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Kultur: Das Glück kehrt auf die Insel zurück

Das Neue Museum in Berlin wird endlich wieder aufgebaut – als Hülle oder als Denkmal des 19. Jahrhunderts?

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Das Neue Museum, das einige Auserwählte dieser Tage ein letztes Mal vor dem auf sechs Jahre veranschlagten Wiederaufbau besichtigen dürfen, ist die große Unbekannte der Museumsinsel. Seit den schweren Bombenschäden im Zweiten Weltkrieg dämmerte das Gebäude ungenutzt und bis in die achtziger Jahre hinein auch ungeschützt dahin. Seine früheren Aufgaben nahmen andere Häuser der Stadt wahr, vor allem im Westteil Berlins, seine einstige Pracht geriet beinahe völlig in Vergessenheit.

Mit der Wiedervereinigung der Staatlichen Museen 1990 schien die Zeit zum entschlossenen Anpacken auf der Museumsinsel gekommen zu sein. Stattdessen zogen langwierige und mit zunehmender Erbitterung geführte Debatten alle Entscheidungen in die Länge. Dem Neuen Museum schlug das nunmehr 13-jährige Interim allerdings zum Segen aus: Erst die nach der anfänglichen Euphorie vorgenommenen gründlichen Untersuchungen förderten die Kenntnisse über das staunenswerte Gebäudeinnere zu Tage, die nun die Grundlage für das teils restaurierende, teils behutsam ergänzende und teils neu schöpfende Vorgehen des Londoner Architekten David Chipperfield bilden.

Schon jetzt zeichnet sich ab, beim Beginn des auf sechs Jahre veranschlagten Wiederaufbaus nach den vorangehenden Jahren der Gebäudesicherung und Neufundamentierung des buchstäblich im Spreewasser errichteten Gebäudes, dass das Neue Museum den Kristallisationspunkt weit gespannter Kontroversen abgeben wird. So, wie in den fünfziger Jahren der Wiederaufbau der kriegsbeschädigten Münchner Alten Pinakothek durch Hans Döllgast die Gemüter bewegte, reißt Chipperfields Mischkonzept noch einmal alle Probleme zwischen Konservierung, Restaurierung und Ergänzung auf.

Es geht – auch das wird man in Zeiten immer knapperer Kassen sagen dürfenn – nicht zuletzt um eine jetzt bewilligte Bausumme von 233 Millionen Euro, zu denen sich die bereits verbauten 50 Millionen Euro für Sicherungsmaßnahmen sowie eine noch unbestimmte Summe für die Einrichtung als Museum hinzuaddieren – alles in allem rund 300 Millionen Euro, die weit über den vor Jahren veranschlagten Betrag von 330 Millionen Mark hinausgehen.

Gewiss handelt es sich um ein höchst anspruchsvolles Gebäude. Und deutlicher als je zuvor seit der Eröffnung im Jahr 1859 steht vor Augen, welches architektonische, gestalterische und nicht zuletzt technische Meisterwerk Friedrich August Stüler geschaffen hat, als er die Kabinettsordre König Friedrich Wilhelms IV. von 1841, „die ganze Spree-Insel“ hinter Schinkels (Altem) Museum „zu einer Freistätte für Wissenschaft und Kunst umzuschaffen“, zu verwirklichen begann. Sein Gesamtentwurf blieb Fragment; gerade noch die so gänzlich anders aufgefasste (Alte) Nationalgalerie konnte er 1862 entwerfen. Die späteren Häuser des Bode-(eigentlichKaiser-Friedrich-) und des Pergamonmuseums folgten anderen Vorgaben und entfalteten zentrifugale Kräfte, die die Museumsinsel bis heute nicht zu jener Einheit haben zusammenwachsen lassen, die in dem beliebten Epitheton vom „Berliner Louvre“ ersehnt wird.

Diese Einheit zu schaffen, ist Gegenstand des „Masterplans“, den die Staatlichen Museen 1999 verabschiedet haben. Chipperfield soll auch die „archäologische Promenade“ als Herzstück gestalten: eine unterirdische Verbindung durch die freilich vorhandenen und weitgehend ungenutzten Sockelgeschosse der Museen hindurch (mit Ausnahme der nun wahrhaft solitären Nationalgalerie). Doch die Planung stockt, der Bund als inzwischen alleiniger Finanzier sämtlicher Baumaßnahmen der Preußen-Stiftung zeigt sich zugeknöpft – nachvollziehbar auf dem Hintergrund der Bausumme, die für das Neue Museum bewilligt wurde und die parallel zu den weiteren Großvorhaben der Preußen-Stiftung, der Sanierung des Bode-Museums und der Staatsbibliothek Unter den Linden, aufzubringen ist.

