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Kultur: Das graue Gesicht der Niederlage

Einmal ging ich dorthin, um mir die Ausstellung über den russischen Schriftsteller Ehrenburg anzusehen. Um seine Bücher zu betrachten, seine Frontberichte, die Pfeife, die er geraucht hat, und die Fotos, auf denen eben dieses Rauchen ganz ausgezeichnet zu sehen ist.

Einmal ging ich dorthin, um mir die Ausstellung über den russischen Schriftsteller Ehrenburg anzusehen. Um seine Bücher zu betrachten, seine Frontberichte, die Pfeife, die er geraucht hat, und die Fotos, auf denen eben dieses Rauchen ganz ausgezeichnet zu sehen ist. Erst danach begriff ich, daß im Nachbarraum der Tisch stand, auf dem General Keitel die deutsche Kapitulation unterschrieb. Das war dasselbe Zimmer, das Marschall Schukow betrat, ganz rot im Gesicht, und auf der anderen Seite der blasse deutsche General mit dem Stab des Heerführers in der Hand.

Es ist ein sehr merkwürdiger Raum. Dort wird nämlich ununterbrochen der Film über dieses Ereignis, das vor über fünfzig Jahren stattfand, gezeigt. So daß der Besucher den Eindruck gewinnt, er befinde sich bedingt durch einen Zeitfehler in jener Epoche. Deren Akteure allesamt tot sind, und jeder von uns scheint sich zwischen Schatten und Vampiren zu bewegen. Denn die Geschichte ist voll von Toten und Schatten der Vergangenheit, und diejenigen, die leben, merken noch nicht einmal, daß sie an einer Geschichte teilhaben. Heute jedoch denke ich nach über die Kapitulation, die die Armee meines Landes zu unterschreiben hat, dort unten im Süden. Ich weiß jetzt, wie sich Klaus Mann gefühlt haben muß.

Es gibt ein Foto, auf dem der deutsche Schriftsteller in der Uniform der amerikanischen Siegerarmee zu sehen ist, während er für ebenso amerikanische Zeitungen schreibt. Ich werde zumindest nicht angehalten, über diese Dinge zu berichten, oder irgendjemandes Uniform zu tragen. Trotzdem denke ich nach über den Menschen im Land der Kapitulation, nach einem Krieg, der wie üblich sinnlos war. Und dann betrachte ich die Menschen im Film, wie sie in der Stadt unserer Vergangenheit herumlaufen, in der Sonne. Und wie sie nicht gewillt sind, direkt in die Kamera zu blicken, sondern irgendwohin, zur Seite. Denn sogar sehr gleichgültige Angehörige eines Volkes verspüren am Tag der Niederlage eine Bitterkeit im Herzen. Wie wenn die eigene Mannschaft ein Fußballspiel verliert.

Ich muß wieder an jenen rotbackigen Marschall der russischen Armee, Schukow, denken. Welcher den größten Sieg dieses Jahrhunderts erkämpfte, weil er hier in Berlin die nicht zu erobernde Festung Hitlers betreten hatte. Dennoch hat sich die damals unbesiegbare Armee seines Landes inzwischen sehr verändert. Und das ganze Imperium des russischen Kommunismus hat einen schrittweisen Zusammenbruch erlebt. Diese riesige Macht hinterließ ein Volk, das ziemlich schlecht gekleidet ist, nicht gerade immer satt, und eine Unzufriedenheit, die sich in den Herzen der russischen Menschen eingenistet hat. Und wir wissen, daß die russische Unzufriedenheit etwas ist, das bei diesen Menschen seit jeher existiert, und ihr ein Sich-Abfinden mit diesem Zustand folgt. Das hat schon Dostojewskij beschrieben und in einer viel milderen Form auch Tschechow. Daß die russische Seele aus Leid besteht und später dann aus dem Sich-Abfinden mit eben diesem Leid. Am Ende steht eine große Unruhe, aus der einiges hervorgehen kann.

Das alles habe ich im Museum von Karlshorst gelernt, das dem Sieg der russischen Armee im Zweiten Weltkrieg gewidmet ist, mittelbar aber auch der Niederlage der sozialistischen Idee, die später folgte. Denn die Flaggen, die dort in dem grauen Haus des Berliner Vorortes hängen, sind schäbig. Wie auch die Menschen, die durch dieses Städtchen innerhalb der großen Metropole Berlin laufen. Deren Gesichter grau sind - wie auch ihre Kleidung. So als ob ich mich in der Stadt meiner Vergangenheit im Süden befände, der das Unterschreiben der Kapitulation noch bevorsteht.

Die Armee meines Volkes hat ebenso einen ungerechten Krieg geführt, und was die Sache noch schlimmer macht, ist die Tatsache, daß es ein Krieg war gegen die Menschen meines eigenen Landes. Und so muß es nun den Schaden, den es sich selbst angerichtet hat, bezahlen. Mein Land, sich selbst. Ich weiß nicht, wo unsere Generäle dieses Eingeständnis unterschreiben sollen. Daß sie zu Unrecht Häuser auf dem eigenen Territorium angezündet, auf Männer, Frauen und Kinder - unsere eigenen Landsleute - geschossen haben. Ich glaube, daß es in der Geschichte meines Landes ein solches Museum wie das in Karlshorst nicht geben wird. Das freut mich sogar. Denn in keinem Sieg sehe ich einen Anlaß zu großer Freude, und aus der Niederlage kann der Mensch sehr viel lernen.

Das geht jedoch sehr langsam. Denn die Menschen, die ich in Karlshorst treffe, das besiegte Volk des Sozialismus, sind immer noch sehr wütend. Diese Bevölkerung unseres Vorortes ist nicht deshalb verärgert, weil die deutsche Nation den Krieg gegen Rußland verloren hat. Sondern deshalb, weil die allgemeine Idee der Brüderlichkeit zwischen den Menschen vor zehn Jahren wie ein Kartenhaus zusammenbrach. Diese Niederlage müßte uns eigentlich allen eine Ehre sein. Und so denke ich auch über meine Menschen aus dem Süden. Die einen sinnlosen Krieg verloren haben, und nun sollen sie auch noch ihre Illusionen verlieren. Daß sie das wichtigste Volk in Europa sind und ihr Führer die klügste Person der Gegenwart. Im Gegenteil, sie müssen begreifen, daß sie - wie auch viele andere - ein Volk sind, zusammengesetzt aus recht unbedeutenden Menschen, an deren Spitze außerdem eine hochverdächtige Person steht. Dessen Niederlage einer künftigen Generation Glück bringen wird, obwohl diese vielleicht noch nicht geboren ist.

Bora Cosic ist serbischer Schriftsteller und lebt in Berlin. Den Text übersetzte Alida Bremer

BORA COSIC

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