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Kultur: Das Deutsche Theater oder Die letzte Chance

Das war nicht einfach nur ein Betriebsunfall. Wie der Berliner Kultursenator die Suche nach einem künftigen Intendanten des Deutschen Theaters betrieben hat, gleicht einem Offenbarungseid.

Das war nicht einfach nur ein Betriebsunfall. Wie der Berliner Kultursenator die Suche nach einem künftigen Intendanten des Deutschen Theaters betrieben hat, gleicht einem Offenbarungseid. Für eine der erstrangigen Kulturinstitutionen des Landes wurde im Hintertreppenverfahren eine vorher nie ernsthaft erwogene Lösung gefunden. Bernd Wilms, Ende 50 und ein erfahrener, respektabler Theatermann, hat als Intendant des kleinen Maxim-Gorki-Theaters in Berlin vorzügliche Arbeit geleistet. Aber er selbst weiß am besten, daß alle seine bisherigen Aufgaben mit der ihm in Aussicht gestellten Leitung des Deutschen Theaters nicht zu vergleichen sind und sein Name unter normalen Umständen für eine solche Position nicht zur Debatte stand.

Die Entscheidung von Senator Peter Radunski hat Berlin beschädigt. sie gilt im ganzen Land als Lach- und Tränennummer. So aber muß der Überraschungskandidat, der die vom Kultursenator ausgeplauderte "augenzwinkernde Verständigung" vielleicht doch genauer hätte prüfen sollen, statt dieser Hauruck-Nominierung eilfertig zuzustimmen, so muß er erfahren, daß sich nirgendwo unter Theaterkünstlern und Publizisten eine Stimme von Gewicht für ihn erhoben hat. Daß Wilms bei seiner öffentlichen Präsentation letzte Woche kein Programm und keine den Neuanfang beglaubigenden Mitstreiter (außer seinen bisherigen Gorki-Kollegen) benennen konnte, ist dabei kein Wunder.

Radunski hat alle verprellt. Erst Thomas Langhoff, den er mit seiner Nicht-Vertragsverlängerung brüskierte, statt ihn persönlich einzubinden in eine Nachfolgelösung und in jenes Projekt, das Wilms jetzt richtig, wenngleich ohne eigenen substantiellen Vorschlag benannte: "Ein Theater mit alter Tradition ist neu zu erfinden." Tatsächlich hatte Thomas Langhoff nach der Wende zunächst erfolgreich den Versuch unternommen, den Titel des Hauses ernstzunehmen. Dieses "Deutsche Theater" hatten einst Otto Brahm und Max Reinhardt zum Flagschiff nicht nur der Berliner Szene gemacht; zuletzt dann zur (immer oppositionelleren) DDR-Staatsbühne geworden, sollte das Deutsche Theater ab 1990 zu einem wieder Lokalität und Grenzen überspielenden Haus für ganz Berlin und das deutschsprachige Theater werden. Langhoffs Reform, durch den Weggang von Heiner Müller und Frank Castorf gebremst, ist freilich steckengeblieben. Prägende neue Regisseure, neben Langhoff und auch jünger als Langhoff, haben sich am Ende nur in der winzigen "Baracke" entwickeln können; das DT war in den letzten Jahren nicht mehr der Ort von Uraufführungen oder durch Inszenierungen dort wesentlich gewordener klassischer oder zeitgenösssicher Stücke - eine Ausnahme vielleicht Tankred Dorst "Herr Paul"; zudem ist das Ensemble, verglichen mit München, Hamburg, Wien oder der früheren Schaubühne, immer grauer geworden, es hat keine durchdringende, belebende Integration wichtiger Schauspielern aus der alten Bundesrepublik, der Schweiz oder Österreich mehr stattgefunden. Und Langhoff selbst, der Übervater, konnte seinen Töchtern und Söhnen nicht gut sagen, daß es bisweilen noch schönere gibt als sie auf der Welt.

Langhoff, der von der Intendantenbürde in zwei Jahren befreit sein wird und nun immer energievollen, kämpferischer wirkt für sein Haus, Langhoff würde heute noch gerne mit Dieter Dorn, dem Regisseur und Intendanten der Münchner Kammerspiele, und mit zwei, drei jüngeren Regisseuren für drei Jahre ein neues Fundament legen. Dorn könnte sofort eine Riege erstklassiger Schauspieler, von Thomas Holtzmann bis Sunnyi Melles, nach Berlin mitbringen. Radunski, der Augenzwinkerer, hat seinen Staatssekretär noch Tage vor der Miniaturlösung Wilms nach München zu Dorn geschickt. Statt selbst zu fahren. Statt seriös zu verhandeln. Er hatte vorher mit Luc Bondy in Lausanne gesprochen, wollte sich von Bondy weiter beraten lassen und hat sich danach nie mehr gemeldet. Er hat den Stuttgarter Intendanten Schirmer erst angespitzt und dann hängenlassen. Er hat nie ernsthaft die Möglichkeit geprüft, den ehrgeizigen, aus Ost-Berlin stammenden und mit Ende 30 als Generalintendant in Basel bereits mit Autorität, Erfolg und Erfahrung begabten Michael Schindhelm an das DT zu holen. Auch dieser Name war in Radunskis Spiel, doch auch dieser wurde verprellt und die Chance vergeben, mit Schindhelm zugleich zwei der besten jüngeren Regisseure, Stefan Bachmann und Andreas Kriegenburg (beide in Berlin wohlbekannt), als kontrapunktierende neue Kräftezu gewinnen.

Inzwischen meutert das mißachtete DT-Ensemble. Aber die Solidarität zumindest derer, die bei einem stärkeren Intendanten um ihre Jobs und Rollen fürchten müßten, dürfte sich irgendwann erschöpfen. Nur darauf kann Wilms jetzt bauen. Sein Kollege Claus Peymann hat ihm in dieser unwürdigen Situation indes öffentlich zum ehrenvollen Rückzug geraten. Das wäre noch eine Chance. Für das Deutsche Theater und für den Kandidaten.

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