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Kultur: Das geklaute Porzellan

Es ist das große Verdienst des Hauses der Kulturen der Welt, Kunst aus Ländern zu zeigen, von denen man, wenn man einmal ehrlich ist, auch als politisch und kulturell interessierter Zeitgenosse meist nur sehr rudimentäre Kenntnis hat.China, Südafrika, Korea oder Mexiko: Immer wieder öffnen die Ausstellungsmacher des HdKW einzelne "Fenster" nach draußen, weit über die Ränder Europas hinaus.

Es ist das große Verdienst des Hauses der Kulturen der Welt, Kunst aus Ländern zu zeigen, von denen man, wenn man einmal ehrlich ist, auch als politisch und kulturell interessierter Zeitgenosse meist nur sehr rudimentäre Kenntnis hat.China, Südafrika, Korea oder Mexiko: Immer wieder öffnen die Ausstellungsmacher des HdKW einzelne "Fenster" nach draußen, weit über die Ränder Europas hinaus.Was in anderen Institutionen die große Ausnahme ist, ist hier die Regel.

Nun ist man bei Brasilien angelangt, der Riesennation im Norden Südamerikas."Der brasilianische Blick", so der Titel der aktuellen Schau in der ehemaligen Kongreßhalle, präsentiert zeitgenössische Kunst von 36 Künstlern aus einer der bedeutendsten Privatkollektionen des Landes.Gilberto Chateaubriand ist nicht irgendein Sammler.Sein Vater, Assis Chateaubriand, war Gründer des Museu de Arte de Sao Paolo, er selbst kauft seit über vierzig Jahren Kunst.Nicht die schlechteste Referenz also: Einige der hier vertretenen Künstlerinnen und Künstler sind bereits von der Kasseler documenta oder vergleichbaren Großveranstaltungen bekannt, von anderen dagegen war in Europa noch nie etwas zu sehen.

Ziel der Ausstellung ist es, die Bandbreite der aktuellen brasilianischen Kunst aufzuzeigen.Sie ist in sechs Abteilungen gegliedert.Die erste, "Auftakt", soll, so Kuratorin Denise Mattar, eine Auseinandersetzung mit der ethnischen Vielfalt Brasilien darstellen.Und tatsächlich: Die vier überlebensgroßen Figuren aus modelliertem Kunststoff, denen ihr Urheber, der 1957 in Sao Paolo geborene Sergio Romagnolo, die Namen alttestamentarischer Propheten gegeben hat, sind mit einer derart brüchigen, verletzbar wirkenden und gleichzeitig irrlichtern oszillierender Oberfläche ausgestattet, daß es unmöglich erscheint, ihre Herkunft eindeutig zu bestimmen.

Der zweite Abschnitt, "Kunst als Konzept", ist der umfangreichste der Ausstellung.Hier findet man einige vertraute Namen und Größen, so zum Beispiel die wie Romagnolo aus Sao Paolo stammende Jac Leirner, deren Arbeiten man schon vor sechs Jahren auf der documenta IX hätte begegnen können.Von ihr hängt im Haus der Kulturen der Welt ein annähernd drei mal drei Meter großes Panel an der Wand, auf das Leirner Plastiktüten aus den Shops der großen Museen der (westlichen) Welt befestigt hat.Ein Panorama, sowohl der Seh- als auch der Sehnsucht, das so lapidar daherkommt, daß man sich unwillkürlich fragt: alles nur Fassade? Wie austauschbar sind sie, die Häuser des Sammelns und Bewahrens? Ähnlich prägnant die zweite Arbeit von Leirner, Titel: "Corpus delicti", aus den Jahren 1987 bis 1992.Unter einer Glasscheibe, eingebettet in einen Stapel grünen Filz, liegt mit der Unterseite nach oben Geschirr.Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, das Porzellan ist ganz offenbar geklaut - die Logos und Schriftzüge interkontinentaler Fluglinien lassen daran keinen Zweifel.

