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Kultur: Das Gedenken ist frei

Noch mehr als sein gleichaltriger Freund Bert Brecht führte Hanns Eisler ein unstetes Leben.Die für ihn wesentlichen Exiljahre verbrachte er in Wien, Paris, Dänemark, London, Prag, Moskau, New York, Mexiko und Los Angeles.

Noch mehr als sein gleichaltriger Freund Bert Brecht führte Hanns Eisler ein unstetes Leben.Die für ihn wesentlichen Exiljahre verbrachte er in Wien, Paris, Dänemark, London, Prag, Moskau, New York, Mexiko und Los Angeles.Er fühlte sich als Wiener, wirkte fast 20 Jahre in Berlin, stammte aber aus Leipzig.Hier kam Johannes Eisler am 6.Juli 1898 als Sohn des österreichischen Philosophen Rudolf Eisler und der deutschen Metzgerstochter Marie Ida geborene Fischer zur Welt.In seiner Herkunft verband sich damit, wie der Komponist später nicht ohne Stolz hervorhob, jüdische Intelligenz mit einem proletarischen Element.

Am Leipziger Geburtshaus unweit des Hauptbahnhofs hing bis vor kurzem eine Gedenktafel mit der Inschrift "HANNS EISLER 1898-1962 / Wegbereiter unserer sozialistischen Musikkultur / wurde hier geboren".Die Tafel wurde kürzlich abgenommen, weil das Haus sich in einem schlechten Zustand befindet und zudem eine sozialistische Musikkultur nicht mehr existiert.Man darf allerdings bezweifeln, ob es in der DDR jemals eine Musikkultur gab, wie Eisler sie angestrebt hatte.Kurz vor seinem Tod hat der Komponist in Gesprächen mit dem Dramaturgen Hans Bunge bitter über mangelnde Aufführungen seiner Werke geklagt.

Um 1930 war das anders.Damals schien eine sozialistische Musikkultur in greifbare Nähe gekommen zu sein.Ohne auf den Programmen der bürgerlichen Konzerte zu figurieren, war Eisler, wie Hans Heinz Stuckenschmidt bestätigte, einer der meistaufgeführten Komponisten.Er erreichte in diesen Jahren größere Popularität als Brecht.Eislers Massenlieder wie "Solidaritätslied", "Komintern-" oder "Einheitsfrontlied" verbreiteten sich bald weltweit.Sie wurden in den dreißiger Jahren in den USA ebenso gesungen wie in China oder Frankreich.

Als Hanns Eisler 1923 seine Lehrzeit bei Arnold Schönberg beendete, sah alles aus, als würde auch er eine Avantgarde-Karriere wie Anton Webern und Alban Berg einschlagen.Fünfundzwanzigjährig erhielt er auf Empfehlung seines Lehrers noch vor Berg den begehrten Verlagsvertrag sowie den Kunstpreis der Stadt Wien.Anerkannte Spezialisten wie der Pianist Eduard Steuermann oder der Geiger Rudolf Kolisch spielten seine Werke auf den Avantgarde-Festivals von Donaueschingen, Baden-Baden und Venedig, wo Kritiker wie Theodor W.Adorno und Hans Heinz Stuckenschmidt sie mit hohem Lob bedachten.Dennoch fühlte sich der Komponist nicht glücklich.In Berlin, wohin er 1925 übersiedelt war, begegnete er einer sozialen Realität, die ihm wichtiger erschien.Im Lichte dieser Erfahrung empfand er seine eigenen Werke nun als esoterisch und wirklichkeitsfremd.

Eisler wollte nicht nur die Musik, sondern auch die Welt verändern."Gebrauchsmusik" nach der Art Paul Hindemiths genügte ihm nicht.Er vereinfachte seine Schreibweise radikal und schuf neue Beispiele einer "angewandten Musik".Deren Zweck erschöpfte sich nicht im Musizieren.Ziel war eine Aktivierung in einem weiteren, auch politischen Sinn.Mit seinen musikalischen und theoretischen Beiträgen war Eisler in der Tat Wegbereiter einer sozialistischen Musikkultur.Seine Chöre für die Arbeitermusikbewegung, seine kritischen Balladen sowie Massenlieder wie das "Solidaritätslied" waren wirkungsvoll und nüchtern zugleich.Sie enthalten ein emotionalisierendes Element, das, wie auch der Komponist Helmut Lachenmann hervorhob, "keineswegs demagogisch-manipulativ, sondern kritisch-durchsichtig" ist.

