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Kultur: Das Geld der kleinen Leute

Als Armenkassen gegründet und als Finanzierer des Mittelstands gerühmt, stehen die Sparkassen vor ihrem größten Umbruch: der Privatisierung

Am 31. Juli bekam Tim Coughlin Post vom Sparkassenberater. Im Umschlag fand er eine Karte, bedruckt mit roten Blumen. „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag“, schrieb der Berater seinem Kunden. Und „alles Gute für das nächste Lebensjahr“.

Tim Coughlin war gerührt. Er trifft den Sparkassenmann nur selten, seit er und sein Unternehmen vor vier Jahren ins Firmenkundencenter ausgelagert wurden. Seitdem hat er seine alte Geschäftsstelle am Berliner Nollendorfplatz kaum mehr betreten. „Es war ärgerlich, dass man nicht mehr zur Filiale gehen konnte“, erzählt er, „ich kannte die Leute dort, wir haben uns auf der Straße zugewunken.“ Der Filialleiter habe ihm sogar manchmal die Tür aufgehalten.

Tim Coughlin ist ein Mann Ende 40. Braun gebrannt, mit zurückgekämmtem Haar und offenem Hemd sitzt er in einem Schöneberger Restaurant, das seinen Namen trägt. Rund 35 Angestellte arbeiten dort. Noch mal so viele sind in zwei weiteren Cafés und einer Bäckerei in Mariendorf angestellt. Sie beliefern die besten Adressen der Stadt mit kanadischen Leckereien – Brownies, Muffins und Cookies. Eine kleine Erfolgsgeschichte, auch dank der Sparkasse.

Vor neun Jahren stellte Tim die Idee mit dem Restaurant seiner damaligen Bank vor. „Schön“, soll der Kundenbetreuer gesagt haben. „Viel Erfolg!“ Den gewünschten Kredit gewährte er nicht. Tim eröffnete das Restaurant trotzdem. „Der Filialleiter der Sparkasse hat mich damals gerettet“, erzählt er. Von ihm bekam er einen Kredit. „Er ist ein Risiko eingegangen mit mir“, sagt der Kanadier, „aber es hat funktioniert.“

Im nächsten Jahr ist Tim Coughlin vielleicht kein Sparkassenkunde mehr. Die Landesbank Berlin muss verkauft werden – und mit ihr die Berliner Sparkasse. Die Investoren stehen bereits Schlange. Einige Großbanken haben ihr Interesse angemeldet, auch ausländische Finanzinvestoren werden im Kreis der Bieter erwartet. Wenn man Tim Coughlin davon erzählt, reißt er die Augen weit auf. „Warum?“, fragt er ungläubig. „Es läuft doch gut.“

Für mittelständische Unternehmer wie Coughlin ist die Sparkasse als Finanzierer kaum wegzudenken. Der Sparkassenverband rühmt sich damit, dass drei von vier deutschen Unternehmen Geschäftsbeziehungen zu einer Sparkasse haben. Dahinter steht oft eine lange Tradition, bei Familienunternehmen werden die Verbindungen über Generationen weitergegeben.

Schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts geben die Sparkassen in größerem Umfang Kredite an Unternehmen. Unverzichtbar wurden sie in den fünfziger Jahren, als Händler, Handwerker und Produzenten dringend zinsgünstige Darlehen benötigten. Sie brauchten Geld um ihre im Krieg zerstörten Geschäfte zu renovieren, die Maschinen instand zu setzen und die Waren beim Großhändler einzukaufen. Die Sparkassen-Direktoren gaben ihnen das Geld – auch wenn sie nicht immer sicher waren, ob sie es pünktlich zurückbekommen. 1,2 Milliarden Mark hatten sie 1955 an mittelständische Unternehmen verliehen. Die Firmen produzierten und handelten, was das Zeug hielt, und alle sprachen vom „Wirtschaftswunder“. Die Menschen konsumierten wieder – auch mithilfe der Sparkassen, die ihnen seit 1952 sogenannte Kaufkredite gaben. Zunächst mussten die zerstörten Wohnungen wieder eingerichtet werden. Händler, Kunden und Sparkassen schlossen beim Möbelkauf gemeinsam Verträge ab. Später gab es das erste Fernsehgerät, den lang ersehnten Kühlschrank, das Moped, das Auto.

