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Kultur: Das Ende der Spirale

So vollständig wie nie: New Yorks Guggenheim-Museum gastiert in Bonn – 800 000 Besucher werden erwartet

Wer je das Guggenheim-Museum an New Yorks Fifth Avenue durchwandert hat, weiß die Errungenschaften konventioneller Museumsarchitektur zu schätzen. So aufregend der Ausblick in die abwärts führende, sich verjüngende Spirale auch ist, es mangelt ihr an dem für ein Museum entscheidenden Element: dem Raum, der es erlaubt, Bilder in thematischer und chronologischer Abfolge zur Geltung zu bringen. Beinahe jede Ausstellung im Guggenheim ist deshalb ein Kompromiss. Das mag auf einzelne Künstler stimulierend wirken; die Gesamtheit des Guggenheim-Universums lässt sich in New York jedoch nicht vorführen.

Das liefert die Bonner Bundeskunsthalle jetzt in vorbildlicher Weise nach. 15 Kapitel, thematisch und teils auch chronologisch geordnet, führen auf 6000 Quadratmetern den Kosmos Guggenheim vor, der bis zum Jahreswechsel 800 000 Besucher anziehen soll. Dazu kommen nochmals 15 000 Quadratmeter im benachbarten Kunstmuseum der Stadt Bonn, wo Pop- und Minimal-Art untergebracht wurden. Letzteres ist bekanntlich ein Bereich, der im New Yorker Stammhaus aus Gründen der eigenwilligen Architektur von Frank Lloyd Wright nie richtig zur Geltung kommen konnte.

Die Geschichte des Guggenheim, die in Bonn als ein strahlendes Kontinuum vom Impressionismus bis zur Gegenwart vorgeführt wird, verlief in Wahrheit weit windungsreicher. Zufälle spielten immer wieder eine Rolle. Der erste und auslösende war 1928 die Begegnung des Kupfermagnaten Solomon Guggenheim mit der drei Jahrzehnte jüngeren deutschen Malerin Hilla von Rebay, die ihn in einer Art Saulus-Paulus-Wandlung zur abstrakten Kunst bekehrte. Genauer: zur ungegenständlichen Kunst. Denn was 1939 in einem ehemaligen New Yorker Autoverkaufssalon als „Museum of Non-objective Painting“ eröffnet wurde, war eine dezidierte Gegenposition zum zehn Jahre älteren Museum of Modern Art, das von Anfang an ein Kompendium der Moderne nach kunsthistorischen Gesichtspunkten sein wollte.

Hilla von Rebay, die Guggenheim anfangs noch konventionell porträtierte und die in der Berliner Guggenheim-Filiale Unter den Linden gerade als Künstlerin und Muse vorstellt wird (bis 10. Aug.), weckte seinen Pioniergeist und animierte ihn zu umfangreichen Käufen der europäischen Avantgarde, zentriert um Wassily Kandinsky und dessen von Rebay zeitlebens hochgehaltenen Epigonen Rudolf Bauer. Mondrian, Léger, Moholy-Nagy komplettierten die Pioniersammlung.

Der Chronologie halber macht die Bonner Ausstellung nach ihrem grandiosen Kandinsky-Saal einen Rücksprung zum Impressionismus, Mittlerweile war der eigentliche Museumsbau, von dem Rebay stets geträumt hatte, 1943 mit der Wahl des Architekten Wright auf den Weg gebracht, 1945 war das unerhörte Modell vorgestellt worden. Doch Guggenheim starb 1949, und selbst der Architekt erlebte die Eröffnung im Oktober 1949 nicht mehr. Hilla von Rebay war bereits zuvor aus der – recht eigenmächtigen – Leitung des mittlerweile als Stiftung geführten Hauses gedrängt worden. Kunsthistoriker gaben nun den Ton an.

In Bonn ist der Rücksprung nachvollziehbar im Saal mit der Sammlung Justin K. Thannhausers, eines vormals deutschen Kunsthändlers, der 1963 vor allem Picasso, aber auch den französischen Impressionismus ins Haus gebracht hatte. Da sieht man nun Vincent van Goghs „Hügel bei Saint-Rémy“ von 1898, Paul Gauguins „Haere Mai“ von 1891 und als ältestes Werk überhaupt Edouard Manets „Vor dem Spiegel“ von 1876. Im anschließenden Picasso-Raum fällt dessen großartig-düstere „Fernande“ mit schwarzer Mantilla von 1905 /06 ins Auge, zu der der gehaltvolle Katalog nochmals das Gemälde mit dem Galeristen abbildet. Ihm schenkte Picasso zu dessen zweiter Hochzeit 1965 das Stillleben „Hummer und Katze“ – so weit spannt sich der zeitliche Bogen im Werk nur eines einzelnen Künstlers, der hier in einem Raum zu überblicken ist.

Thannhausers Vermächtnis und der Ankauf der ebenfalls exilierten Galerie Karl Nierendorf aus Berlin mit ihrem reichen Programm deutscher Expressionisten veränderten den Charakter des ursprünglich der Gegenwart gewidmeten Hauses vollkommen. Klar, dass auch die zu Tode reproduzierte „Gelbe Kuh“ Franz Marcs von 1911 – sie ist auch als Stofftier erhältlich – wieder einmal nach Europa gekommen ist. Für Thannhauser wurde ein Verwaltungstrakt des New Yorker Hauses umgebaut – ebene Böden, gerade Wände – und eine im Wesentlichen kontinuierliche Präsentation festgelegt.

