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Kultur: „Dann muss ich gehen“

Ultimatum: Christian Thielemann verlässt Berlin, falls die Deutsche Oper nicht mit der Staatsoper gleichgestellt wird

Seit Monaten raunt es durch die Stadt, Sie könnten Berlin den Rücken kehren …

… was Unsinn ist, denn ich lebe sehr gern in dieser Stadt.

Es geht ja auch nicht um Ihren Wohnort, sondern Ihre Wirkungsstätte, die Deutsche Oper. Ist Ihre Geduld am Ende?

Leider ja. Seit Jahren werde ich hingehalten, vertröstet, mit falschen Hoffnungen und Fehlinformationen genährt. In dieser Zeit haben sich die Arbeitsbedingungen an der Deutschen Oper dramatisch verschlechtert. Wir werden kaputtgespart.

Alle müssen sparen, so sind die Zeiten.

Nein, das stimmt nicht. Während meinem Orchester die Mittel gekürzt werden, so dass wir den Rang einer der ersten Opern der Welt nicht mehr halten können, hat die Linden-Oper ein großes Kanzlergeschenk bekommen.

Hören wir da etwa Neid heraus?

Ich neide nicht, sondern ich warne. Ein letzter Aufschrei! Von Anfang an habe ich gewarnt: Die Staatskapelle finanziell aufzustocken, war seinerzeit zwar absolut nötig, aber dieses Geschenk von jährlich 1,8 Millionen Euro aus der Kanzlerschatulle wird üble Folgen haben. Vertraglich hat es mit dem Berliner Kulturhaushalt nichts zu tun. Gratulation, Kompliment, kann ich den Kollegen da nur zurufen, geordnete Verhältnisse, ich bewundere euch! Die haben’s geschafft, die werden gewollt und geliebt – und wir nicht.

Also wollen Sie doch mehr Geld?

Es geht nicht einmal darum, dass der eine mehr bekommt und der andere weniger, sondern darum, dass das Geld, das da ist, in der Opernstiftung gerechter verteilt wird, damit Chancengleichheit herrscht. Was ich will, ist Ehrlichkeit und Fairness. Die eigentliche Frage lautet: Wie wird in dieser Stadt mit dem Erbe von zwei Weltklasse-Opernhäusern umgegangen?

Diese Frage stellt man sich seit 1989...

Ohne sie jemals aufrichtig beantwortet zu haben! Und das ist das Tragische. Wenn es so weitergeht wie bisher, dann blutet das Orchester der Deutschen Oper aus. Meine künstlerische Aufbauarbeit von acht Jahren wird regelrecht demontiert. Können Sie sich vorstellen, wie das ist? Weil ein Musiker in der Bismarckstraße für genau dieselbe Arbeit weniger verdient als Unter den Linden, habe ich allein in den vergangenen vier, fünf Jahren 15 erstklassige Musiker aus ersten Positionen verloren – an die Berliner Philharmoniker, an die Berliner Staatskapelle, an die Dresdner Staatskapelle, nach München, nach Zürich. Wo ich hinkomme, begegne ich bekannten Gesichtern. Und wissen Sie, was die mir erzählen? Hier habe ich bessere Arbeitsbedingungen, hier habe ich weniger Dienste, hier kann ich mehr Kammermusik machen, hier habe ich eine kulturpolitisch sichere Zukunft, und hier verdiene ich schlicht und einfach auch mehr Geld. So ist der Markt.

Wie stark schlagen diese Zustände mittlerweile auf die Kunst zurück?

Das wechselt sehr stark. Und das ist überhaupt das Schmerzhafteste: Wenn Sie hören, wie glanzvoll dieses Orchester sein kann, wie etwa zuletzt beim „Parsifal“ – und wenn Sie dann die Abstürze erleben. Es interessiert niemanden, wenn ich die Zweite von Brahms mit 16 Aushilfen dirigieren muss, es interessiert niemanden, dass wir für die Art von Repertoiretheater, die man von uns erwartet, längst nicht mehr die 125 Stellen haben, die wir brauchen. Trotzdem stehen wir weiter im internationalen Konkurrenzkampf – noch. Das ist, wie wenn man einen sehr guten Wein sukzessive mit Wasser versetzt. Am Anfang merkt das keiner. Aber dann.

Was tun Sie, wenn das weiterhin nicht geschieht?

Dann ziehe ich meine Konsequenzen. Was mir nicht leicht fällt. Aber Berlin muss sich überlegen: Will man, dass die Deutsche Oper ein Durchgangshaus wird wie Nürnberg oder Köln? Will man, dass Christian Thielemann sich an seinem eigenen Haus – schreckliches Wort – überqualifiziert fühlt? Ich habe in den zwei letzten Jahren alles getan, was ich konnte. Ich habe mit Politikern gequatscht, bis mir die Lippen in Fransen hingen. Ich stehe keinem Orchester vor, von dem man sich wegbewirbt. Ich habe äußerst lukrative Angebote ausgeschlagen...

