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Klassik-Konzertbetrieb: Das große Wagen

Private Veranstalter drängen auf den Berliner Klassikmarkt. Das Publikum kann davon nur profitieren. Problematisch aber ist das Verhalten eines neuen Akteurs auf dem hiesigen Markt: Die Berliner Philharmoniker. Seit das Orchester in eine Stiftung überführt wurde, tritt es immer massiver als Veranstalter auf. Und verzerrt damit den Wettbewerb, da diese Aktivitäten ja durch Subventionen finanziell abgepuffert sind.

Witiko Adler kann so schnell nichts erschüttern. Schließlich hat er schon die Berlin-Blockade mitgemacht. Und den Bau der Mauer. Und den Kalten Krieg, die Ölkrise, 1968 und die Wende. Jedes Mal gingen die Zuschauerzahlen signifikant zurück – doch seine Konzertdirektion hat das alles überstanden. Witiko Adler ist jetzt 83 Jahre alt, seit 1948 steht er an der Spitze des Familienbetriebs. Spricht man ihn auf die Klassikveranstalter aus dem Süden und Westen der Republik an, die seit der vergangenen Saison versuchen, ihm seine Marktführerstellung in der Hauptstadt streitig zu machen, zuckt in seinem Gesicht kein Muskel. Auf sein Stammpublikum kann er sich verlassen, auf seine Wilmersdorfer, Steglitzer, Charlottenburger, Zehlendorfer. Die schätzen den persönlichen Service bei Adlers, das Familiäre der Ur- Westberliner Institution. Und was die Künstler betrifft, fügt seine Ehefrau Jutta hinzu, so arbeite man mit vielen schließlich seit Jahrzehnten zusammen. Mit Daniel Barenboim beispielsweise. Oder mit dem Beaux Arts Trio.

Dennoch ist der Angriff der Mitwettbewerber an den Adlers nicht ganz spurlos vorübergegangen. Zum allerersten Mal in der bewegten Firmengeschichte wurde jetzt in einer Annonce ein Werbeslogan ausprobiert: „Wir kennen die Klassik. Wir kennen Berlin. Seit 1918.“

Auch Till Schoneberg fühlt sich mit der Stadt vertraut. Seit Studententagen ist er immer wieder in die Philharmonie gepilgert, hat das Konzertleben intensiv beobachtet. Sein Geld verdient er allerdings als Veranstalter vor allem in Münster und Bielefeld. Und das wird auch erst einmal so bleiben: Mit der Kammermusikreihe, die er im Herbst 2010 im Otto- Braun-Saal der Staatsbibliothek startete und die er wegen der Asbestsanierung des Hauses nun im Konzerthaus am Gendarmenmarkt weiterführt, lässt sich kaum Gewinn machen. Dazu ist das Preisniveau in der Hauptstadt traditionell einfach zu niedrig.

Was Schoneberg antreibt, ist etwas anderes: Er ärgert sich darüber, dass die Konzertdirektion Adler die Nachwuchspflege schleifen lässt. Schoneberg ist einer, der nachhaltig denkt. Seine größte Freude ist es, Talente zu entdecken, zu fördern und – wenn sie sich künstlerisch positiv entwickeln – mit ihnen eine internationale Karriere aufzubauen. „Champagner-Klassik“ interessiert ihn nicht: „Anna Netrebko kann jeder veranstalten, dazu muss man kein Klassik-Fachmann sein!“ Aber jungen Künstlern ein Forum zu geben, dazu ist kaum einer der Kommerziellen bereit.

„Neue Namen“ heißt Schonebergs Format: Bei After-Work-Konzerten, die um 18.30 Uhr beginnen und nur eine Stunde dauern, stellt er Interpreten vor, an deren Potenzial er glaubt. Und weil die Hauptstädter inzwischen gemerkt haben, dass er ein guter Talentscout ist, läuft die Serie prima. Beim Pianisten Igor Levit war der Saal voll, auch die Trompeterin Tine Thing Helseth zog viele Besucher an, und für den Auftritt des Gitarristen Milos am 2. Dezember gibt es nur noch Restkarten.

