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Kultur: Das große Grau

Gerhard Richter präsentiert in der Deutschen Guggenheim Berlin seinen jüngsten Werk-Zyklus

Von Christina Tilmann

Bei Gerhard Richter werden selbst gestandene Journalisten schwach – und lassen sich ihre Kataloge signieren. Er ist Deutschlands einziger Künstler-Star, mehr denn je seit der großen Retrospektive, mit der er in diesem Frühjahr in New York als einer der wichtigsten Maler der Gegenwart gefeiert wurde. Und er ist gleichzeitig derjenige, von dem man persönlich am wenigsten über sein Werk erfahren wird. „Herr Richter, Sie haben gesagt, dass Ihre grauen Bilder den rigorosesten Illusionismus von allen aufweisen. Können Sie das erläutern?“ lautet eine nicht ganz fernliegende Frage angesichts von Richters neuer Serie „Acht Grau“. Zögern, Schweigern, verlegenes Räuspern: „Ich könnte Ihnen vielleicht einen langen Text darüber schreiben, in einigen Tagen. Jetzt beantworten kann ich die Frage nicht“, kommt zurück. Der Künstler nimmt sich das Recht, nicht mitzuspielen im drehenden Karussel medialer Verwertbarkeit – und wird gerade deshalb von den Medien umschwärmt wie kaum ein anderer.

Monumental und gleichzeitig extrem zurückgenommen ist auch die Arbeit, die Richter als Auftragswerk für die Deutsche Guggenheim geschaffen hat. Acht grau verspiegelte Glasplatten, an den Längsseiten des schlauchartigen Ausstellungsraums Unter den Linden montiert, beherrschen den Raum und treten gleichzeitig hinter jeder Bewegung, hinter jeder veränderten Licht- oder Wolkenstimmung zurück. Der Betrachter, der sich zwischen ihnen bewegt, kommt selbst mitwirkend ins Bild.

Wie durchlässig, wie sensibel die Arbeit ist, zeigt sich auch daran, dass sie extrem abhängig von ihrer Umgebung ist. Bleibt das kühle Neonlicht der Ausstellungshalle angeschaltet und spiegelt sich mit seinen weißen Röhren in den Platten, entsteht ein klinisch-kühler, stark künstlicher Raumeindruck, ein Abgehobensein von der Realität. Beherrscht das – durch die erstmals auf die Linden hinaus geöffneten Fenster – eindringende Tageslicht, der Abenddämmer den Raum, entsteht eine dämmrig-sakrale Stimmung, tritt das Werk zurück und gleichzeitig die Straße, die Stadt in den Raum. Noch ist die Präsentationsform nicht entschieden. Richter selbst favorisiert die Tageslicht-Lösung – „das ist wie in einer gotischen Kathedrale, wo das Licht auch erst langsam zu leuchten beginnt“ – und verrät noch ganz nebenbei, dass er zurzeit an Glasfenstern für den Kölner Dom arbeitet: „Ich weiß aber nicht, ob ich das schaffe.“ Und lächelt verlegen, und schweigt.

Vielleicht hat Richter Recht darin, dass er sich weigert, von Konzepten, Überlegungen, Planungen zu viel preiszugeben. Denn seine Werke sind unmittelbar zugänglich – und fächern sich doch immer weiter auf, je tiefer man eindringt. Benjamin H. D. Buchloh, Kurator der Ausstellung und langjähriger Freund und Begeiter Gerhard Richters, bezeichnet sich als „eines der ersten Opfer des Richter’schen Labyrinths, in das man sich hineinbegibt und niemals mehr herauskommt.“ Seit Jahren beschäftige er sich mit Richters Werk und könne doch nicht behaupten, es verstanden zu haben – zum Glück.

Auch „Acht Grau“, das auf den ersten Blick so einfach wirkt, hat Vorläufer: in den vier schwenkbaren Glasscheiben von 1967, mit denen Richter auf Duchamps „Großes Glas“ reagierte, in seiner Auseinandersetzung mit dem Minimalismus, in den Fensterbildern und den viel malerischeren Grau-Bildern der 70er Jahre. Auch die Arbeit „Schwarz, Rot, Gold“, die Richter für die Vorhalle des Reichstags schuf, stand Pate – in der kühlen Verspiegelung wie auch in der Art, wie sich Richter bei aller Abstraktion doch ganz konkret mit seiner Umgebung, mit Berlin, den Stadtbildveränderungen und der Möglichkeit, hier heute Kunst zu produzieren, auseinander setzt. Es ist, Richters viele Vorzeichnungen belegen das, ein sehr ortsbezogenes Werk – und vielleicht auch eins, das Richters distanziert beobachtende Haltung zum wiedervereinigten Deutschland widerspiegelt.

Doch wehe, man fragt den Maler danach. Denn dass man Richter persönlich nicht zu nahe treten solle, dass man sich davor hüten müsse, irgendwelche Verbindungen zwischen Werk und Leben vorzunehmen, ist ein Dogma der Richter-Rezeption. Zu unwirsch hatte der Maler allen Versuchen, seine Fotobilder, seine Stadtansichten aus seiner Biographie zu erklären, widerstanden. Auch Dietmar Elgar, Kustos am Hannoveraner Sprengel-Museum, wagt in seiner gerade bei DuMont erschienenen Richter-Biographie nur ganz vorsichtige, zurückhaltende biographische Deutungen – und das, obwohl er das Glück hatte, den Maler persönlich befragen zu können. Oder gerade deswegen?

So hat sich „Gerhard Richter, Maler“ dem Stil des Meisters angepasst: Es ist eine sorgfältige, nüchterne, nicht unbedingt inspirierte Erklärung des Werdegangs, der einzelnen Werkgruppen, der handelnden Personen. Ein immer gleicher Aufbau – kurze biographische Vorstellung der Künstler, Beschreibung des Werkbereichs und der Einflüsse – macht das Buch sehr informativ – und wenig emphatisch. Keine Dramen, keine Jubelworte – wäre man nicht sicher, dass hier auf 468 Seiten einer der größten Künstler der Gegenwart geehrt wurde, man würde es vielleicht nicht merken.

In einem jedoch hat Elger recht: Seine Biographie endet mit der jüngsten Werkgruppe „Acht Grau“ – und mit der Einschätzung: „Während das Museum of Modern Art in New York noch vierzig Jahre Malerei bilanziert, scheint Gerhard Richter mit seinen aktuellen verspiegelten Arbeiten bereits zu einer künstlerischen Neuorientierung im Werk überzuleiten.“ Wir sind dabei.

Gerhard Richter, Acht Grau, Deutsche Guggenheim Berlin, bis 5. Januar, täglich 11 bis 20 Uhr, Do bis 22 Uhr, Eintritt3/2 Euro.

Dietmar Elger, Gerhard Richter, Maler. DuMont Verlag, Köln 2002, 468 Seiten, 48 Euro

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