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Kultur: Das geheime Leben der Bücher

Auftritt beim Berliner Literaturfestival: Spaniens Bestseller-Autor Carlos Ruiz Zafón

„Der Drache“, sagt Carlos Ruiz Zafón und schaut von seinem Buch auf, „der Drache ist mein Zeichen.“ Der spanische Bestseller-Autor hat einen Comic-Drachen unter seine Signatur auf das Deckblatt gemalt, mit grimmigem Blick, die gespaltene Zunge aus dem Maul, den massigen Schwanz in Bewegung. „Der Drache ist mein Alter ego.“ Der 38-Jährige grinst. „Um die Wahrheit zu sagen: Er ist es, der die Bücher schreibt. Ich bin nur sein Agent.“

Einige Jugendbücher hatte das Gespann bislang in Spanien veröffentlicht, „Der Schatten des Windes" ist sein erster Roman: fünfhundert Seiten stark, ein Schmöker von Format. Mitreißend, farbenfroh, zuweilen literarisch unbekümmert wie manches gute Jugendbuch. Und mehr als das: ein Liebesroman, genau genommen sogar zwei, die Geschichte eines Erwachsenwerdens, ein Abenteuerroman, in Spuren auch ein politischer Roman durch seinen Hintergrund von Bürgerkrieg und Franco-Diktatur. Monatelang stand das Buch in Spanien an der Spitze der Beststellerlisten, 15 Auflagen hat es dort in zwei Jahren erreicht. Im Sommer ist die deutsche Übersetzung erschienen, und Zafón, derzeit in Wiepersdorf zu Gast, stellt vor einer ausgedehnten Lesereise sein Buch nun beim Berliner Literaturfestival vor.

In dem Buch lässt Zafón seinen jugendlichen Helden Daniel selbst sagen, was für einer Geschichte er auf der Spur ist: „von verfluchten Büchern, von dem Mann, der sie geschrieben hat, von jemandem, der aus den Seiten eines Romans entwischt ist, um ihn zu verbrennen, von einem Verrat und einer verlorenen Freundschaft. Es ist eine Geschichte von Liebe, Hass und den Träumen, die im Schatten des Windes hausen.“

Groschenhefte der besonderen Art stehen am Beginn der literarischen Karriere des katalanischen Autors. Schon in der Schule hatte er mit einigen Kameraden den ersten kleinen Verlag betrieben: „Einer hat getippt und die Seiten fotokopiert, ein anderer die Titelbilder gemalt, ich habe die Geschichten geschrieben, wir haben sie zusammengeklebt und an die Mitschüler verkauft", erzählt Zafón begeistert. Nach einiger Zeit hat allerdings der Schulleiter vom glänzenden Geschäft mit den meist blutrünstigen Geschichten Wind bekommen – und sie verboten. „Das war das Ende unseres Verlagsunternehmens. " Seit knapp zehn Jahren lebt Zafón in Los Angeles, bis vor kurzem arbeitete er hauptsächlich als Drehbuchautor für die Filmindustrie, zuweilen als Journalist für spanische Zeitungen.

In Spanien wird „Der Schatten des Windes“ als Barcelona-Roman gefeiert, und nicht wenige begeisterte Leser bereisen die Stadt auf seinen Spuren. In der Avenida del Tibidabo Nummer 32, im Buch die Adresse eines verwunschenen Familiensitzes, war man eine Zeit lang richtig beunruhigt über die wachsende Zahl der Zaungäste, die von der Straße aus das alte Gebäude bestaunten.

Ein anderes Kraftzentrum des Romans hat der Autor in der Calle Arco del Teatro untergebracht, jenen „Friedhof der vergessenen Bücher“. Daniels Vater, ein Antiquariatsbesitzer, zeigt dem Zehnjährigen diese geheimnisvolle Büchergruft: „Hier leben die Bücher, an die sich niemand mehr erinnert, die sich in der Zeit verloren haben, und hoffen, einem neuen Leser in die Hände zu fallen.“

Etwa eine halbe Autostunde von Los Angeles entfernt, erzählt Zafón, gibt es in den riesigen Lagerhallen eines alten Flugplatzes ein Antiquariat von unvorstellbarer Größe. „Es ist gigantisch, ein Irrgarten. Man muss seine eigene Taschenlampe mitbringen, weil sie dort kein elektrisches Licht haben – das können sie nicht bezahlen. Die Gegend sieht aus, als habe dort eine Bombe eingeschlagen, und mitten darin diese Schatzkammer! Und man hat den Eindruck, dass sich eigentlich niemand dafür interessiert, all das geht verloren, all diese Bücher werden vergessen.“ Sicher sei es auch in Europa festzustellen, in Amerika nur vielleicht deutlicher: diese starke, dabei alltägliche Abwertung sozialer und kultureller Standards. Das Wissen darum gehe auch mit den Büchern verloren, es sei schon verloren gegangen, und dafür stehe dieser „Friedhof“.

Als er aus der Ferne über Barcelona geschrieben hat, habe er erkennen können, was ihm seine Heimatstadt bedeutet. Auch der Entschluss, nach fast zehn Jahren in Amerika zurückzukehren, habe viel damit zu tun. Allerdings habe sich die Stadt inzwischen sehr verändert. „Das, was ich in meinen Büchern bewahren will, ist so etwas wie das ewige Barcelona, das mehr mit einer anderen Epoche verbunden ist, der Jahrhundertwende vielleicht, der Zeit vor dem Bürgerkrieg, die die Stadt sehr geprägt hat.“

Ihm will sich Carlos Ruiz Zafón auch in drei weiteren Romanen widmen. „Sie ergeben keine zusammenhängende Geschichte, sie sind wie verschiedene Türen in ein gemeinsames Universum.“ Sein nächstes Buch, verrät der Autor vorab, soll sich um den 10. Juni 1926 drehen, den Todestag des Architekten Antonio Gaudì. Mit etwas Glück werde er im kommenden Jahr damit fertig, bevor „Der Schatten des Windes“ in 18 weiteren Ländern in den Buchhandel kommt. Zufrieden lehnt sich Zafón in seinem Stuhl zurück und faltet die Hände hinter dem Kopf. Vorne auf seinem schwarzen Hemd schlängeln sich zwei rote chinesische Drachen, mit grimmigem Blick und gespaltener Zunge.

Carlos Ruiz Zafón: „Der Schatten des Windes“. Roman. A. d. Span. von Peter Schwaar. Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2003. 530 S., 24,90 €. Zafón liest heute abend um 20.30 Uhr in den Sophiensälen und am Donnerstag um 19.30 Uhr im Instituto Cervantes (030/2576180).

Fridtjof Küchemann

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