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Kultur: Das Glück liegt nebenan

Ganz oben: Andreas Dresens „Halbe Treppe“, der deutsche Film des Jahres, kommt diese Woche ins Kino

Von Christina Tilmann

Manchmal gibt es auch im Filmbusiness Märchen. Da kommt ein junger, unbekannter Regisseur aus dem Osten daher, und der Hauptdarsteller seines kleinen, düsteren Berlin-Films, Michael Gwisdek, gewinnt einen Silbernen Bären der Berlinale. Und der Film gleich den Deutschen Filmpreis in Silber. Und von dem Geld dafür dreht er einen noch kleineren, noch tristeren Film in Frankfurt/Oder. Und gewinnt - nun für den Film – den Silbernen Bären. Und wieder den Deutschen Filmpreis in Silber. Und vielleicht dreht er mit diesem Geld einen weiteren Film, mit noch weniger Aufwand. Und gewinnt damit endlich den Goldenen Bären und den Filmpreis in Gold ...

Kein Starsystem, nirgends

„Halbe Treppe", Andreas Dresens jüngster Film, ist in jeder Hinsicht ein Kinowunder. Gedreht mit nur 600000 Euro, einer Crew von nur zwölf Mitarbeitern, ganz ohne Drehbuch, jede Szene wurde improvisiert. Das ging wohl nur, weil jeder der vier Darsteller ein Freund war, erprobt durch frühere Zusammenarbeit, voll Vertrauen und Lust aufs unbekannte Ufer. Bezahlt wurden übrigens alle gleich, auf pauschalierter Wochenbasis, von der Ausstatterin über den Kameramann bis zum Hauptdarsteller. Kein Starsystem, nirgends.

Dabei hätte ein Film herauskommen können, der eher für die Fernsehverwertung taugt (so wie sein Vorgänger, „Die Polizistin", der dann doch in die Kinos kam) oder für den Müll. Oder fürs private Poesiealbum – als Beleg eines einzigartigen Experiments. Dresen hat damit durchaus gerechnet, hat die Postproduktion erst mal verschoben und alles Geld in den Dreh gesteckt. Und dann ist dabei ein Film herausgekommen, wie er schlüssiger und dichter kaum denkbar ist. Kein Drehbuch? Mit jeder Szene schließt sich ein Kreis. Kein Geld für Stars? Die Schauspieler spielen, als gelte es ihr Leben. Und alles improvisiert? Kameramann Michael Hammon schafft einen sehr speziellen Look, eine Wärme und Nähe, wie sie selten ist im Film. Das soll ein Experiment gewesen sein? Es ist ein Meisterwerk.

Und es ist eine Lektion für alle, die meinen, in Frankfurt/Oder könne man nicht leben. Nicht mit den Plattenbauten, dem LKW-Stau an der polnischen Grenze, der Luftverschmutzung, der Tristesse und der ewigen Kälte. Nicht in einem Kaff, wo man die Wahl hat zwischen einer Existenz als Radiomoderator für den Frühstücksfunk („mit Dauer-Power vom Power-Tower“), als Wirt an der Würstchenbude, Kassiererin an der Grenze oder Verkäuferin bei Douglas. Nicht im alltäglichen Horror der Diaabende und Einbauküchen, des Streits ums Auto, den Wellensittich oder den letzten Pudding im Kühlschrank.

Genau davon erzählt der Film: von einem Leben auf „Halber Treppe“. Dort, wo man nicht ganz erreicht hat, was man wollte, und sich doch eingerichtet hat aus Bequemlichkeit. Dort, wo es nicht rauf und nicht runter geht, nicht vor und zurück. Ein Leben im immerwährenden Provisorium, wo die Träume langsam schal werden, verblassen, vergessen werden. Es ist nicht die schlechteste aller möglichen Welten.

