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Kultur: Das Bild hinter der Welt hinter dem Bild

Der Zweifel ist eine treibende Kraft für Gerhard Richter. Anders als viele seiner Kollegen lässt er sich nicht festlegen, nicht mit zwei, drei Stichworten umreißen.

Der Zweifel ist eine treibende Kraft für Gerhard Richter. Anders als viele seiner Kollegen lässt er sich nicht festlegen, nicht mit zwei, drei Stichworten umreißen. Immer wieder hat er seine Malerei variiert, übermalt, neu erfunden: von den "unscharfen" Fotogemälden, die er Anfang der sechziger Jahre begann, über die konzeptuellen Farbfelder und die grauen Bilder in den Siebzigern bis zu den abstrakten Gemälden. Manche der Werkserien sind für ihn ausgeschöpft und abgeschlossen, andere variiert er unermüdlich. Aber das Strebende und Unbändige liegt wohl auch im Wesen des Mannes, der als erimitierter Professor heute abseits von Kunstspektakeln mit zwei kleinen Kindern und der dritten Ehefrau in einem selbst entworfenen Haus in Köln lebt und arbeitet.

Als Sohn eines Lehrers und einer Buchhändlerin wurde Richter 1932 in Dresden geboren und wuchs in der Oberlausitz auf. Mit 16 verlässt er die Schule, tingelt mit Laienspielzirkeln durch die Dörfer und wird Bühnenmaler in Zittau. Später entwirft er Spruchbänder und Embleme für einen volkseigenen Betrieb, der ihn 1951 weiter an die Kunstakademie in Dresden vermittelt. Es fällt aus heutiger Sicht schwer, sich Richter im sozialistischen Realismus vorzustellen, seine Diplomarbeit - ein Wandgemälde im Deutschen Hygienemuseum - wurde übermalt, eigene Werke hat er zerstört. Auf der documenta II fasziniert Richter die abstrakte Malerei, vor allem die Werke von Pollock und Fontana. Zwei Jahre später zieht er kurz vor dem Mauerbau nach Düsseldorf. Zusammen mit Sigmar Polke und Konrad Lueg (der sich als Galerist später Konrad Fischer nannte) studiert er bei K. O. Götz. Nur kurz währt seine tachistische Phase, und als er 1963 im Düsseldorfer Möbelhaus Berges an dem Happening "Demonstration für den Kapitalistischen Realismus" mitwirkt, hat er mit der Nummer 1 und dem Bild "Tisch", das nach einer Fotovorlage entstand, bereits sein bis heute weitergeführtes Werkverzeichnis begonnen.

"Ich hatte die Scheißmalerei satt, und ein Foto abzumalen erschien mir das Blödsinnigste und Unkünstlerischste, was man machen konnte", notiert Richter 1964. Es ist ein Befreiungsschlag, eine Möglichkeit, das Denken auszuschalten, und die Entscheidung, sich von ästhetischen Vorlieben zu lösen. Fotos, Zeitungsausschnitte oder Werbung dienen als Ausgangsmaterial für die Bilder, befreien von der Frage nach dem "was". Früh beginnt Richter diese Vorlagen und kleinen Zeichnungen zu sammeln, sein Bilderarchiv zum "Atlas" zu katalogisieren. Dieser Ideenkatalog, der bis 1996 auf ein Konvolut von etwa 5000 Einzelbildern gewachsen ist und heute dem Lenbachhaus in München gehört, gibt einen Überblick über das Themenspektrum Richters: Landschaften, Familienbilder, Porträts, Stillleben, Interieurs.

1988 entsteht der Zyklus "18. Oktober 1977" nach Fotografien der Toten aus Stammheim, zehn Jahre währt die Dauerleihgabe ans Frankfurter Museum für Moderne Kunst. Schmerzhaft holen diese 15 Bilder verdrängte Geschichte wieder ins Bewusstsein. Tod und Abschied sind die zentralen Themen des Ideologiekritikers Richter, der den Zyklus nicht für nationale Aufarbeitung instrumentalisieren lassen will. Das zentrale Stück deutscher Nachkriegsmalerei hängt inzwischen - mit Sicherheitsabstand - im Museum of Modern Art in New York. Denn Richters Bilder - unabhängig davon, ob sie abstrakt oder gegenständlich sind - hinterfragen die Bedingungen der Malerei zwischen Wirklichkeit, Bildwirklichkeit und Abbild. Schon Mitte der 80er Jahre notierte er: "Keine Ideologie. Keine Religion, kein Glaube, kein Sinn, keine Fantasie, keine Erfindung, keine Kreativität, keine Hoffnung - sondern Malerei wie die Natur, als Werden, Entstehen, Da-Sein, So-Sein, ziellos, genau so richtig, logisch, vollkommen und unverständlich."

Richter hat alle großen Kunstpreise gewonnen, auf Auktionen erzielten seine Werke Preise in Millionenhöhe, in einer Woche beginnt im New Yorker Museum of Modern Art eine große Retrospektive. Was ist ihm zum 70. Geburtstag zu wünschen? Vielleicht, dass das Zweifeln nie aufhört.

Karin Wittneven

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