...zuletzt die Nachfolge von Ozawa an der Wiener Staatsoper, wie man hört.

Was Sie so alles hören. Ich habe nicht nur meine Gastiertätigkeit eingeschränkt – für Berlin habe ich Einladungen von New York bis London abgesagt, die für zwei weitere Karrieren reichen. Und das alles, damit mir hier auch künstlerisch noch die Daumenschrauben angelegt werden?

Was muss geschehen – und wann?

Ich lasse mich nicht mehr mit leeren Versprechungen abspeisen. Lassen Sie es mich in ein Bild kleiden: Ein Liter hat überall auf der Welt tausend Milliliter, der Deutschen Oper aber will man vormachen, 750 Milliliter reichten aus. Das nehme ich mehr länger hin.

Sie haben oft und lang mit dem Senat und mit dem Bundeskanzleramt gesprochen, ohne Ergebnis . Müssen wir uns auf ein Trennungsgespräch einrichten, wenn es am kommenden Montag, dem 17. Mai, zu einer weiteren Runde mit dem Kultursenator kommt?

Es sieht in der Tat nicht gut aus. Talking is over, action is on. Wenn es jetzt kein Ergebnis gibt, dann haben wir ein Ergebnis.

Was passiert, wenn Kultursenator Flierl Ihnen, um in ihrem Bild zu bleiben, 920 Milliliter für den Liter bietet?

Dann ist Schluss.

Thielemann als Wotan: Unheilig acht’ ich den Eid, der Unliebende eint.

Ach nein, ich kann Herrn Flierl und Frau Kisseler in diesem Zusammenhang ausdrücklich loben, die bemühen sich nach Kräften. Die sagen, nicht zu Unrecht, wir haben das doch auch nur geerbt. Wenn schon Wotan: „Den Verträgen bin ich nun Knecht.“ Es gab ja auch Angebote: drei Viertel der Differenz bis 2008 oder 2005/2006 jeweils die Hälfte oder nur die Hälfte. Aber dann höre ich, dass man nicht weiß, woher man überhaupt irgendetwas nehmen soll. Wenn mir nächste Woche mitgeteilt wird, es bleibt dabei, das Orchester der Deutschen Oper wird weiterhin schlechter gestellt sein als die Staatskapelle, dann muss ich gehen. Ich wäre ein schlechter Generalmusikdirektor, wenn ich hier nicht warnen würde. Oder soll ich hier der ewige zweite Sieger sein? Das ist frustrierend. Und auch wenn ich immer noch in Jeans und Ringelpulli herumlaufe: Die Zeiten, als man sagen konnte, der kleene Thielemann weiß nicht, wie die Sache läuft, sind vorbei. Ich bin jetzt 45 und habe genug internationale Erfahrung.

Bedeutet das, der Name, die Marke Thielemann war nicht wirkungsvoll genug?

Offenbar. Dann ist es eben so, dann hat man den deutschen Dirigenten, der es in seiner Generation bislang am weitesten gebracht hat, hier schlicht vergrault. Und wissen Sie, was meine Verhandlungsposition am meisten geschwächt hat? Dass ich als Berliner immer gezeigt habe, wie sehr ich an dieser Stadt hänge. Mit Gefühlen macht man sich angreifbar. Im Grunde hätte ich sagen müssen, egal wo, auf dem Mars oder auf dem Pluto: Gebt mir ein gutes Orchester.

Wenn Sie Ihre Erfahrungen mit der Berliner Kulturpolitik hochrechnen: Wo steht Berlin kulturell in fünf Jahren?

Unten, tief unten. Eine Stadt, die ihre beiden Weltklasse-Opernhäuser als Last begreift, hat für mich keine kulturelle Zukunft. Es ist ein Verbrechen, was hier geschieht, absolut selbstzerstörerisch. Und daran wird auch die Opernstiftung nichts ändern. Ein Generaldirektor, der keine Kompetenzen hat, wird die Verantwortlichen nie dazu bringen, konstruktiv miteinander zu verhandeln.

„Da reitet er hin, auf lichtem Roß; mich lässt er in Sorg’ und Spott“, ruft Alberich im „Siegfried“ dem Wanderer nach.

Wir stehen alle auf dem Bahngleis, und der Zug kommt, er kommt tatsächlich. Gleich biegt er um die Ecke. Und entweder wird innerhalb der Opernstiftung noch einmal umgeschichtet, und es kommt jetzt ein politisches Bekenntnis, ein Solidarbeitrag für die Deutsche Oper Berlin – oder nicht. Dann aber gehe ich.

Das Gespräch führten Christine LemkeMatwey und Peter Siebenmorgen.

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