Auch für ihre Lohntüte brauchten die Arbeitnehmer bald nicht mehr Schlange zu stehen. 1957 führten die Sparkassen die bargeldlose Lohn- und Gehaltszahlung ein – zunächst vor allem für die Angestellten von Städten und Gemeinden, später für alle. Bis dahin hatten große Teile der Bevölkerung kein Girokonto besessen.

Lange war es in Deutschland selbstverständlich, Sparkassenkunde zu sein. Auf dem Land gab es kaum Filialen privater Banken. In manchen Gegenden hat sich bis heute wenig daran geändert. Vor allem in strukturschwachen Gegenden im Osten sind neben den Sparkassen allenfalls noch Volks- oder Raiffeisenbanken vertreten. In einigen Orten besteht eine Sparkassenfiliale nur aus einem kleinen Bürozimmer, in dem die Nachbarsfrau nebenberuflich Kassenstunden eingerichtet hat. Wenn man dort im Flur sitzt und darauf wartet, dass sich die Tür öffnet, kann man die Sparkassenfrau mit den Kunden über den Dorfklatsch plaudern hören.

So nah dran wie der Mann oder die Frau von der Sparkasse ist sonst kaum jemand an den Menschen und kleinen Unternehmen. Weil sich die Sparkassen am Gemeinwohl orientieren sollen, unterstützen sie als Sponsor alles, was ihnen irgendwie gemeinnützig erscheint – vom Rap-Konzert bis zum Damengolfturnier, von der Behindertenwerkstatt bis zum Schulchor. Auch beim noch so kleinen Firmenjubiläum darf der Berater von der Sparkasse nicht fehlen.

„Wir kennen viele unserer Kunden persönlich“, erzählt ein Filialleiter aus Berlin. „Auch wenn sie nur ein Guthabenkonto bei uns haben.“ Vor fast 30 Jahren hat er als Auszubildender angefangen. „Ich wollte zur Sparkasse“, sagt er. „Das galt damals als sehr gute Ausbildung.“ Bereut habe er es bis heute nicht. „Schon auf der Berufsschule haben sich die Banker als was Besseres gefühlt“, sagt er. „Aber wir haben eben eine andere Ausrichtung. Bei uns bekommen alle ein Konto.“

Sparkasse ist auch Nostalgie. Das rote Sparbuch etwa, auf das man als Kind seine ersten fünf Mark einzahlte. Früher mussten die Zinsen dort jedes Jahr umständlich mit dem Kugelschreiber eingetragen werden. Auch das Ritual des Weltspartags haben seit 1925 Generationen von westdeutschen Kindern mitgemacht. Noch heute bringen sie jedes Jahr Ende Oktober ihre Spardosen zur Filiale, um im Gegenzug eine Belohnung mitzunehmen: Bleistiftspitzer, Kugelschreiber, Spardosen.

Wer jünger als 45 ist, kennt auch die Comic-Hefte, in denen die Bewohner der Insel „Knax“ gegen die böse Räuberbande von Burg Fetzenstein kämpfen. Seit 1974 liegen die Hefte in den Filialen aus. Inzwischen gibt es den „Knax-Club“ und „Knax-Konten“ für Kinder.

Diesem Sparkassen-Idyll haftet aber auch seit jeher der Geruch der Spießigkeit an. Wer an Sparkassen denkt, denkt an Männer in schlecht sitzenden karierten Anzügen, mit bunten Motivkrawatten um den Hals. „Werd doch Sparkassendirektor“, rief man früher besonders peniblen Zeitgenossen zu. Die Unternehmen mit dem roten „S“ galten als Inbegriff der Langeweile. Wer heute eine Sparkasse betritt, kann dieses Image noch immer spüren. Die Angestellten stehen vor Schrankwänden in Eichenfurnier, beige Lamellenvorhänge lassen nur wenig Licht herein, dafür brennen Leuchtröhren an der Decke. Der Teppichboden ist bunt gemustert, doch die Farben sind mit den Jahren verblasst und nähern sich einem einheitlichen Grau.

