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Kultur: Das geschwächte Geschlecht

Immer wieder stößt man in Forums-Filmen auf Männer, die ihren Raum in der Gesellschaft verloren haben

Sie driften durch Sevilla und Warschau, hängen in Brasilia oder im Prag der sechziger Jahre herum: traurige, kluge Männer in den besten Jahren, die sich, zu Recht oder Unrecht, vom Leben benachteiligt fühlen. Eine ganze Reihe von Filmen im Forum erzählt solche Verlierergeschichten; das Thema verbindet die verschiedensten ästhetischen Ansätze und Produktionsländer.

So porträtiert Edi, der polnische Oscar-Kandidat, einen Warschauer Schrottsammler und seinen Freund, die für zwei mafiöse Alkoholschieber arbeiten. Der kluge, ernste Edi wird von ihnen beauftragt, ihre kleine Schwester zu unterrichten und auf sie aufzupassen. Die aber will sich lieber mit ihrem Freund treffen, und Edi überlässt ihr den Wohnungsschlüssel. Sie wird schwanger und behauptet, Edi habe sie vergewaltigt. Die Rache der Brüder ist fürchterlich: Edi wird nicht nur kastriert, sondern muss sich auch ums Kind kümmern. In kalten, blassen Farben hat Piotr Trzaskalski seinen Film inszeniert, in bis zur Unschärfe grobkörnigen Bildern und immer wieder totalen Aufsichten. Damit sind die religiösen Untertöne des Films schon beschrieben: Vor Gott sind auch der gute Edi und sein Freund nur Ameisen, die emsig ihren Beschäftigungen nachgehen. Das Motiv des gebildeten, schwachen Mannes ist schon lange ein Thema des osteuropäischen Kinos. Hier kommt dem Mann die Männlichkeit sogar buchstäblich abhanden; und der Film lässt keinen Zweifel daran, dass die Wodka saufenden und mit Geldscheinen um sich schmeißenden Mafiosi die neuen Herrscher sind.

Ein zweiter polnischer Forumsbeitrag, Dzien Swira/Tag des Idioten , ist als Satire auf die Errungenschaften des kapitalistischen Polens inszeniert: Geschildert wird ein Tag im Leben des Mittvierzigers Adas. Er ist Lehrer und vor allem Zwangsneurotiker, der nur mit Hilfe vieler unsinniger Rituale im Alltag bestehen kann. Durch im Off gesprochene innere Monologe des Helden werden wir Zeugen seiner Ängste, Ärgernisse und vergeblichen Vorhaben. Adas trauert einer Jugendliebe nach und ärgert sich über die Nachbarn, seine geschiedene Frau und seine Ärzte. Er leidet unter Verfolgungswahn und darunter, dass er seinen Sohn nicht häufiger sehen kann. Stellenweise ziemlich witzig ist dieser Film geraten – mit seinen subjektiven und grotesk verzerrten Perspektiven, seinen fröhlichen, hyperrealistischen Farben und seiner beißenden Ironie. Aber auch hier ist klar: Bildung ist nichts mehr wert in der Konsumgesellschaft, und das ist kränkend für alle Gebildeten.

In El traje/Der Anzug wird Patricio, ein afrikanischer Migrant in Sevilla, von den Spaniern gemieden, verachtet, misstrauisch beäugt, bis er einen Kleingauner trifft, einen belesenen Aussteiger, und bei ihm einzieht. „El traje“ erzählt damit gleich mehrere Verlierergeschichten, in einer Art übersteigertem Realismus, dessen sonnige Buntheit das Elend der Protagonisten visuell konterkariert. Jedoch, in Spanien ist man einen Schritt weiter: Hier haben sich die Entrechteten bereits zusammengetan, um am Ende des Films einen Löwen zu begraben – ein Hinweis auf eine womöglich bessere Zukunft.

Der sehenswerte tschechische Klic k urcováni trpasliku/Der Schlüssel zur Bestimmung der Zwerge setzt sich mit der Biografie des Filmemachers Pavel Jurácek auseinander, der zu den Gründern der Neuen Welle in den Sechzigern gehörte. In einer Mischung aus nachinszenierten Szenen und Archivaufnahmen wird von den großen Hoffnungen und Enttäuschungen einer ganzen Intellektuellen-Generation erzählt, die durch den zunehmenden Einfluss Moskaus auf Zwergenformat zurückgestutzt wurde.

Im brasilianischen Spielfilm Rua 6, Sem Número/Straße 6, ohne Nummer ist es ein Journalist, der sich mit dem neuen Medium PC nicht anfreunden mag und deshalb zunächst gefeuert und dann bei seinen Wanderungen durch Brasilia auf der Suche nach einer bestimmten Adresse mit allen möglichen merkwürdigen Existenzen konfrontiert wird: Auch er ist ein abgewerteter Bildungsbürger.

Angesichts all dieses Männerelends vergisst man fast zu fragen: Wo sind eigentlich die Frauen?

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