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Kultur: Das Ende der glücklichen Tage

Sportlerdämmerung: Prinz, Daum, Becker – den Göttern in kurzen Hosen droht nun auch das Schicksal des Neuen Markts

von helmut schümann

Ach, es waren schöne Zeiten für unsere Freunde, die Sportler. Man handelte Verträge aus und setzte Summen ein, die geradezu aus den Börsenkursen der New Economy abgeschrieben waren und hundert-, fünfhundert-, ja tausendprozentige Gehaltssprünge versprachen. Man war jung, hieß Jens Nowotny und hatte eine glänzende Zukunft vor sich, einen millionenschweren Vertrag in der Tasche und – kost’ ja nix – noch mal 40000 Mark Handgeld dazu. Oder man wurde Bundestrainer, oder glaubte es kurzfristig, und verabredete sich am Hafen von Porto Portals auf Mallorca, um eine frühe Ich-AG zu gründen. Die sollte in jenen schönen Zeiten noch „Christoph Daum-AG“ heißen, aber damals war das das Gleiche. Man nahm auch schon mal eine Nase. Man war heilig, sakrosankt, verprügelte in Discos fremde Frauen, schwängerte in Besenkammern und auf Weihnachtsfeiern andere, man hieß Effe, Boris, Kaiser, man war Gott in kurzen Hosen.

Ist es vorbei und wirken deshalb die Nachrichten vom Anwalt Prinz, der sich mit seinem früheren Mandanten Daum ums Geld streitet, wie Nachrichten aus einer untergegangenen Zeit? Wie Berichte von Menschen, die den Startschuss in die neue Ära nicht gehört haben? Die Stimmung jener Tage – ein, zwei Jährchen ist sie gerade her –, die Daum und die ihn umschwirrenden Satelliten träumen ließ vom ganz großen Wurf (damals waren es realistische Träume, muss man fairerweise sagen), steht im krassen Gegensatz zur heutigen allgemeingesellschaftlichen Land-Unter-Depression, in der Sozialpunkte am Arbeitsplatz mehr Sicherheit versprechen als Chuzpe.

Aber dennoch: Vorbei ist es noch nicht, der Ballon fliegt noch. Die Zeitschrift „Max“ hat die große Fotostrecke der „Sex-Symbole Spitzensportler“ auf den Titel gehoben. Franz Beckenbauer hat noch einen weiteren Werbevertrag abgeschlossen. Ein Fußballprofi kriegt in einem Jahr immer noch mehr, als eine vierköpfige Familie in Chemnitz in zehn Jahren ausgeben könnte.

Den Göttern dämmert es, das gewiss. Vor einem Jahr noch sollte ein junger Mann aus Berlin 20 Millionen Mark alleine dafür bekommen, dass er in München einen Vertrag unterzeichnet, der ihm jährlich neun Millionen Mark garantiert. Zwölf Monate später kostet ein brasilianischer Weltmeister vier Millionen Mark, von Handgeldern und zinsgünstigen Krediten ist nicht mehr die Rede. Boris Becker holt die Vergangenheit ein, er steht jetzt vor seinem obersten Richter, vor dem, der über die Steuergelder richtet. Becker hat seine Villa verkauft, er wohnt jetzt zur Miete, „Bild“ sorgt sich um seine Zahlungsfähigkeit. Effe, der wackere Disco-King Stefan Effenberg, dient sich an wie Sauerbier, damit er noch irgendwo ein paar Euro kassieren kann. Und die Steuerfahnder durchforsten die Fußballprofi-Szene. Was lange nicht galt, gilt nun: die Maßstäbe der üblichen Gesetzgebung.

Nun wirken die Nowotnys wie die StartUp-Gründer, die keinen Champagner mehr verspritzen, nur Entsetzen verströmen. Und rücken nicht auch die Freunde vom FC Bayern München ab vom ewigen Beckenbauer, kritisieren ihn, weil er in alter Gewohnheit macht, was er will: diesmal einen Vertrag unterzeichen beim Konkurrenten des Konzerns, der mit dem Verein wirbt. Täuscht es, oder beginnt Beckenbauer planlos zwischen Ehekrise, Fußball-Management und Eigeninteresse hin und her zu eiern? Eiert Beckenbauer, eiert die Branche – und die Krise hat auch die lustigen Sportler erreicht.

Heute wird in Hamburg über die Herren Prinz und Daum zu Gericht gesessen. Noch einmal wird die Rede sein von „Vertragsgesprächsstrategien“, von „Vermarktungspotenzialen“, von „Börsengängen“ und Millionen, Millionen, Millionen. Dann wird man die gleichen Fragen stellen, die man gestellt hat, als der Neue Markt mit Karacho zusammenbrach: Wieso konnte eigentlich eine derart hybride Stimmung entstehen? Und dann kann man sich in all der gesamtgesellschaftlichen Land-Unter-Depression auch ein wenig freuen: Darüber, dass die ach so schöne Zeit für unsere Freunde, die Sportler, zur Neige geht.

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