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Kultur: Das Gedicht hilft den Hardlinern

Die Intervention des Nobelpreisträgers lenkt vom palästinensisch-israelischen Konflikt ab / Von Moshe Zimmermann.

Nimmt man Günter Grass beim Wort, so möchte man sich als Israeli bei ihm bedanken. Denn er will uns Nahost-Bewohnern nur helfen. Mehr noch – er beteuert, dass er dem Lande Israel verbunden sei, verbunden bleiben will. Was können wir noch mehr verlangen?

Doch muss man sich nicht darüber wundern, dass wir uns nicht auf Anhieb für diese Hilfe bedanken und begeistern. Nicht nur, weil der Aufruf von Günter Grass den eigentlichen Sachverhalt ignoriert, und auch nicht nur, weil in seinem Text sich das Bestreben verbirgt, die Nazivergangenheit zu relativieren. Vor allem handelt es sich um einen Bärendienst. Diese „Hilfe“ ist kontraproduktiv und leistet gerade den Kräften in Israel – Netanjahu, Liebermann etc. – Vorschub, die davon überzeugt sind, dass die Welt uns das Existenzrecht absprechen möchte und man deswegen keine kompromissbereite Politik betreiben darf.

Beginnen wir mit dem Sachverhalt. Erstens hat Israel – nicht einmal Außenminister Liebermann – nie die Absicht bekundet, das „iranische Volk auslöschen“ zu wollen. Eher umgekehrt: Die iranische Führung redet seit 1979 immer wieder von der Notwendigkeit, Israel auszulöschen. Zweitens sollte der Präventivschlag gegen den Iran, vom dem Israel redet, kein atomarer Schlag sein. Günter Grass ist also in einem falschen Krieg. Drittens besitzt Israel die „Bombe im Keller“ schon seit 40 Jahren. Und das ist eher ein Beweis dafür, dass wie im Fall der USA, von Frankreich oder Russland der Besitz von Atomwaffen nicht unbedingt zum atomaren Krieg führt. Atomgegner Günter Grass sollte sich wegen Pakistan mehr Sorgen machen. Und viertens ist „das Verdikt Antisemitismus“ (genauer: Judenhass) bei verbalen Attacken gegen Israels Politik bzw. gegen Israels Existenzrecht nicht automatisch auszuschließen.

Dass die falsche Einschätzung des Sachverhalts weniger mit Ignoranz und eher mit der NS-Vergangenheit zu tun hat, geht schon aus dem Titel des Grass-Gedichts „Was gesagt werden muss, hervor. Diese Sprachwendung kennen wir seit Langem in mehreren Variationen. Verquickt mit den Worten Mitschuld, Schweigen, Überlebende kommt sie bei Mitschuldigen, Verschweigern und Mittätern vor 1945 und bei Shoah-Leugnern gut an.

Nun versucht ein Literaturnobelpreisträger, der viel Schweigen vor 1945 zugegeben hat und manches bis vor Kurzem auch verschwieg, eine Aufrechnung. Er verlangt, man möge ausgerechnet bei einem seiner Lieblingsthemen das Schweigen brechen: Israel soll nicht mehr mit U-Booten aus Deutschland beliefert werden. Wittert etwa die belastete Generation eine Revision der deutschen Schuldfrage, ja die moralische Entlastung? Glaubwürdig macht sich die Friedensbewegung in Deutschland und die deutsche Politik jedenfalls so nicht. Der Verdacht kommt auf: Zeigt man Verständnis für den Iran (siehe auch den Aufruf der „Kooperation für den Frieden“) nicht deswegen, weil Iran das sagt, „was gesagt werden muss“, nämlich, dass die Schuld für die Shoah (die ja nicht stattfand) bei den Juden selbst liegt? Will man einen atomaren Krieg im Nahen Osten verhindern, müsste man sich neben dem Versuch, Israel zur Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrags zu bewegen, auch darum bemühen, dass der Iran Transparenz über seine atomaren Absichten schafft.

Und noch wichtiger: Als Bärendienst erweist sich die Intervention von Grass deswegen, weil sie von der eigentlichen Sache ablenkt – vom palästinensisch-israelischen Konflikt. Die Kritik an Israels Palästina- und Siedlungspolitik ist berechtigt, die Bemühungen um den Frieden zwischen Israel und den Palästinensern sind jedoch auf Eis gelegt, unter anderem, weil die gegenwärtige Diskussion um den Iran von diesem Problem ablenkt. Das ist just der Gedanke, der hinter der Taktik der israelischen Regierung steckt: Iran als Buhmann aufzubauen, die Existenzfrage und das Existenzrecht Israels (oder die SS-Vergangenheit von Günter Grass) in den Mittelpunkt zu rücken. Und dass alles, um das Palästina-Problem zu marginalisieren. So helfen paradoxerweise am Ende Günter Grass und Co. Netanjahu, Liebermann und Ahmadinedschad. Sie helfen nicht den Menschen im Nahen Osten, nicht den Palästinensern und schon gar nicht Israel.

Moshe Zimmermann ist Historiker an der Hebräischen Universität Jerusalem.

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