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Mit der Flasche Corona flanieren.

© dpa

Berliner Szene-Touristen und die Bierflasche: Das "Weg-Bier", ein Must-have

Morgens, mittags, abends: Die Bierflasche in der Hand gehört in Berliner Ausgehvierteln mittlerweile zum guten Ton und macht das "Weg-Bier" zum Modeaccessoire. Was soll das?

Man kennt das noch gut aus seiner eigenen Jugend: Wie man auf dem Weg zu einem Konzert im Loft oder im Exstasy schon mal eine Flasche Bier in der U-Bahn trank und dann vielleicht noch eine oder zwei vor den jeweiligen Läden, die dann in türkischen Imbissen am Nollendorfplatz oder in der Hauptstraße erworben wurden. „Vorglühen“ hieß das und heißt es wohl noch heute: um ein bisschen in Stimmung zu kommen und gleichzeitig den Geldbeutel nicht zu sehr zu belasten, denn die vier Mark für das Beck’s im Loft oder Exstasy waren ein Batzen.

Ansonsten war das Herumziehen mit dem Bier in der Hand eher die Ausnahme. Das geschah meist nachts, wenn man noch nicht ausgetrunken hatte und es schon wieder woanders hinging. Heutzutage aber scheint es gar nicht mehr ohne zu gehen: Die Berliner Szene-Touristen und gerade auch Touristinnen, die auf der Schlesischen Straße flanieren oder sich in der Gegend um die Warschauer Brücke auf Friedrichshainer Seite herumtreiben, haben eine Bierflasche in der Hand: die kleine dunkelgrüne, manchmal orangefarbene oder hellgrüne (Mix-Bier!), oder, viel häufiger, die große braune. Und nicht nur abends und nachts, nicht nur in den U-Bahn-Linien 1 und 8 am Wochenende, sondern den ganzen Tag, egal wann in der Woche. Also auch dann schon, wenn sie morgens oder mittags in ihren Hostels aufschlagen: in der rechten Hand das Bier und in der linken den Rollkoffer gewissermaßen.

Das Mantelbier ist zum 24-Stunden-Allzweck-Bier geworden

Aber was soll das? Ist das jetzt das große Berliner Freiheitsversprechen? Weil man hier noch etwas darf, was in den USA sowieso nur mit der braunen Tüte drüber geht und auch in anderen europäischen Hauptstädten wie Madrid, Helsinki oder Paris nicht Usus ist und auch nicht gern gesehen wird (und letztlich den aus der Gesellschaft Herausgefallenen vorbehalten ist?). Das „Weg-Bier“ oder das „Mantel-Bier“, früher das Bier zum guten Schluss, für den Weg, ist jetzt zu einem 24-Stunden-Allzweck-Bier geworden, vielleicht auch ein ultramodernes „Stützbier“, weil der Reizüberflutung von Kreuzberg und Friedrichshain gar nicht anders begegnet werden kann.

Nein, die Bierflasche in der Hand, sie muss sein, selbst wenn das Trinken während des Gehens keinen Spaß macht und nicht schmeckt, genauso wenig wie die Zigarette auf dem Fahrrad, die eigentlich nur etwas für die ganz Süchtigen ist. Wie man hört, werden die Weg-Biere auch von dem einen oder anderen Berlin-Reiseführer empfohlen, weil sie hier angeblich zum guten Ton gehören, weil sie von allen getrunken werden. Oder doch, weil es rebellisch aussieht? Oder cool ist? Die Bierflasche als Modeaccessoire – das gibt es wirklich nur in Berlin.

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