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Kultur: Das Glück wohnt hinter Geranien

„Ein kapitaler Spätentwickler“: Das Schwule Museum feiert den Schauspieler O.E. Hasse zum 100. Geburtstag

Die Begegnung dauert nur ein paar Sekunden, aber die Blicke, die sich einen Wimpernschlag lang kreuzen, sagen alles. Ein Herr und ein Junge treffen sich auf einer Treppe, die vom Hamburger Hafen steil in Richtung Reeperbahn führt. Der Herr hat die Hände in seinen Hosentaschen vergraben und steigt bedächtig nach oben. Der Junge stürmt eilig an ihm vorbei. Er trägt eine schwarze Lederjacke, enge Jeans und Pomade im Haar, das kommt dem Herrn verdächtig vor. Sein Misstrauen ist berechtigt: Der Halbstarke ist ein Mörder. In „Alibi“, einem deutschen Film von 1955, spielt O.E. Hasse einen Reporter, der weiter recherchiert, nachdem das Gericht einen Unschuldigen verurteilt hat. Der wirkliche Täter, den er schließlich überführt, wird von Jan Hendriks verkörpert. Was die Kinozuschauer damals nicht wussten: Beide Schauspieler waren schwul. Hendriks wurde 1959 bei einer „unzüchtigen Handlung“ mit einem 18-Jährigen in seinem Auto erwischt und nach dem berüchtigten §175 zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Skandal war groß, die Karriere des Darstellers danach praktisch beendet. Hasse hingegen gelang es bis zu seinem Tod im Jahr 1978, sein Privatleben abzuschirmen.

„Ein kapitaler Spätentwickler“, heißt eine Ausstellung, die das Schwule Museum Hasse zu seinem 100. Geburtstag widmet. Es geht in der mit 250 Exponaten überraschend opulenten, klug inszenierten Schau auch um die sexuelle Orientierung des Schauspielers, aber vor allem geht es um seine Kunst. Die Ausstellung ist eine Hommage an einen der größten Film- und vor allem Theaterstars der Nachkriegszeit. Der Titel ist bei Friedrich Luft ausgeliehen, der konstatiert hatte, dass Hasse eigentlich erst dann am besten wurde, als er schon über 50 war. Otto Eduard Hasse wurde am 11. Juli 1903 in der Nähe von Posen geboren, er brach sein Berliner Jurastudium ab und wechselte an Max Reinhardts Schauspielschule. An den Münchener Kammerspielen, wo er ab 1930 engagiert war, feierte er erste Triumphe, unter anderem in den Salonkomödien von Oscar Wilde, der erstaunlicherweise zu den meistgespielten Dramatikern auf den deutschen Bühnen des Dritten Reiches zählte.

Eine Denunziation beendete 1939 Hasses Münchener Karriere: Er wurde wegen seiner Homosexualität zu einer zweimonatigen Gefängnisstrafe verurteilt. „Bei den Hausbewohnern ist bekannt, daß er wg. Vergehens gegen §175 verhaftet wurde, und es soll dies etwa 6 Uhr früh anlässlich eines Aufenthalts bei Juden gewesen sein“, heißt es in einer Akte des NSDAP-Gaus. Hasse wich ans Deutsche Schauspielhaus in Prag aus und ging danach nach Berlin. Bis Kriegsende ist er in 31 Filmen aufgetreten, die Filme hießen „Der schüchterne Casanova“, „Diener lassen bitten“ oder „Der ewige Klang“, aber die Rollen waren winzig. Auch in dem Propagandastück „Stukas“ war er zu sehen, obwohl ihm das Mitwirken an „ausgesprochenen Kriegsfilmen“ eigentlich verboten war. Als „Wimmel-Rollen“ hat der Schauspieler seine frühen Filmerfahrungen später abgetan.

Hasse war ein reifer Herr, aber sein Gesicht war unverbraucht, das waren zwei Voraussetzungen für seine Karriere in der Ära Adenauer. Nach dem verlorenen Krieg setzten die Deutschen ihr Vertrauen auf väterliche Typen, Hasse unterfütterte seine sachlich-patriarchenhafte Ausstrahlung mit der Autorität der Theaterherkunft. Bevor er Hauptrollen im deutschen Film bekam, hatte er den Mephisto in Jürgen Fehlings Zehlendorfer Experimentaltheater (1945) und den Harras im „Teufels General“ am Schlossparktheater (48) gegeben. Bis nach Hollywood drang sein Ruf, er spielte mit Oskar Werner in „Entscheidung vor Morgengrauen“ (1951) und in Hitchcocks „I Confess“ (52) an der Seite von Montgomery Clift. Im deutschen Kino, das sich damals in Form von Kriegsaction und Gefangenenmelodramen an der jüngsten Vergangenheit abarbeitete, wurde der Typ des aufrechten Offiziers zu Hasses Spezialität. „Obwohl ich für Soldaten nichts übrig habe, komme ich seit Kriegsende aus der Uniform nicht mehr heraus“, notierte er in seinen unveröffentlichten Erinnerungen.

Uniformen: Standfotos zeigen Hasse in „Der Arzt von Stalingrad“, der „08/15“-Serie, in „Canaris“, „X-Boote greifen an“ und mit hochgezwirbeltem Bart als Kaiser Wilhelm II. in „Arséne Lupin, der Millionendieb“. Die Kriegsfilme waren erfolgreich, ihre rührselige Machart aber keineswegs unumstritten. „Lachsalven durchdröhnen das Kino, wenn kerniger Landserhumor seine Späße treibt. Die Leistung, selbst das Thema Stalingrad mit Humor, Sex und etwas Eleganz ,aufzulockern’, kann man wahrlich nur fassungslos bestaunen“, schrieb die „Filmkritik“ 1958 über „Der Arzt von Stalingrad“. Eine wichtige Rolle für Hasses Kinokarriere spielte der – ebenfalls schwule – Regisseur Alfred Weidenmann, der ihm zu seinem Durchbruch in „Canaris“ (1954) verhalf, zwei weitere Filme mit ihm drehte und ihn später in die Fernsehserie „Der Alte“ holte. Die Ausstellung sieht ihn sogar als Hasses „Pygmalion“.

„Wer sich auf den Weg macht, O.E. Hasses Privatleben zu erforschen, sollte sich vorher an leichteren Aufgaben versuchen, denn der durch seinen ,Canaris’-Erfolg Populäre ist auch privat ein Meister der Abwehr. Er hat auch wirklich etwas zu verteidigen, was heutzutage kostbar ist: eine Idylle. Hinter rotblühenden Geranien sitzt der Berühmte in der Ecke einer endlosen Terrasse, dem größten Raum seiner kleinen Junggesellenwohnung.“ An den Homestorys über Hasse – hier aus dem „Abend“ von 1955 – ist am interessantesten, was zwischen den Zeilen steht. Die Ausstellung konfrontiert das öffentliche Bild mit der privaten Wirklichkeit. An einer Wand hängen große Aufnahmen, die Hasse mit Romy Schneider, Nadja Tiller, Sonja Ziemann zeigen, lauter heterosexuelle Traumpaare. Gegenüber sind fotoalbumkleine Bilder aus dem Alltag des Schauspielers versammelt: O.E. Hasse am Strand, beim Feiern, mit seinem Partner. Er wirkt frei und glücklich.

Schwules Museum, Mehringdamm 61 (Kreuzberg), bis 15. September, täglich außer Di 14–18, Sa 14-19 Uhr.

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