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Kultur: Das Familiengeheimnis

Ein seltsamer Film. Sein Beginn liegt in Europa.

Ein seltsamer Film. Sein Beginn liegt in Europa. Er ist den Kindern dunkel, wie jedem die eigenen Anfänge dunkel sind. Die Mutter kam aus dem Nachkriegseuropa, aber die Heimat ihrer Kinder wurde Israel. Dort sind sie aufgewachsen. Die Mutter hieß Mali. 1951 stand sie plötzlich in dem neuen Land, achtzehnjährig, eine Holocaust-Überlebende. Und plötzlich, übergangslos, wurde Mali Lebensbürgerin. Sie heiratet Josef; Mali und Josef haben sieben Kinder. Sie sind eine ganz normale Familie. Sind sie? Nein, nicht sieben Kinder waren sie, nur fünf, seit David Fisher denken kann. Vier Jungen, ein Mädchen. Zwei Geschwister fehlen.

David Fisher wurde 1956 in Petach Tikva, Israel, geboren. Mali und Josef Fisher sind jetzt tot, und David will es endlich wissen: Wo sind das Mädchen und der Junge, die Zwillinge, die ersten Kinder von Mali und Josef, seine Geschwister? Der Bruder, David soll noch im Krankenhaus gestorben sein. Aber das Mädchen nicht. Es ist verschwunden zwei Tage nach der Geburt. Das Familiengeheimnis der Fishers. Erst kurz vor ihrem Tod hat die Mutter darüber gesprochen. War es eine Entführung?

David Fisher beginnt eine "Liebes-Inventur" und alle müssen mitmachen, die Brüder, deren Frauen und Kinder, die Schwester. Auch eine Kamera, denn David Fisher macht Filme fürs israelische Fernsehen und schreibt Drehbücher. "Liebesinventur" ist ein Dokumentarfilm, ein Dokumentarfilm über den Autor selbst und seine Geschichte. Ihn treibt die Ahnung, dass in seiner Familiengeschichte ein Stück Urgeschichte des Staates Israel verborgen liegt. Haben die Behörden damals das Mädchen zur Adoption freigegeben, weil sie glaubten, eine achtzehnjährige Immigrantin und Holocaust-Überlebende könne nicht für zwei Kinder sorgen? Das ist der Anfangsverdacht. Der Film macht ihn öffentlich.

Wie öffentlich ist das Private? Wie privat ist das Öffentliche? Vor allem aber: Wie macht man einen Dokumentarfilm über sich selbst, die eigene Familie?

Selbstdarstellung. Und Selbstbeschau. Und - natürlich - Selbstoffenbarung. Es ist ein Unterschied um Nuancen. Es ist zugleich ein Unterschied um alles. Fisher macht uns zu Teilnehmern, zu Zeugen einer Suche. Vielleicht will er eine Art Roadmovie durch die Archive. Eine Art bürokratisches Roadmovie und zwischendurch lernen alle sich selbst besser kennen und den anderen auch, gerade so, wie das in Roadmovies sein soll. Es misslingt.

Bald verstehen wir die Klagen der Fisher-Ehefrauen über die Fisher-Brüder. Immer würden sie im Mittelpunkt stehen. Stimmt. Fertig gesehen, ist "Liebes-Inventur" doch mehr ein Film fürs Familienarchiv. Irgendwann stehen die Geschwister vor dem Grab des ältesten Bruders, der kurz nach der Geburt starb.

Die Schwester finden sie nicht.

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