zum Hauptinhalt

Kultur: Das "Dessau-Wörlitzer Gartenreich": Hier ist der Mittelpunkt des Einfachen und des Erhabenen

Geschundene Landschaften, qualmende Kraftwerke, beißendes Odeur chemischer Großgiftküchen, schwarz-bleiern dahinschiebende tote "Flüsse": Das östliche Sachsen-Anhalt hatte nicht die Schokoladenseite des real existierenden Sozialismus abbekommen. Eine IBA-Bauausstellung schickt sich nun an, von Dessau aus die Wunden zu heilen, die vernarbten Landschaften zum Blühen zu bringen.

Geschundene Landschaften, qualmende Kraftwerke, beißendes Odeur chemischer Großgiftküchen, schwarz-bleiern dahinschiebende tote "Flüsse": Das östliche Sachsen-Anhalt hatte nicht die Schokoladenseite des real existierenden Sozialismus abbekommen. Eine IBA-Bauausstellung schickt sich nun an, von Dessau aus die Wunden zu heilen, die vernarbten Landschaften zum Blühen zu bringen. Dessau, mit dem Bauhaus und dessen Architektur bereits in der Liste des Weltkulturerbes eingetragen, versucht, den Impuls aus Tradition und internationaler Kulturpflege umzusetzen in eine Landesentwicklung des Chemie- und Braunkohlereviers mit ökologischem Anspruch.

Dabei hat man, neben den berühmten Bauhausbauten, noch weitere Juwele in Obhut, die Kristallisationskern und Ansporn sein können. Das "Dessau-Wörlitzer Gartenreich", eine vom Geist der Aufklärung durchdrungene Kulturlandschaft, in Deutschland nur mit Lennés Potsdam zu vergleichen, ist jüngst ebenfalls in die Weltkulturerbe-Liste der UNESCO aufgenommen worden. Die Schlösser und Parks rings um Dessau vermögen den Geschichtsverlust etwas zu mildern, den die einstige Residenzstadt durch den Krieg und den Wiederaufbau nach DDR-Doktrin erlitten hat.

Wer den Clitumnus-Tempel von Spoleto, wer die römische Egeria-Grotte, wer den Athener Turm der Winde besuchen möchte, der muss sich nicht auf die weite Reise in den Süden begeben. Im Wörlitzer Park hat er alles hübsch beieinander, als Drolerien, kleine Schmuckarchitekturen, die im englischen Landschaftsgarten Sichtachsen oder malerische Lichtungen pointieren. Auch die beliebten Kahnpartien führen am "Pantheon" vorbei, am "Nymphäum" oder an einer Nachbildung der Coalbrookdale Brücke, der frühesten Eisenbrücke, die 1779 in England über den Severn geschlagen wurde. Rousseau, einem der geistigen Väter der Anlagen, ist ein wunderbar malerisches Inselchen mit Pappelgruppe und Steinvase gewidmet. Die Fahrt, vom Ruf der Pfauen begleitet, mag am "Stein" enden, der kleinen Insel mit einem Miniatur-Vesuv, der bei zeitgenössischen Festlichkeiten bengalisch erleuchtet und zum Rauchen gebracht wurde.

"Der Leser erwarte nun nicht eine vollständige Schilderung aller schönen und anmuthigen Punkte ... noch eine Andeutung der Gefühle, welche jeder Punkt im gefühlvollen Wanderer erweckt", kann man sich einem Führer von 1843 anschließen. Wörlitz geht zurück auf den aufgeklärten Fürsten Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1758 - 1817). "Seines Volkes Vater, seines Landes zweiter Schöpfer", wie der beliebte Potentat genannt wurde, hatte das humanistische Bildungsideal und das Bekenntnis zu Winckelmanns Antikenrezeption ab 1764 in einem "Themenpark" veranschaulicht, der den Geist und die Seele bilden sollte. Friedrich Wilhelm Freiherr von Erdmannsdorff erbaute ihm das Schloss Wörlitz als palladianische Villa und initiierte dazu den Garten, der die englischen Vorbilder in den Schatten stellte (England hatte der Fürst in Begleitung seines Baumeisters mehrmals bereist).

Schon zu DDR-Zeiten war der als nationales Kulturerbe der DDR ausgezeichnete Park Touristenattraktion erster Kategorie. Damals schnaufte eine Nebenbahn von Dessau über Oranienbaum bis nach Wörlitz. Inzwischen ist der Betrieb privatisiert, zuckelt sommers ein alternder Schienenbus in Zweitverwertung mit nervtötendem Tempo die Strecke entlang. Den in Dutzenden von Bussen anreisenden Tagesbesuchern wird weniger bewusst, dass Franz seine Residenzstadt mit einer ganzen Perlenkette an Gärten, Anlagen und Schlösschen umgab und auch die verbindenden Alleen landschaftlich verschönern, Felder und Auen in Ordnung bringen ließ, denn die gestalteten Parks sollten bruchlos in die umgebende Kulturlandschaft übergehen. Landwirtschaft wurde als Staffage in die sentimentale Landschaftskomposition einbezogen.

Das Dessau-Wörlitzer "Gartenreich" umfasst Schloss und Park Kühnau sowie das Georgium im Westen, das neugotische Jagdschloss Haideburg im Süden, den Dessauer Lustgarten am Stadtschloss, Ostpark, Luisium, Sieglitzer Park, Fliederwall, Wörlitz, Drehberg und schloss ältere Anlagen, das Dessauer Residenzschloss aus der Renaissancezeit, das barocke Oranienbaum und Schloss Mosigkau südwestlich der Stadt mit ein. Gerade die stilleren Anlagen wie Mosigkau, als Rokoko-Museum eingerichtet und mit Filzpantoffeln zu besichtigen, oder das in eine barocke Stadtanlage eingebundene Schlossensemble Oranienbaum mit Gartenparterre, chinesischem Pagodenturm und chinesischem Teehaus sowie einer eindrucksvollen Orangerie sind auf der Suche nach Stimmung und Besinnung lohnende Ziele. "Nirgends findet man den Mittelpunkt des Einfachen und des Erhabenen so sehr; niemals haben sich Philosophie und Künste in einem kleinern Raum vereinigt", schrieb der Revolutionär Wilhelm Ludwig Weckerlin 1791 über das weltoffene und liberale Musterländchen des Fürsten Franz, das Goethe als "wohladministriert" bezeichnete und in dem man freier lebte als im "sklavischsten Land Europas, Preußen" (Lessing). Das Gartenreich, nicht wie die englischen Parks zur Erbauung höfischer Gesellschaften entworfen, sondern zur Bildung des Volkes, zur Vermittlung aufklärerischer Ideen errichtet, ist Teil dieser "Revolution von oben". Von Anbeginn war Dessau Ziel vieler Bildungsreisender, Künstler, Dichter und Philosophen. Von Dessau aus verbreitete sich die Idee der "Landesverschönerung" durch den Landschaftsgarten, der mit seinen Pilgerwegen durch die Geisteswelt die Themen des klassisch-romantischen Zeitalter illustriert, in andere europäische Länder.

Solche Zusammenhänge zu vermitteln, Schlösser und Gärten zu pflegen, Sichtachsen neu freizuschlagen, zahlreiche Kleinarchitekturen, palladianische Ruheplätze am Wege, Raststätten, Chausseehäuser, Denkmale, Orangerien, Mausoleen und Pagoden zu restaurieren, ist eine gewaltige Aufgabe, die durch das Adelsprädikat "Weltkulturerbe" gewiss erleichtert wird.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false