Trotz der kontinuierlichen und ungemein fruchtbaren Zusammenarbeit mit Brecht wird das Etikett "Brecht-Komponist" der geistigen Unabhängigkeit Hanns Eislers nicht gerecht.So gewichtige Teile wie seine Klavier- und Kammermusik entstanden unabhängig von Brecht, stehen teilweise sogar im Widerspruch zu dessen Musikidealen.Eislers eigenen Ton findet man auch in seinen rein instrumentalen Werken, so den drei Klaviersonaten, dem Streichquartett oder der Kammersymphonie.

Schönberg hatte Stilfragen stets als zweitrangig bezeichnet.Viel wichtiger sei der Gedanke und seine Darstellung.Radikaler und konsequenter als andere Schönberg-Schüler hat Eisler diese Forderung weitergeführt.An die Stelle des musikalischen Gedankens setzte er die Funktion, die die wechselnde Stilistik seiner Musik prägte.Wie schon Beethoven, der für seine Symphonik eine weniger komplexe Schreibweise wählte als für seine Streichquartette, orientierte sich auch Eisler an den unterschiedlichen Aufnahmebedingungen der Hörer.Auf diese Weise kam es zur Trennung von Material und Verfahrensweise, einer Praxis, die er 1944 zusammen mit Adorno in dem Buch "Komposition für den Film" auch theoretisch begründete.In seinem "Hollywooder Liederbuch" läßt sich die für Eisler so typische Vielfalt der Stilebenen ebenso beobachten wie in seinen "Ernsten Gesängen", seiner letzten Komposition.Gerade in der musikalischen Situation der Gegenwart wirkt diese durchkalkulierte Vielschichtigkeit als eine bedenkenswerte Antwort auf postmoderne Beliebigkeit.Komponisten wie Leonard Bernstein, Georg Katzer, H.K.Gruber und Heiner Goebbels haben die Aktualität dieses Musikdenkens erkannt.

Viele hochrangige Eisler-Aufführungen in diesem Jahr, so etwa der Orchestersuiten und Balladen durch das Ensemble Modern und der Exillieder durch Mathias Goerne, lassen erkennen, daß das Etikett des DDR-Staatskünstlers den Komponisten inzwischen kaum mehr behindert.Durch seine 1950 entstandene Hymne "Auferstanden aus Ruinen" hatte Eisler in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts fatale Berühmtheit erlangt.Trotz der Textzeile "Deutschland, einig Vaterland", die man im Osten schon bald nicht mehr singen durfte, galt diese Komposition im Westen als "Spalterhymne".Aus diesem Grunde war Eisler von Boykott-Maßnahmen länger betroffen als Brecht.In der DDR dagegen spielte man seine Massenlieder, während die anspruchsvolleren Exilwerke nahezu unbekannt blieben.

Die Behinderungen durch stalinistische Kulturpolitiker bedeuteten für den Komponisten zwar keine persönliche Bedrohung, lähmten jedoch seine Schaffenskraft stärker als die früheren Verfolgungsmaßnahmen der Nazis und der McCarthy-Ausschüsse.Nach der Faustus-Kampagne vom Frühjahr 1953 war Eisler in Gesundheit und Schaffenskraft nicht mehr der alte.Zuletzt sah er sich, was Larry Weinstein in seinem preisgekrönten Film "Solidaritätslied.Die Hanns Eisler Story" hervorhob, von der Dummheit besiegt.So dominiert in seiner letzten Komposition, den "Ernsten Gesängen", der Ton der Trauer.

Das Haus, in dem diese Komposition entstand, liegt in der Pfeilstraße in Berlin-Niederschönhausen.Die Gedenktafel auf der Fassade fiel nüchterner aus als die am Leipziger Geburtshaus: "In diesem Hause wohnte 1950-1962 Hanns Eisler".Noch wortkarger gibt sich der Grabstein auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof: Er verzeichnet nur den Namen des Komponisten.Diese Zurückhaltung verbindet Eisler mit dem ähnlich schlichten Grabstein seines Freundes Brecht gleich gegenüber.

ALBRECHT DÜMLING

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