Und auch davon erzählt der Film: wie man versuchen kann auszubrechen. Für einige wenige Stunden, unter der Autobahnbrücke, im Stundenhotel. Damit wieder ein Glanz in die Augen kommt, und ins Haar, und man wieder schön ist für kurze Zeit. Und damit es noch mal hell wird im Leben, in diesem dunklen Winterleben an der polnischen Grenze, wo es doch Sonne geben kann über dem Fluss. Und wie dann doch wieder alles stumpf wird und routiniert und vertraut, und wie die alte Bequemlichkeit wieder überhand gewinnt, auch mit neuer Wohnung, neuer Küche.

Und vor allem erzählt der Film von vier Überlebenskünstlern, von Menschen, die versuchen, mit dem Leben klarzukommen und miteinander und mit sich selbst. Die klassische Konstellation: zwei Paare, die Männer Freunde, die Frauen Freundinnen, man trifft sich regelmäßig zu viert, und plötzlich funkt es, wo es noch nie gefunkt hat, und alles bricht auseinander und würfelt sich neu zusammen und fällt dann wieder zurück. Und ist wie früher und doch ganz anders.

Eisbein und Currywurst

Da ist Uwe, der Büdchenbesitzer (Axel Prahl): ein Urviech, einer, der schnell einmal laut wird und auch zulangt und sonst nicht viele Worte macht. Einer, der Eisbeine in der Badewanne lagert und seinen Kindern jeden Tag Currywurst serviert. Und der denkt, mit einer neuen Küche wäre die Liebe zu kitten. Es sticht ins Herz, wie er versucht, seine Ehe zu retten, wie er ein rührend hilfloses Partnergespräch inszeniert und dann einmal, im Treppenhaus, vor Verzweiflung und Ratlosigkeit ganz klein wird, dieser große Mann.

Und da ist Magic Chris, der Radiomoderator (Thorsten Merten): smart, eitel, eingebildet. Einer, der Rotwein trinkt, wo alle anderen Bier trinken, der täglich gute Laune verbreitet mit eingedüstertem Gesicht und manchmal gerne Gott spielt, dort, vom Power-Tower, mit allen kleinen Menschen auf der Welt. Und wenn er ausbrechen will, dann immer mit Hintertür, und eigentlich nur zur Abwechslung, so ab und zu.

Und da sind die Frauen: Katrin, die wunderbar zupackende Gabriela Maria Schmeide, bekannt aus „Die Polizistin“. Diesmal ist sie die Verliererin, die immer noch liebt, wo sie längst betrogen wird, die wartet und ausharrt und am Ende belohnt wird mit einer Versöhnung, die von Anfang an schal wirkt. Aber sie ist auch die, die nach zwanzig Jägermeistern auf den Tisch steigt und singt und die lachen kann aus vollem, tiefen Hals. Vielleicht kann man diese Frau auch gar nicht aus der Bahn werfen.

Und Ellen (Steffi Kühnert), die einzige, die am Ende wirklich etwas tut. Sie scheint erst die schwächste Figur, in ihren hässlichen Steppjacken und der hässlichen Wohnung, mit hässlichem Mann und hässlichen, unglücklichen Kindern. Und zwischendrin erscheint sie selber hässlich, weil sie sich traut, egoistisch zu sein und alles wegzuwerfen, die Jacken, die Wohnung, den Mann, die Kinder. Weil sie sich das Recht nimmt, noch einmal anzufangen, nur für sich selbst.

Wer hat Recht? Wer hat Unrecht? Wer verhält sich falsch oder richtig? Der Film lässt es offen. Er ist seinen Figuren zu nah gekommen, um noch zu urteilen. Und mit ihm der Zuschauer. Tage später noch lungert irgendwo im Hinterkopf die beglückende Erfahrung, sich mit irgend jemandem ganz besonders gut unterhalten zu haben. Das war dann Ellen oder Chris, Leute wie du oder ich.

Übrigens: „Halbe Treppe“ ist ein Nachwende-Film. Ein Dogma-Film auch. Ein Ost-Film, genau und schonungslos. Doch darum geht es gar nicht.

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