Und dann war da noch Peggy Guggenheim, die eigenwillige Nichte des Museumsgründers, die sich nie in den Familienverbund integrieren ließ, sondern 1942 ihren Künstlerbekanntschaften ein Podium mit der berühmten Galerie „Art of This Century“ bot: all jenen Surrealisten, denen Rebays ganze Verachtung gegolten hatte. Die umschwärmte Peggy förderte die im Entstehen begriffene New Yorker Schule, insbesondere den schwierigen Jackson Pollock, ehe sie sich für Venedig und ihren intimen, zwischen Galerie und Boudoir changierenden Palazzo am Canal Grande entschied.

Von Pollock werden in Bonn fünf Arbeiten gezeigt, die seine Herkunft aus dem Surrealismus belegen, bis er mit dem „Zauberwald“ (1947) zu seinen „Drip Paintings“ findet. Einen Raum weiter sieht man eines der ergreifenden Gemälde Robert Motherwells aus der Serie „Elegie an die Spanische Republik“ (1971). So ergibt sich chronologisch eine Überschneidung mit dem folgenden Rauschenberg-Raum, der vor allem frühe gemalte Collagen der sechziger Jahre enthält. Es bedurfte unendlich mühsamer Verhandlungen, ehe die Sammlung Peggy Guggenheims 1976, drei Jahre vor dem Tod der Skandalsammlerin, in den Verbund der Guggenheim-Stiftung eingegliedert werden konnte – erster Schritt der Globalisierung, für die das Guggenheim heute steht und von der Bonn profitiert.

In Bonn harmonieren die unterschiedlichen Sammlungsteile, die sich tatsächlich zu einem Moderne-Museum mit zunehmend amerikanischem Schwerpunkt vereinen.Das „globale Guggenheim“ beginnt 1988 mit der Präsidentschaft Thomas Krens, der sofort einen Erweiterungsbau in Angriff nimmt und die Sammlung erstmals auf Welttournee schickt. Die riesige, platzgreifende Minimalistensammlung des Grafen Panza di Biumo macht das Guggenheim nach Jahrzehnten einer gewissermaßen kunsthistorischen Konsolidierung wieder zum Brennpunkt der Avantgarde. Einer schon wieder historisch gewordenen Avantgarde, für die in Bonn das benachbarte Kunstmuseum von Axel Schultes sein Erdgeschoss ausräumte. Bruce Nauman, Dan Flavin, Donald Judd sind heute „household names“, die jedermann kennt – ihre Installationen nehmen nur halt viel Platz in Anspruch.

1997 folgte schließlich die Eröffnung im spanischen Bilbao nach dem Entwurf von Frank O. Gehry, der Guggenheim endgültig zur globalen Marke machte. Die Kunst rückt hinter der Architektur auf den zweiten Platz. In der Berliner Guggenheim-Filiale, architektonisch und von den Ausmaßen her das stille Gegenstück zu Bilbao, wird in regelmäßiger Folge Auftragskunst gezeigt, von der einige Großformate nun auch in Bonn zu sehen sind, vor allem James Rosenquists „The Swimmer in the Econo-Mist“ von 1998.

Seither ist Krens mit seinen Bauplänen nicht mehr zum Zuge gekommen. Der schwerste Schlag war der Terroranschlag am 11. September 2001, in dessen Folge der erhoffte Eine-Milliarde-Neubau von Gehry im südlichen Manhattan ein schöner Traum bleiben musste. Aber auch andere Städte auf anderen Kontinenten, die sich vom Bilbao-Effekt wirtschaftlichen Gewinn erhoffen, sind bislang noch regelmäßig an der Finanzierung gescheitert.

So wird die Bonner Fünf-Monats-Schau mit ihren über 200 Werken die Reihe der Mega-Ausstellungen fortsetzen, die vor zwei Jahren das „MoMA in Berlin“ so erfolgreich gemacht hatte – ähnlich teuer (man spricht von 10 Millionen Euro), ähnlich attraktiv. Aber anders als das MoMA, das man auch vor Berlin schon zu kennen meinte, erlebt man in Bonn ein Guggenheim, das es in New York nur ausschnittsweise zu sehen gibt: ein kohärentes Museum vor allem des 20. Jahrhunderts, das nur so wachsen und werden konnte, weil es die Intentionen seines Gründers entschlossen hinter sich ließ.

KUNST

200 Werke von der

klassischen Moderne bis heute aus der New Yorker Guggenheim-Sammlung sind seit Freitag in der Bonner Bundeskunsthalle sowie im benachbarten Kunst-Museum zu sehen. Einige Highlights : „Grrrrrrrrrrr!!“ von Roy Lichtenstein (1965, Bild oben),

„Die Gelbe Kuh“ von Franz Marc (1911, Bild MItte), „Self-Portrait" von Andy Warhol (1986, Bild unten).

ARCHITEKTUR

Ab 25. August ist in Bonn zusätzlich eine Ausstellung zur „Guggenheim Architecture“ zu sehen, mit Entwürfen u.a. von Asymptote,

Shigeru Ban, Coop

Himmelb(l)au, Frank

O. Gehry , Zaha Hadid, Hans Hollein, Arata

Isozaki, Rem Koolhaas, Jean Nouvel und Frank Lloyd Wright (bis 12. November).

DATEN

Bonn, Museumsmeile, bis 7. Januar, Katalog bei Hatje-Cantz, 25 Euro, im Buchhandel, 39,80 Euro, Kurzführer 4,50 Euro. Infos unter www.kah-bonn.de

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