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Kultur: Das Chamäleon trägt Brille

FORUM Die Verwandlungskünstlerin Nikki S. Lee porträtiert sich selbst

Den durchdringenden Blick dürfte sie gewohnt sein, dahinter immer die unausgesprochene Frage: Wer ist sie wirklich, diese Nikki S. Lee? Auch die persönliche Begegnung mit der eigens aus New York angereisten Künstlerin gibt keine Antwort. Fast hätte man die zierliche Koreanerin übersehen, wie sie in ihrem schwarzen Outfit aus dem Dunkel des Kinosaals ins Foyer des Cinemaxx huscht. Schon wieder sieht sie anders aus. Nicht burschikos mit verstrubbeltem Bubikopf und zerknittertem Herrenhemd, wie sie sich in ihrem eigenen Dokumentarfilm als „real Nikki“ ausgibt, sondern mit langem glattem Haar und im dezenten Künstlerchic, inklusive Nadelstreifen. Also, welche Version ist denn nun die richtige?

Nikki S. Lee liebt das Verkleidungsspiel. Mit ihren Maskeraden avancierte sie in den letzten Jahren zu einer der gefragtesten Fotokünstlerinnen, immer wenn es um das Thema Identität und kulturelle Unterschiede ging. Denn anders als Cindy Sherman, mit der sie gern verglichen wird, stellt sie sich nicht als Persona aus oder empfindet Filmstills nach, sondern schlüpft perfekt in fremde Settings. Ihren Reiz besitzt diese Travestie, weil hier eine Asiatin die Rollen eines All-American-Wesens überstreift. Da wird sie zum Schulmädchen im Schottenröckchen, eins unter anderen, zur Rentnerin mit Riesenbrille, Arm in Arm mit „Gleichaltrigen“, oder zur Stripperin mit Dollarnoten im Dekolletee.

Da liegt es auf der Hand, einen Dokumentarfilm über diese Verwandlungsvirtuosin zu drehen, was diese als künstlerisches Projekt gleich selbst übernimmt. Zwei Jahre ließ sich Nikki S. Lee von einem Kameramann begleiten, nach Venedig auf die Biennale, nach Süd-Korea zu Dreharbeiten für den Film „The Girl Who Has Many Selves“ oder nach Paris zu einem Modeshooting bei Valentino. Nie weiß der Betrachter wirklich, ob die Szenen gestellt sind oder real. Bei einer Tasse Kaffee – der Kampf gegen das Jetlag beginnt – in der lärmigen Bar des Cinemaxx versichert die 36-Jährige glaubhaft, dass selbst die amüsante Episode ihrer ersten Ausstellung in Deutschland den Tatsachen entspricht. Von ihren Fotoarbeiten waren die Rahmen entfernt worden. „Das ist nicht mehr meine Arbeit“, sagt die fassungslose Künstlerin zu ihrer ebenso entsetzten Galeristin im Film. Als grummelnde Frankfurt-Besucherin wird sie vor der Vernissage durch die Stadt begleitet. Nur darin läge eine kleine Unwahrheit, erklärt sie kichernd, schlechte Laune hätte sie nicht gehabt.

Wie ihre Fotoarbeiten, die einerseits den voyeuristischen Blick auf sich ziehen, andererseits die ernste Frage nach dem innersten Kern eines jeden Menschen evozieren, funktioniert auch Nikki S. Lees Dokumentation über sich selbst: Kurzweilig hüpft er von Drehort zu Drehort, chamäleonhaft verändert sich auch die Hauptdarstellerin mit jedem Set. War sie am Anfang noch der glamouröse Künstlerstar, der mit dem Wassertaxi zur Biennale di Venezia eilt, so ist sie am Ende das nette Mädchen von nebenan im Sommerkleidchen mit Flipflops, das sich in Mexiko-City bei einem Tanzvergnügen unter freiem Himmel unprätentiös zur „Danzón“-Musik mit ihren greisen Partnern dreht.

„Das Leben besteht aus verschiedenen Mustern“, sagt sie an einer Stelle. „Ich versuche eben mein Muster zu wechseln.“ Als Philosophie für einen unterhaltsamen Film mag das genügen, zumal „a.k.a. Nikki S. Lee“ nicht wirklich nach den Ursprüngen dieser Muster fragt. Höhepunkt der inhaltlichen Auseinandersetzung ist die Bemerkung der New Yorker Galeristin: „Du bist wirklich eine Konzeptkünstlerin.“ In ihrem fotografischen Werk hat die Koreanerin, die zum Studium der Modefotografie nach New York kam und zunächst als Assistentin von David LaChapelle arbeitete, glücklicherweise mehr zu bieten. In ihren Arbeiten fragt sie nach den kulturellen Bedingungen unseres Seins. Mit ihrer letzten Foto-Serie, den „Parts“, bezog sie das unmittelbare soziale Umfeld ein. Auf den Paarbildern war jedes Mal der männliche Part weggeschnitten. Nur noch ein Arm, ein Bein ist zu sehen, von dem der Betrachter Rückschlüsse auf die verlassene Partnerin zieht.

Nach Berlin hat Nikki S. Lee ihren Freund, einen koreanischen Schauspieler, mitgenommen; gleichmütig sitzt er neben ihr. Nur für eines ihrer Fotos posieren, das würde sie nie mit ihm.

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