Es ist aber auch ein öffentlich-rechtlicher Mief, der die Sparkassen umgibt. Politik und Sparkassen lassen sich nur schwer trennen. Die Verwaltungsräte, die den Vorstand kontrollieren, werden in der Regel von der Partei besetzt, die auch das jeweilige Rathaus dominiert. Bürgermeister und Sparkassendirektor sind nicht selten gute Kumpel.

In Berlin könnte sich das alles schon bald ändern. Hier soll sich die Zukunft der Sparkassen entscheiden, wenn das Land im kommenden Jahr die Sparkasse verkaufen muss. Das hat die EU-Kommission zur Auflage gemacht, als sie 2004 die milliardenschweren Beihilfen des Landes für die skandalgeschüttelte Bankgesellschaft Berlin genehmigte, die jetzt Landesbank Berlin heißt. Der Verkauf könnte das deutsche Bankensystem durcheinanderwirbeln, wenn die Sparkasse an einen privaten Bieter geht. Die in Deutschland übliche Trennung in öffentlich-rechtliche, private und genossenschaftliche Banken wäre dahin. Mit rund einer Million Kunden und einem Marktanteil von etwa 50 Prozent ist die Berliner Sparkasse ein attraktives Kaufobjekt. Richtig begehrenswert macht sie aber ihr Name. Bei den privaten Banken träumt man schon seit langem von Tochtergesellschaften, die sich Sparkasse nennen dürfen – die Marke sei Milliarden wert, sagen Experten. Deshalb reibt sich Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin bereits jetzt die Hände, wenn er an die Einnahmen aus dem Sparkassenverkauf denkt. Und deshalb will der Sparkassenverband den Namen auch nicht so einfach hergeben. Wie es derzeit aussieht, muss der Streit vor Gericht ausgetragen werden. Sollte sich das Land Berlin durchsetzen, könnte die Berliner Sparkasse die erste werden, die zu einer privaten Bank gehört. Die EU-Kommission will diese Konstellation auch bundesweit möglich machen. Damit ginge eine rund zweihundertjährige Tradition zu Ende, in der sich die Sparkassen in öffentlichem Besitz befanden.

Ausgerechnet die erste deutsche Sparkasse war allerdings eine private. 1778 gründete eine Gruppe liberaler Bürger, die sich „Patriotische Gesellschaft“ nannten, die „Ersparungsclasse der Allgemeinen Versorgungsanstalt“ in Hamburg. Sie sollte eine Armenkasse sein, die den untereren Schichten das Sparen ermöglicht. Die liberalen Herren verfolgten aber auch einen erzieherischen Zweck. „Die Ersparungsclasse dieser Versorgungsanstalt ist zum Nutzen fleißiger Personen beiderlei Geschlechts, als Dienstboten, Tagelöhner, Handarbeiter, Seeleute, errichtet, um ihnen Gelegenheit zu geben, auch bei Kleinigkeiten etwas zurückzulegen und ihren sauer erworbenen Not- oder Brautpfennig sicher zu einigen Zinsen belegen zu können, wobei man hoffet, dass sie diese ihnen verschaffte Bequemlichkeit sich zur Aufmunterung gereichen lassen mögen, um durch Fleiß und Sparsamkeit dem Staate nützlich und wichtig zu werden“, so steht es in der Anordnung der Freien Reichsstadt Hamburg. Beträge zwischen 15 und 150 Mark konnte man bei der Ersparungsclasse anlegen. Die Begrenzung der Einlagen sollte „Kapitalisten“ aus dem Kundenkreis fernhalten. Drei Prozent Zinsen bekamen die Sparer damals.

Heute gibt es die Hamburger Ersparungsclasse nicht mehr. Sie musste schon Anfang des 19. Jahrhunderts schließen, weil mit Napoleon zu viele Franzosen nach Hamburg gekommen waren und das Institut mit ihren Geldbedürfnissen überforderten. Deshalb streiten sich zwei andere Institute in einer Art Provinzposse um den Titel der „ältesten deutschen Sparkasse“: Die Landessparkasse Oldenburg und die Sparkasse Detmold, beide 1786 gegründet, die Detmolder ein paar Wochen früher als die Oldenburger.

