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Barenboim

© ddp

Daniel Barenboim zu Gaza: "Das kann tausend Jahre dauern"

Daniel Barenboim über sein Nahost-Orchester und die Pflicht zur Einmischung

Maestro, es herrscht Krieg im Nahen Osten. Ermüdet es Sie, immer wieder dieselben Fragen gestellt zu bekommen und dieselben Antworten geben zu müssen?



Ich werde so lange meine Meinung zum Konflikt zwischen Israel und Palästina äußern, so lange man mich darum bittet. Und so lange ich das Gefühl habe, dass Menschen, die Macht und Einfluss haben, hören, was ich sage, und sich vielleicht ein paar Fragen stellen – auch wenn sie am Ende anders denken als ich.

Haben Sie keinen Einfluss?


Ich bin kein Politiker. Mein Engagement war nie ein politisches, sondern immer ein menschliches. Ich habe keine Lösungen anzubieten.

Das West-Eastern Divan Orchestra wird 2009 zehn Jahre alt. Feiern Sie?

Natürlich: Dass es uns gibt! Und dass wir spielen. Wir haben während der letzten Libanon-Krise vor zwei Jahren gespielt und wir werden es auch jetzt tun. Ich habe die Tage seit der israelischen Bodenoffensive damit verbracht, mit den einzelnen Orchestermusikern zu sprechen. Natürlich gibt es keine einheitliche Haltung zu diesem Krieg. Und natürlich ist die Lage hoch komplex – emotional, mental und auch politisch. Da kommen junge Menschen zusammen, deren Völker Krieg gegeneinander führen. Der eine lebt in Israels Süden und wird seit Jahren von den Raketen der Hamas bedroht. Der andere hat Angehörige in Gaza. Und der dritte, der aus Ägypten oder aus Syrien stammt, wird von seiner Familie unter Druck gesetzt. Alle aber haben mir gesagt: Wir müssen spielen und wir wollen spielen. Weil wir nicht an eine militärische Lösung des Konflikts glauben. Davor habe ich großen Respekt.

Was sagen Sinfonien von Brahms oder Beethoven in einer solchen Situation?

Was sollen sie sagen? Das, was sie immer sagen oder nie. Es wäre fatal, die Musik zu instrumentalisieren. Es geht darum, dass das Orchester sich positioniert. Das tut es, indem es der Welt zeigt: Sogar im Krieg ist es möglich, dass man miteinander kommuniziert. Außerdem werden wir in einer Erklärung offen legen, dass unter den Musikern höchst unterschiedliche Ansichten darüber existieren, wer die Verantwortung und die Schuld für das trägt, was im Gaza-Streifen gerade geschieht. Diese Differenzen, die sehr heftig sind und weit zurückreichen, werden wir nicht kaschieren. In Zeiten, in denen es um Leben und Tod geht, ist jede Schönrednerei fehl am Platz.

Wie hat die Politik das West-Eastern Divan Orchestra verändert, welche Auswirkungen hat umgekehrt das, was das Orchester tut, politisch?

Innerhalb der letzten zehn Jahre hat sich die politische Lage im Nahen Osten beständig verschlechtert. Was hat Israel aus der Libanon-Krise gelernt, frage ich mich? Nichts! Die Hisbollah existierte nicht, bevor Israel 1982 in den Libanon einmarschierte, sie war eine direkte Reaktion darauf. Die Hamas war eine kleine, unwichtige Bewegung, die von Israel mit finanziert wurde, um Arafat zu schwächen. Und was macht man jetzt? Wo ist die Lehre? Das verstehe ich nicht. Vor den Kameras wird nur gelogen. Und aus all dem soll ich folgern, dass unsere Orchesterarbeit sinnlos gewesen sei? Nein! Wir sind nur wenige, aber wir sind die einzige Gruppe dieser Art überhaupt! Stellen sie sich vor, dass das, was wir tun, für viele gelten würde. Die Welt sähe anders aus. Das ist die Utopie.

Sie haben stets die historische Komplexität der Lage in Nahost betont. Welche Chancen haben solche Argumente aktuell?

