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Kultur: Das Herz, im Theater gebrochen

Der Schauspieler Fritz Schediwy ist tot

Nachrufe beginnen meist nicht mit dem Ende. Hier aber geht es nicht anders. Denn der Schauspieler Fritz Schediwy ist am Montagabend in Berlin gleichsam auf offener Bühne gestorben. Vor einem Publikum, in dem viele seiner Freunde und Kollegen saßen.

Man war im Foyer des Schillertheaters zusammengekommen, um eigentlich den Bühnenbildmeister und Regisseur Wilfried Minks zu feiern. Der Suhrkamp Verlag präsentierte ein Buch von Ulrike Maak und Minks, eine Autobiografie in klugen Gesprächen und vielen Bildern über und mit dem im letzten Jahr 80 gewordenen revolutionären Erneuerer des Welttheaterraums. Vom Dramatiker Tankred Dorst über den Schauspieler Otto Sander, den Minks-Schüler Johannes Schütz (der zuletzt alle Bühnen für Jürgen Gosch entworfen hat) oder Elisabeth Plessen, die Schriftstellerin und Witwe von Peter Zadek, der wie Peter Stein seine Karriere der Zusammenarbeit mit Minks verdankte: tutti quanti, freudig versammelt. Erst sprach Staatsopernintendant Jürgen Flimm, der von seinen frühen Theaterzeiten an von Minks gelernt hatte, dann Ulla Unseld-Berkéwicz, die Suhrkamp Verlegerin, frühere Schauspielerin und Ehefrau von Wilfried Minks.

Hierauf las Eva Mattes, auch sie eine Protagonistin des Minks-Zadek-Theaters, aus dem Buch – und nach ihr, neben ihr auf dem Podium Fritz Schediwy, der bei Minks und Zadek so viele große Rollen gespielt hat. Schediwy war braungebrannt, doch sehr schmal geworden, trug eine abgedunkelte Brille, die er beim Lesen nicht gleich abnahm. Er sprach, in Minks’ und Ulrike Maaks Worten, davon, wie der Raum des Theaters vom Dekor und der künstlichen Kulisse zum wahren Kunstraum für lebendige Menschen verwandelt wurde. Für Schauspieler wie auch ihn. Plötzlich aber stockte die leise, leicht heisere Stimme, Schediwy hielt lange inne, bis Unseld-Berkéwicz, Flimm und der wunderbare Minks selber aufsprangen. Es wurde Wasser gereicht, Minks’ anwesende Zwillingssöhne, beide Ärzte, versuchten den Erstarrten zu beatmen. Alle anderen verließen schweigend den Saal.

Jürgen Flimm und engere Freunde saßen dann in der nahen „Schiller-Klause“, Fritz Schediwy war noch ins Virchow-Klinikum gebracht worden, doch eine halbe Stunde vor Mitternacht kam die telefonische Nachricht, dass alles vergebens war.

Fritz Schediwiy hatte ein empfindliches, durchs Leben und seine Kunst immer angegriffenes Herz. Er gehörte zu der wilden Bande um Kurt Hübner, Stein, Zadek, Minks, Bruno Ganz und viele andere in Bremen Ende der sechziger Jahre, war bei Fassbinder, bei Peymann (in Bochum und Wien), bei Roberto Ciulli oder Jürgen Gosch ein tollkühner, fiebernder, sich mit jeder Existenzfaser in jede Rolle werfender, einbohrender, einhämmernder Spieler. Auch im Kino, etwa in Werner Schroeters „Malina“. Auf seine Weise exzessiv wie ein Kinski oder Wildgruber, und manisch dazu. Aber nicht egoman. Ich habe um 1980 als Dramaturg am Schauspiel Frankfurt mit ihm und Minks, Johannes Schaaf und B.K. Tragelehn zusammenarbeiten dürfen. Und habe ihn zugleich als großzügigen, für andere offenen Ensemblespieler erlebt. Obwohl ihn sein ungeheures, auch von Ängsten und jähen Sehnsüchten getriebenes Temperament, verbunden mit einer hochgespannten Körperlichkeit, oft gefährdete. Man musste ihn, den Virtuosen, manchmal vorm leidenschaftlichen Übertreiben bewahren. Vom Ödipus, Richard III. über Dorsts Merlin und Heine bis zur Uraufführung von Heiner Müllers „Quartett“ (da war er ganz kalte Glut) hat er fast alles gespielt. Den Molière’schen Schauspielertod auf der Bühne, den letzten Akt des „Limelight“ hat er nun, 68 Jahre alt geworden, nicht gespielt. Peter von Becker

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