Im 19. Jahrhundert sprossen überall in Deutschland Sparkassen aus dem Boden. Zunächst als Gemeinde- oder als Stadtsparkassen, dann auch als Kreissparkassen auf dem Land. 1836 gab es bereits etwa 280 Institute, 25 Jahre später waren es schon 1200. Den Höhepunkt erreichte die Zahl der Sparkassen im Jahr 1913 mit 3100. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg blühte die Wirtschaft, die Sparkassen betrieben rund 7000 Filialen und verwalteten etwa 20 Milliarden Mark. Damals begann die Veränderung. Sparbücher reichten den Kassen nicht mehr, sie vergaben Unternehmenskredite, legten Geld in Wertpapieren an und nahmen den Großbanken die Kunden weg. Diese beschwerten sich über das „bankmäßige Verhalten“ der einstigen Armenkassen.

Der Konflikt besteht noch immer, und er hat sich verschärft. Laut Gesetz sollen sich die Sparkassen am Gemeinwohl orientieren und die Bevölkerung auch dort ausreichend versorgen, wo sonst keine Bank hinwill. Doch einerseits machen ihnen die privaten Banken Konkurrenz, weil auch sie vom Geld der kleinen Leute profitieren wollen. Andererseits versuchen die Sparkassen seit Jahrzehnten, das Image der Arme-Leute-Bank abzustreifen. Dazu haben sie ihr Angebot erweitert. Heute gibt es in den Geschäftsstellen nicht mehr nur Girokonten, Sparbücher und Knax-Hefte. Für ihre „Individualkunden“, wie die Sparkassen ihre vermögendere Klientel nennen, jonglieren die Berater mittlerweile mit Aktien und Futures, Puts und Calls. Die hauseigene Fondsgesellschaft Deka bietet die passenden Produkte dazu an.

Die Sparkassen werden jetzt an ihrer Rendite gemessen. Bei vielen kann sich das Verhältnis von Kosten und Einnahmen durchaus sehen lassen. „Der Druck ist da“, sagt ein Filialleiter. Wer nicht profitabel ist, wird mit dem Nachbarinstitut fusioniert. In den vergangen 15 Jahren ist die Zahl der Institute so um mehr als 40 Prozent geschrumpft, von 770 auf 463. Die übrig gebliebenen Sparkassen kamen im vergangenen Jahr auf eine Bilanzsumme von rund einer Billion Euro.

Die Sparkassengruppe ist stolz auf ihre Größe und auf das internationale Flair, das sie gewonnen hat. In einem ihrer Werbespots wird der Sparkassenkunde, der eigentlich nur zur Filiale um die Ecke will, von einem eifrigen Mitarbeiter in einen Helikopter gezerrt und durch die Skyline der Bankenmetropole Frankfurt geflogen. Die Botschaft ist klar: Wir mischen mit im Konzert der Großen. Der Wolkenkratzer Trianon, in dem die Fondsgesellschaft Deka residiert, steht direkt neben den Zwillings-Türmen der Deutschen Bank – und überragt sie um 31 Meter.

Angesichts solcher Machtdemonstrationen stellen Kritiker wieder die Frage, ob die öffentlich-rechtliche Stellung, die die Sparkassen-Gruppe genießt, überhaupt noch gerechtfertigt ist, oder ob sie ihr nicht einfach nur einen Vorteil gegenüber den privaten Wettbewerbern verschaffen. Der wichtigste Vorteil ist indes 2005 weggefallen: Der Staat haftet nicht mehr für die Sparkassen – dafür hat die EU-Kommission gesorgt. Doch die privaten Banken wollen mehr. Das öffentlich-rechtliche Monopol auf den Sparkassennamen soll fallen. Schließlich seien die Sparkassen im Grunde ganz normale Banken, die nach Gewinn streben. Dazu passt, dass die Sparkassenfilialen in Deutschland immer weniger werden. In den vergangenen fünf Jahren ist die Zahl der Geschäftsstellen von knapp 19 000 auf gut 16 000 gesunken.

In Berlin könnte sich bald zeigen, ob und wie private Sparkassen funktionieren – zumindest in der Stadt. Vielen Mitarbeitern ist davor schon bange. Die Kunden werden es vielleicht gar nicht merken. „Wenn mein Berater bleibt, bleibe ich auch“, sagt Tim Coughlin.

Stefan Kaiser

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