Keine. Der Krieg muss jetzt schnell beendet werden, das ist keine Frage. Und dann müsste sofort jemand kommen, der all diesen Zusammenhängen Rechnung trägt. Aber da gibt es nichts und niemanden, auf keiner Seite. Wen sollte ich als israelischer Staatsbürger in Israel derzeit wählen? Ich weiß es nicht. So ernst und schrecklich dieser Krieg ist: Er hat das Niveau eines Kinderspiels. Du hast angefangen! Nein, du! Nein, du!

Welche Hoffnungen setzen Sie in den neuen amerikanischen Präsidenten?

Barack Obama müsste jeweils eine breite nationale Delegation aus Israel und eine aus Palästina an einen Tisch bringen und zwingen, mit allen Extremisten und allen Splitterparteien. Die Differenzen offen legen, vielleicht sogar ein Stück weit austragen – und sich dann dem Projekt, dem Frieden widmen. Das ist die Arbeit. Etwas anderes machen wir im Orchester auch nicht. Damit meine ich nicht, dass sich an das Kriegsende ein endloser Verhandlungsmarathon anschließen soll, mit Kommissionen hier und da, wie gehabt. Ganz im Gegenteil: Im Nahen Osten gibt es keine Evolution, nur Revolution. Und die kann tausend Jahre dauern.

Für viele Israelis gelten Sie als „Linksintellektueller“ . . .


. . . seit wann bin ich ein Intellektueller?

Man bezeichnet Sie, der Sie nicht in Israel leben, gerne als ignorant und arrogant.

Ich bin viel gewöhnt. Außerdem: Wo sind Ignoranz und Arroganz zuhause, wenn nicht dort? Der Weg vom Flughafen Tel Aviv nach Ramallah ist kürzer als der nach Jerusalem oder in die Stadt von Tel Aviv. Die jüdische Bevölkerung aber lebt in dem Bewusstsein, Ramallah liege mindestens auf dem Mond. Die Palästinenser existieren schlichtweg nicht. Wie würden Sie das nennen? Neugierig? Interessiert?

Haben Sie manchmal Angst, dass Ihnen Ihre Offenheit gefährlich werden könnte?

Suchen Sie einen Job als Bodyguard?

Vielen Dank. . . Glauben Sie, dass Europa genug tut im Nahost-Konflikt? Tut Deutschland genug?

Nein. Ich habe die Art und Weise, wie die Deutschen sich mit ihrer Geschichte auseinandergesetzt haben, immer bewundert. Deswegen glaube ich, gerade sie könnten Israel sehr viel mehr helfen. Es hilft nichts, sich zurückzuziehen und zu sagen, wir haben leider nicht das Recht, uns einzumischen. Es hilft nichts, zu sagen, wir Deutschen mit unserer Vergangenheit stehen bis in alle Ewigkeit hinter euch Juden, ganz egal, was ihr macht. Das ist bloß Scheinsolidarität.

Wäre Israel 2009 denn reif für Ratschläge ausgerechnet von deutscher Seite?


Israel hört auf niemanden, insofern stellt sich die Frage nicht. Aber wenn es überhaupt eine Wiedergutmachung geben sollte für das, was zwischen 1933 und 1945 mit den Juden in Europa passiert ist, dann kann sich das nicht in Gleichgültigkeit erschöpfen. Der Staat Israel war eine jüdisch-europäische Idee – und insofern ist es das palästinensische Problem in Teilen auch. Ich wäre dafür, dass die beiden Nationen, die den Juden in der Geschichte am meisten geschadet haben, deutlich mehr tun: Spanien wegen der Inquisition und Deutschland wegen der Nazis. Das ist keine Kritik an Frau Merkel oder Herrn Steinmeier, darüber habe ich schon mit Helmut Kohl gesprochen. Die Zeit der Hemmungen, des Zauderns und Zögerns muss endlich vorbei sein.

Am 12. Januar gastiert das West-Eastern Divan Orchestra unter Leitung von Daniel Barenboim in der Staatsoper Unter den Linden. Auf dem Programm: Werke von Beethoven und Brahms. Das Gespräch führte Christine Lemke-Matwey.

Daniel Barenboim gründete 1999 mit jungen israelischen und arabischen Musikern das West-Eastern Divan Orchestra. Die Jubiläumstournee führt nach Berlin, Moskau und Mailand.

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