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Kultur: Das Bachperlenspiel

Kinoland ist Wunderland: „Mongolian Ping Pong“, eine philosophische Komödie aus China

Was ist das? Es ist klein, weiß, rund, bissfest – und die Sonne scheint hindurch. Ein Tischtennisball schwimmt auf dem Steppenbach, und der Nomadenjunge Bilike rätselt mit seinen Freunden über die Identität der „leuchtenden Perle“. Der Schatz des Flussgeistes? Ein Vogelei? Ein Utensil zum Stopfen der Rattenlöcher? Der Polizist nennt das Ding Pingpongball – und im Fernsehapparat, der mitten in der Steppe zwar Töne, aber keine Bilder preisgibt, ist von Pingpong als dem nationalen Spiel die Rede. Die Jungs beschließen, den Nationalball dem Volk zurückzuerstatten und machen sich auf nach Peking. Aber die Wüste Gobi ist größer, als sie denken ...

Ein Kinderfilm? Keineswegs. „Mongolian Ping Pong“, diese philosophische Kinokömodie, erzählt vom Außergewöhnlichen im Gewöhnlichen: herzergreifend komisch, kindlich weise, atemberaubend schön. Der Wind zaust am Steppengras, ein Pferd schnaubt, die Wolken hängen bleischwer über dem Land – und die Jungs veranstalten Wettrennen mit Pferden und einem klapprigen Moped. Tagsüber ist der Himmel groß, nachts erhellt der Mond, selbst so eine leuchtende Perle, das Panorama der mongolischen Wüste.

Der erst 28-jährige Regisseur Ning Hao setzt auf Kontraste: Auf den prosaischen Augenblick, der den Witz gebiert, auf die Kollision der Stille mit der Pointe und die Poesie des schier unendlichen Horizonts, der den Mikrokosmos des nomadischen Alltags beherbergt. Die Jurte, ein kleiner, weißer Punkt im Universum. Darin sitzt die Großmutter mit Riesenbrille und spinnt Schafwollfäden. Die ältere Schwester, die bei einer Tanztruppe anheuern möchte, flirtet derweil mit dem fliegenden Händler. Der wiederum verkauft amerikanischen Tee namens Kaffee und veranstaltet Gewinnspiele mit rollenden Fahrradreifen. Worauf Bilikes Vater unentwegt das Reifenrollen übt – wenn er nicht die Tiere zusammentreibt oder seine meterlange Gerten-Fernsehantenne zu richten versucht. Die größten Kindsköpfe in diesem Film sind die Erwachsenen.

Ning Hao gehört zu jener chinesischen Regie-Generation, die zwischen Propaganda und Dissidenz einen dritten Weg versucht, indem sie die Zensur mit Bauernschläue umgeht. Er arbeitet minimalistisch, verzichtet zum Beispiel auf jeglichen Soundtrack und hat ein feines Gespür für Timing sowie für die Komik des zweiten Blicks. Seine Protagonisten stellt er vor, wie sie gerade fürs Familienfoto auf dem Platz des Himmlischen Friedens posieren. Die Kamera fährt zur Seite, und man begreift, dass mitten in der Steppe fotografiert wird, vor einer Plakatwand. Später, in der Stadt, posieren die Leute vor einem Steppen-Poster …

Nichts ist, was es scheint: auch die Kindheit nicht. Sie ist unbändiger hier, aber auch unkindlicher, ohne Scheu, voller Freiheit und Verantwortung. Die Großen greifen nur ein, wenn es sein muss. Den Streit um den Ball schlichten sie in einer Art Gerichtsverhandlung, an deren Ende ein salomonisches Urteil gefällt wird. Und das mitten im Unrechtsstaat China.

Alle Darsteller sind Laien; ihr vermeintlich harmonisches Dasein im Einklang mit der Natur ist von Spurenelementen der Konsumgesellschaft durchsetzt. Nicht dass der Kapitalismus sie korrumpiert; sie verwandeln ihn sich vielmehr an – auf ihre Weise. Das Covergirl Kylie Minogue interessiert Papa Bilike weniger als die Windmühle in der Zeitschrift. Aber eine Mühle taugt nichts in der Steppe, also wird’s doch wieder eine Jurte – aus Stein. Mit seiner dokumentarischen Neugier, die die romantische Landschaft Ostasiens lakonisch konterkariert, erinnert „Mongolian Ping Pong“ an die Balkanmärchen Emir Kusturicas. Nur dass es leiser zugeht.

Ning Hao bringt das Unscheinbare zum Leuchten. Ein Pingpongball wird zur Perle, und im Schnöden scheint das Schöne auf.

OmU. Broadway, Filmtheater am Friedrichshain, fsk, Hackesche Höfe

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