Die Schnittstelle zwischen Kunst und Design, auch in der hiesigen Kunst seit einer Weile ein virulentes Thema, hat Waltercio Caldas (1946) aus Rio de Janeiro besetzt.Seine Plastiken aus dünnen Stahl- beziehungsweise Holzstangen markieren einerseits ein zerbrechliches räumliches Gefüge, sind also, wenn man so will, Skulptur pur.Andererseits ist auch durchaus denkbar, daß diese geometrischen Gerüste eine klar definierte Funktion haben könnten, nur ist die einem eben gerade nicht geläufig.

Daß Kunst mitunter viel mit Respektlosigkeit zu tun hat, daß speziell der brasilianische Humor auch schnell in bitteren Sarkasmus umschlagen kann, wird deutlich an Arbeiten wie denen von Lia Menna Barreto.Die 39jährige aus Rio läßt Babys tanzen, natürlich nur als Puppen, dafür aber in transparenten Plastiktaschen, die sie über die Wand verteilt hat.Da stockt dem Besucher schon mal der Atem, allein deshalb, weil die Skulptur daneben auch nicht weniger schrecklich ist: Auf ein Kinderwagengestell ist eine in Strampelhöschen gewickelte Babypuppe montiert, deren Arme Beine sind und umgekehrt.Ein Anblick, der einen schaudern macht, als sei man plötzlich selber Mitspieler in einem Horrorfilm.

Etwas leichter, humoriger wirkt die "Trophäe", die Jroge Barrao 1989 geschaffen hat.Man nimmt sein Angebot dankbar an, zumal jetzt, in den Tagen der Fußball-WM: Ein silbern bemalter Kühlschrank ist der Sockel, darauf die Namen berühmter Star-Kicker aus aller Welt, darüber ein Kranz Pokale, und als krönender Abschluß, auf einer grotesk anmutenden Halterung, das Objekt der Begierde, die Lederkugel.Da lacht das Herz des Fans, und allen anderen sei vielleicht zur Beruhigung versichert: Die grassierende Fußballhysterie ist ja demnächst vorüber.

Der Umstand, daß in der Sammlung Chateaubriand auch das Medium Fotografie prominent vertreten ist, mag als ein Zeichen für die universelle Sprache der Kunst verstanden werden.Allerdings unterscheiden sich die hier vorgestellten, großformatigen Farbabzüge doch merklich von den Bildern, mit denen Künstler hierzulande erfolgreich sind.Die Fotoserien von Nathalie Petsire Barends (1958), von Miguel Rio Branco (1946) oder von Carina Weidle (1966) sind alle mehr oder weniger stark von einer surrealistischen Narration beeinflußt, was ihnen leider nicht unbedingt gut tut.Man mag darüber schmunzeln, wenn etwa Weidle ein nacktes Brathühnchen zum Protagonisten macht.Man könnte die Inszenierungen aber auch für Plattheiten halten, und läge damit wahrscheinlich auch nicht ganz falsch.

So bleibt nach einem Rundgang durch "Der brasilianische Blick" ein Rest Verunsicherung.Was weiß man in Deutschland schon von Brasilien, von den dort gängigen Codes und Verhaltensweisen, die Einheimische sofort verstehen, allen anderen aber per se verschlossen sind? Wo hört die eigenständige Betrachtung auf, und wo beginnt man, Klischees aufzusitzen? Das sind Fragen, die nicht einfach zu beantworten sind, schon gar nicht in dieser Ausstellung, wo überall zumindest die Möglichkeit des Mißverständnisses besteht.Das ist nicht einmal negativ gemeint.Nur sollte man sich darüber im klaren sein, daß man hier auch an Grenzen stoßen kann - und es selber noch nicht einmal bemerkt.

Haus der Kulturen der Welt, bis 13.September, Di-So 12-18 Uhr, Katalog 29 Mark

ULRICH CLEWING

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