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Kultur: Das Bastard-Land

Kiran Nagarkar glaubt nicht an das reine Indien – und schreibt über den Ursprung des Fanatismus

Und das soll nicht seine Muttersprache sein? Man muss diesen Mann nur fünf Minuten englisch sprechen hören, und der Vorwurf des linguistischen Landesverrats wird vollends unbegreiflich. Selbst mündlich navigiert Kiran Nagarkar mühelos durch alle anglophonen Register zwischen Cambridge und Cockney. Er stehe eben, wie viele Inder seiner Generation, zwischen zwei Kulturen, sagt Nagarkar, der 1942 in Bombay geboren wurde. „Wir sind Hybride, wir sind Krüppel. Eine Hälfte von mir sieht nach Indien, die andere nach England.“

Seinen ersten Roman hatte Nagarkar in den siebziger Jahren noch auf Marathi geschrieben, der Regionalsprache des Bundesstaats Maharashtra. „7 mal 6 ist 43“ wurde ein fulminanter Kritikererfolg – und ein finanzieller Totalflop. „Es hieß, ich hätte Marathi als Literatursprache neu erfunden“, sagt Nagarkar, „aber verdient habe ich an dem Buch vielleicht 200 Rupien“ – ein paar Euro. Erst 15 Jahre später raffte er sich erneut zu einem Roman auf: 1991 erschien das Bombay-Buch „Ravan und Eddie“, auf Englisch. Bombay war inzwischen hinduisierend in Mumbai umbenannt worden, die rechtspopulistische Shiv Sena wetterte im Parlament gegen ethnische und linguistische Überfremdung – und über Nagarkar brach ein Gewitter nationalistischer Beschimpfungen herein. Er habe seine Muttersprache verraten, hieß es. „Dabei hat sich bis heute niemand die Mühe gemacht, ‚Ravan und Eddie’ ins Marathi zu übersetzen“, sagt Nagarkar, der den Streit inzwischen nur noch belustigend findet.

Zurecht, denn tatsächlich ist es ein konfuses Unterfangen, ausgerechnet in Bombay – diesem vielleicht eklektischsten aller städtischen Gebilde – so etwas wie kulturelle Reinheit zu fordern. Dass sich trotzdem gerade in Bombay immer wieder Adepten eines solchen Sauberkeitswahns finden, sei die stärkste Motivation für sein jüngstes Buch gewesen,sagt Nagarkar.

„Gottes kleiner Krieger“ ist der Entwicklungsroman eines Fanatikers. In Bombay wächst der junge Zia unter den Augen seiner liberalen muslimischen Eltern zum islamistischen Extremisten heran, der später in Cambridge die Fatwa an Salman Rushdie zu vollstrecken versucht und sich in Kaschmir zum Terroristen ausbilden lässt. Der erste weltanschauliche Schwenk erfolgt nach 250 Seiten: Da wird der Dschihad-Krieger Zia in Kalifornien zum nicht weniger fanatischen Trappistenbruder Lucens, der später auch unter dem tantrabuddhistischen Sanskrit-Namen Tejas nicht sein Hauptziel aus den Augen verlieren wird: den unbedingten Glauben an den Glauben – und den konsequenten Hass auf das Leben.

Das Buch sei als Roman über den Terrorismus gelesen worden, sagt Nagarkar, aber darum sei es ihm nicht gegangen. Vielmehr habe er rein psychologisch nachvollziehen wollen, wie Idealismus – inhärenter Bestandteil noch der friedlichsten Weltanschauung – in Extremismus umschlage. Auch wenn Nagarkars opulenter Gebetsteppich mitunter postmodern ausfranst, weil der Autor ihm schlicht zu viel weltanschauliches Bildungsgewölle einwebt: „Gottes kleiner Krieger“ überzeugt. Vielleicht kann nur ein bekennender Bastard wie Kiran Nagarkar dem Ursprung des Fanatismus derzeit so ideologiefrei auf den Grund gehen.

— Kiran Nagarkar: Gottes kleiner Krieger. Roman.

Aus dem Englischen von Giovanni und

Ditte Bandini.

A1 Verlag, München. 694 Seiten, 28,90 €.

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