Also muss Chipperfield das Neue Museum so planen, dass es unabhängig von weiteren Bauvorhaben funktionieren kann. Damit kommt er paradoxerweise dem Ursprungsbau näher als mit der Gesamtkonzeption des Masterplans. Denn Stüler hat, wie Museums-Generaldirektor Peter-Klaus Schuster bei der Feier des Baubeginns am Dienstag dieser Woche betonte, das „erste gebaute Universalmuseum“ geschaffen, in dem Objekte aus aller Welt „mit gleicher historischer Aufmerksamkeit betrachtet“, das heißt: wissenschaftlich erschlossen wurden – und nicht nur, wie noch in Schinkels grandiosem Kunsttempel des Alten Museums, solche abendländischer Herkunft. „Erstmals stand die Kunst in imaginierten Lebensbildern vor Augen“: in Gestalt der reichen Dekoration, die in den beiden offenen Innenhöfen gänzlich untergegangen ist, in den Sälen der Obergeschosse teilweise aber erstaunlich gut erhalten blieb.

Uns Heutigen ist die Kombination etwa römischer Antiken mit Fresken kaiserzeitlicher Foren und Tempel gänzlich fremd geworden; und so wird sich die geplante Restaurierung auf Teile des Dekors wie etwa bemalte Decken beschränken. Dass aber solche imaginierten, wenngleich auf Wissenschaft gegründete Darstellungen – zumal in dem einst wie von Zauberhand erstrahlenden Ägyptischen Hof – einen unverzichtbaren Bestandteil der Museumskonzeption des 19. Jahrhunderts bilden, droht in solch fragmentiertem Vorgehen erneut vergessen zu werden.

Die jetzige Betonung der ingenieurtechnischen Neuerungen, die Stüler vorgenommen hat – auch sie waren bis zu den jüngsten Forschungen aus dem Bewusstsein geschwunden – wirkt demgegenüber wie ein Ausweichmanöver. Museums-„General“ Schuster fasster Stülers mutige, oft erst auf der Baustelle entschiedene Aufnahme technischer Neuerungen – wie den Einsatz einer Dampfmaschine oder die erstmals in Preußen gewagten gusseisernen Deckenkonstruktionen samt eigens erfundenen Topfziegeln – in die hübsche Formulierung der „Verbindung von Schinkel und Borsig“. Geht es aber beim Neuen Museum um das sorgsam konservierte Zeugnis der industriellen Revolution, wie sie Stülers Lehrer Schinkel in seiner 20 Jahre zuvor geschaffenen Bauakademie noch nicht recht hatte umsetzen können?

Im vollständig zerstörten, früher überreich geschmückten Treppenhaus, das den gesamten Museumsbau quer durchzieht und zusammenhält, will Chipperfield das nackte Ziegelmauerwerk sichtbar lassen. Die Parallele zu Döllgasts Münchner Pinakotheks-Wiederaufbau springt unmittelbar ins Auge. Aber es hieße, sich über die Geschichte hinwegzulügen, wollte man beide Vorhaben auf die gleiche Stufe stellen. Denn das ergreifende Pathos der vom Kriegserleben gezeichneten Generation, das Döllgasts roh belassene Treppenwände in Klenzes zerbombtem Prachtbau aussprechen, wäre heute und erst recht 2009, zur Wiedereröffnung des Stüler-Bauwerks 64 Jahre nach Kriegsende, nur eine hohle Geste der political correctness . Stülers Bau ist nicht bloße Hülle für Neues, sondern zuallererst ein Denkmal des 19. Jahrhunderts und seiner Bildungsbeflissenheit.

Der Wiederaufbau des Neuen Museums beginnt Anfang Juli. Das ist in der Tat ein beglückendes Ereignis. Aber die Diskussion um das Wie und Warum ist nicht abgeschlossen, kann nicht abgeschlossen sein und wird auch nach 2009 weitergehen – um eines der kostbarsten Baudenkmäler willen, das Berlin überhaupt noch besitzt.

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