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Kultur: Darf ich bitten?

Musical mit ernster Seele: der Pinguin-Animationsfilm „Happy Feet“

Wenn man von Natur aus keine Knie hat, oder vielmehr, wenn man zwar Knie hat, diese aber in einer dicken, lang gezogenen Fettschicht eingeschlossen sind – dann muss man der unerfreulichen Tatsache ins Auge blicken, dass man nicht zum Tänzer geboren ist. Die Oberschenkel sind kurz, das Kniegelenk starr und die Beine nach hinten versetzt – an Land hat das eine eher ungewöhnliche Interpretation des aufrechten Gangs zur Folge. Daher ist der Pinguin eine tragische Figur. Stets trägt er festliche Abendgarderobe, aber Anmut hat er keine. Denn es kommt noch schlimmer: Hüfte hat er auch nicht.

Haben wir das nicht auch im letzten Jahr in „Die lange Reise der Pinguine“ gesehen? Bilder von stämmigen, flauschigen Schwimmvogelwürsten, wie sie erhobenen Hauptes, ernst und romantisch, dem Kältewind trotzend, in der Antarktis herum stehen und auf besseres Wetter warten? Das war nur die halbe Wahrheit. Man weiß doch: Jeder Kaiserpinguin hat sein Herzenslied, mit dem er um seine Liebe wirbt. Ganz zu schweigen vom fröhlichen Lebensmut der um zwei Drittel kürzeren Adeliepinguine, drüben, auf der anderen Seite des Packeises.

Memphis (Hugh Jackman, Herzenslied „Heartbreak Hotel“) und Norma Jean (Nicole Kidman, Herzenslied „Kiss“), zwei stolze Kaiserpinguine, haben sich letzten Sommer gefunden. Die Frucht ihrer Liebe ist der kleine Mumble (Elijah Wood). Mumble ist aus der Art geschlagen. Seine Stimme ist jämmerlich. Wie soll er nur die schöne Pinguindame Gloria (Brittany Murphy, Herzenslied „Boogie Wonderland“) für sich gewinnen? Er ist zwar ein ausgezeichneter Stepptänzer, doch dieses Talent gilt nicht viel in der Gemeinschaft der Kaiserpinguine. Mehr noch: die unkaiserliche Fuß-Zappelei wird von Noah, dem Ältesten (Hugo Weaving, Herzenslied unbekannt), mit der Plage der Futterknappheit in Verbindung gebracht. Er verbannt Mumble.

Doch Mumble trifft Ramon (Robin Williams) und dessen kleinwüchsige LatinoGang, die spanisch sprechenden AdelieAmigos. Diese zeigen sich von seinen „moves“ sehr angetan und nehmen ihn in ihrer Mitte auf. Gemeinsam mit dem Felspinguin und Ober-Guru Lovelace (ebenfalls Robin Williams, diesmal als Barry-White- Imitator) machen sie sich auf die Suche nach der Ursache für den Fischmangel.

Regisseur George Miller hatte bereits bei den „Schweinchen Babe“-Filmen seine Finger im Spiel. Mit „Happy Feet“ bringt er erneut außergewöhnliche Familienunterhaltung in die Kinos. Die kaum vermenschlichten Pinguine sind wunderbar animiert und könnten doch in jeder Antarktis-Doku in Erscheinung treten. Die Szenerie ist fast fotorealistisch und oft atemberaubend schön, die Kamera fliegt wie losgelöst durchs glitzernde antarktische Eis. „Happy Feet“ dürfte der technisch avancierste Animationsfilm sein; die Verbindung von Witz und Tempo mit der Warmherzigkeit alter Disney-Filme machen ihn zu einem der schönsten Animationsfilme der Computerära.

Die Sache hat allerdings einen Haken. Eine halbe Stunde vor Schluss macht Millers Film ein gewagten Sprung in kaltes, dunkles Wasser. Denn Mumbles Reise führt ihn an Orte, die man nie und nimmer erwarten würde. Mumble nämlich trifft auf den „Großen Vernichter“: Es ist der Mensch. Plötzlich entwickelt „Happy Feet“ eine unverhoffte Wucht: Manche Szenen brennen sich tief ins Gedächtnis ein und könnten auf ganz kleine Kinder verstörend wirken. Vielleicht hat George Miller ein wenig zu viel hineinstecken wollen – die fast schon biblische Öko-Fabel fühlt sich insgesamt ein wenig uneinheitlich an und wie aus mehreren Teilen zusammengeflickt. Als Familienfilm aber hat sie eine Tiefe, die sehr selten ist.

Und dann ist da natürlich noch die Musik. Prince, Pink, Grandmaster Flash, Stevie Wonder, Elvis, Beatles, Bee Gees und Queen.... Das geht zackzackzack hintereinander her und ineinander über, dass es nur so ein Fest, pardon, eine Fiesta ist. Auch Paul Anka kommt zu hoher Ehre, als Ramon, unterstützt von den Kastagnetten-Flossen der Amigos, sein „A Mi Manera“ zu Gehör bringt (das ist Spanisch und bedeutet „I did it my way“). Und natürlich bringt Mumble die Seinen noch zum Tanzen – immer schön aus dem Schultergürtel heraus. Dieses herrliche Geflüsical mit seiner ernster Seele sollte eigentlich im Stehen genommen werden. Denn es fällt schwer, still zu sitzen. Und auch wenn der Saal längst verlassen ist, muss man ganz schön an sich halten, um nicht jubelnd und watschelnd auf offener Straße in Gesang und Tanz auszubrechen.

Ab Donnerstag in 27 Berliner Kinos, OV im Cinestar Sony-Center

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