Richtig fuchsig kann der sonst so lockere Till Schoneberg allerdings werden, wenn es um die Herren von „First Classics“ geht. Eigentlich haben sich der Regensburger Kulturmanager Reinhard Söll und sein in München wirkender Kollege Andreas Schessl zu einer strategischen Allianz zusammengeschlossen, um die Tourneen der Stars besser vermarkten zu können. Mit dem Berlin-Ableger ihres joint venture allerdings gehen sie in den ganz harten Konkurrenzkampf. So jedenfalls bewertet Schoneberg die Tatsache, dass sich „First Classics“ just auf jene Künstler stürzt, die auch er in dieser Saison anbietet: „Wenn ich Hilary Hahn nach Berlin hole, müssen die das sofort auch tun“, schimpft er. Bei Daniel Hope und Martin Stadtfeld sei es dasselbe. Damit kannibalisierten sich die Veranstalter gegenseitig: Weil sich in so einer kurzen Zeitspanne selbst in einer Touristenmetropole wie Berlin nicht genug Ticketkäufer fänden.

Reinhard Söll bewerter das naturgemäß anders. Auch wenn „First Classics“ die Zahl der Veranstaltungen nach dem ersten Jahr von sieben auf jetzt 19 erhöht hat, sieht er sein Projekt noch in der Orientierungsphase: „Wir müssen experimentell feststellen, wo unser Platz im Berliner Markt ist.“ 2010/11 sei man mit einem „Feuerwerk der Superglamour-Namen“ gestartet, jetzt probiere man eben andere Künstler aus, wie die Pianistin Khatia Bunitiashvili, die noch ein Geheimtipp unter Kennern ist, oder wie John Malkovich und die Wiener Akademie mit einem Musiktheaterprojekt. Aber eben auch Hilary Hahn, Martin Stadtfeld und Daniel Hope.

Im Gegensatz zu Till Schoneberg kann sich „First Classics“ allerdings eine aufwändige Werbe-Offensive leisten, inklusive einer neuen Berlin-Ausgabe des hauseigenen Promo- Magazins „Konzertnews“.

Den Liebhabern der Klassik kann dieses Gerangel der Veranstalter nur recht sein. Weil die Konkurrenz auf Alteingesessene wie Witiko Adler belebend wirkt. Und weil der Rest der Kulturwelt neidvoll auf die stetig wachsende Programmvielfalt Berlins blickt.

Nachdem jüngst die beiden wichtigen Plattenfirmen Sony und Deutsche Grammophon in die Hauptstadt gekommen sind, hat nun auch die mächtige Konzertdirektion Schmid aus Hannover ihre PR-Abteilung nach Berlin ausgelagert. Man will eben dort präsent sein, wo auch die Künstlerkunden sind.

Einen Akteur allerdings gibt es auf dem hiesigen Markt, den die staatlichen Kontrollorgane einmal überprüfen sollten: die Berliner Philharmoniker. Seit das Orchester in eine Stiftung überführt wurde, tritt es immer massiver als Veranstalter auf. Und verzerrt damit den Wettbewerb, da diese Aktivitäten ja durch Subventionen finanziell abgepuffert sind. „Wenn da mal ein Konzert an der Kasse nicht gut läuft, hat keiner eine schlaflose Nacht“, benennt Schoneberg die Schieflage.

In acht verschiedenen Reihen der Philharmoniker treten mittlerweile Gäste auf. Darunter Maurizio Pollini und Murray Perahia, die früher von Witiko Adler vertreten wurden, oder Krystian Zimmermann, den auch Schoneberg gerne engagiert hätte. Da werden ganze Orchester wie Il Giardino Armonico geholt, mit denen Kommerzielle gutes Geld verdienen könnten, oder Gesangsstars wie Jonas Kaufmann und Joyce DiDonato.

Zudem ist es ja keineswegs so, dass die von den Philharmonikern verantworteten Gastauftritte für die Besucher automatisch günstiger wären als bei den Privaten: Dem Pianisten Lang Lang richtet das Orchester 2012 einen Soloabend aus, bei dem die besten Tickets 125 Euro kosten – für denselben Preis bekommt man in dieser Saison auch Wagners „Walküre“ mit den kompletten Philharmonikern samt Simon Rattle und 14 Gesangssolisten.

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