Die Staatskappelle ist unterbezahlt. Ich möchte nicht in Berlin bleiben und zusehen, wie das Orchester langsam schlechter wird, nur weil die Politiker ihre Versprechen nicht halten. Ein Solo-Spieler im Opernorchester von Dresden oder München verdient, das ist kein Geheimnis, gut 1000 Mark mehr im Monat. Wie soll ich da meine Leute auf Dauer halten? Und schlimmer noch: Wie soll ich neue Stellen adäquat besetzen?

Man wirft den drei Berliner Opernhäusern oft vor, dass sie sich im Profil nicht genügend voneinander absetzen.

Was heißt schon Profil? Das ist, entschuldigen Sie, ein sehr deutsches Wort. Ein Wort wie "Konzept". Aber gut: Das Profil der Staatsoper wechselt täglich. Gehen Sie in "Norma" und in "Wozzeck" und Sie werden zwei komplett unterschiedliche künstlerische Profile erleben. Das Profil definiert sich doch nicht nur über den Spielplan, sondern vor allem über die Qualität des Abends. Und es definiert sich bestimmt nicht über die Anzahl der Vorstellungen. Darauf dass ich 270 Abende pro Saison spiele, brauche ich nicht stolz zu sein. Gustav Mahler hat schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts gewusst, dass das Repertoiresystem im Grunde nicht funktioniert, wenn man großes Theater machen will.

Ist das ein Plädoyer für den Stagione-Betrieb?

Ich will mich da nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Sicher kann man versuchen, die drei Häuser untereinander besser zu koordinieren. Aber es ist doch absoluter Quatsch, aus der Lindenoper ein Haus allein für das klassische Repertoire machen zu wollen. Wie können wir Wagner gut spielen, wenn wir keinen Birtwistle machen dürfen? Das ist mir alles viel zu restriktiv.

Haben die Theater nicht selber auch Fehler gemacht? Halten Sie Ihre Entscheidung für glücklich, den Wagner-Zyklus über zehn Jahre hinweg mit Harry Kupfer zu machen?

Selbstverständlich ist es spannend, mit unterschiedlichen Regisseuren zu arbeiten. Auf der anderen Seite hat meine Entscheidung für Kupfer allein auch Vorteile - dazu stehe ich. Als ich sie traf, 1991, galt Kupfer noch als revolutionäre Figur. Das mag sich inzwischen geändert haben.

Wenn Sie an Ihrem Haus längst nicht mehr so arbeiten können, wie Sie arbeiten wollen: Versprechen Sie sich etwas von der Idee, die Lindenoper als eine Art Deutsche Staatsoper in die finanzielle Obhut des Bundes zu überführen?

Wollen Sie eine ehrliche Antwort?

Warum nicht!

Es ist mir absolut egal, wer das bezahlt. Wichtig ist, dass die nötigen Mittel bereitgestellt werden. Berlin wie der Bund müssen endlich Prioritäten setzen. Die Situation ist jetzt schon absurd genug: Jeder Tag, den wir hier nicht spielen, spart Geld. Außer wir nehmen Eintrittspreise wie zu den Festtagen oder zu Pfingsten, weil ein paar Touristen kommen - was uns von der Presse dann prompt um die Ohren gehauen wird. Vergessen Sie nicht: Berlin hat kaum reiche kunstsinnige Leute, kaum Gesellschaft. Die Schicki-Mickis aus München oder Wien, die gibt es hier nicht. Hinzu kommt, dass das Berliner Publikum sehr konservativ ist und es immer war. Unsere Auslastung zum Beispiel bei Birtwistles "The Last Supper" ist nicht gut.

Stehen Sie in Kontakt mit den Herren Stölzl und Naumann?

Ja, natürlich. Ich bin sicher, dass Stölzls Herz richtig schlägt und sein Kopf die Lage richtig analysiert. Die Frage ist nur, ob die Politik ihn ausreichend unterstützen wird. Mit Naumann spreche ich schon lange. Aber wie gesagt: Das gehört nicht in die Öffentlichkeit. Nicht jetzt.

Unabhängig von der aktuellen Gemengelage: Hat Daniel Barenboim eine Vision für Berlin? Wo liegen verborgene Möglichkeiten für die Opernhäuser, angefangen von Jointventures ...

Aber entschuldigen Sie: Jointventures machen wir doch die ganze Zeit! Denken Sie an die Mozart-Tage zu Pfingsten mit den Philharmonikern. Es sind doch nicht immer nur die großen Lösungen, die zählen, ob ich die Lindenoper nun für alle Zeit mit dem Konzerthaus zusammenspanne oder ob ich Stagione spiele. Ich glaube, es ist viel wichtiger, dass wir mehr in thematischen Inseln denken, dass wir sinnvolle Schwerpunkte setzen mit ganz verschiedenen Eigenschaften, um nicht "Profile" zu sagen.

Denken Sie bei solchen Projekten auch verstärkt an privates Sponsoring?

In diesem Punkt sind die Europäer den Amerikanern gegenüber noch immer viel zu hochnäsig. In Amerika sei Kultur eine rein private Angelegenheit, heißt es, und hier kommt der Staat dafür auf. Das stimmt so nicht. Wer sich in Amerika für Kultur engagiert, hat steuerliche Vorteile. Es ist eine Frage des Systems, nicht des Interesses oder der Moral. Ich glaube nicht, dass wir in den nächsten zwanzig Jahren hier weiter von unseren Subventionen existieren können.

Glauben Sie nicht, dass die sogenannte Berliner Republik zu begreifen beginnt, dass Kultur ein Lebensstoff ist, also sogar ein Stück Sozialpolitik?

Die Kultur in Berlin nimmt zwei Prozent des Gesamtetats ein. Schauen Sie sich einmal um, wieviel in den Medien von Kulturpolitik die Rede ist und wieviel wirklich von Kunst! Die Proportion ist doch ganz falsch. Wenn aber die Kultur so wichtig ist, dann soll man für die Kunst auch zahlen, was sie kostet. Wenn nicht, dann sollte man bitte nicht so viel darüber reden!

Herr Barenboim[Sie machen aus Ihrem gelegentlich]

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