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Kultur: Das hört mein Bruder?

Gleich vorneweg: Ich habe noch nie eine Platte von Can in den Händen gehabt.Ich bin 23 Jahre alt, und seit ich hören kann, höre ich Musik.

Gleich vorneweg: Ich habe noch nie eine Platte von Can in den Händen gehabt.Ich bin 23 Jahre alt, und seit ich hören kann, höre ich Musik.Can waren nie dabei.Eigentlich darf ich das nicht schreiben.Can kennt man einfach.Sagen alle.In Wahrheit hört natürlich niemand Can, jedenfalls niemand in meinem Alter.Nicht mal unsere großen Geschwister haben Can gemocht (außer mein Bruder, aber der hat sowieso einen bizarren Geschmack).Warum aber kommen zum Treffen der "Dosen" so viele 23jährige in die Berliner Columbiahalle? Weil sich die stilprägenden Musiker unserer Generation - Sonic Youth, Tortoise, The Orb, ja sogar Westbam - alle auf die Band berufen.Weil sogar Elektro und Techno und weiß der Kuckuck was noch von Can erfunden wurde.

Einen Mythos gilt es zu besichtigen.Mitglieder von Can präsentieren ihre Soloprojekte in der Columbiahalle, die sie allein nie füllen könnten, und verkaufen das unter dem Label ihrer Ex-Band.Damit die alten Herren nicht ganz so alt aussehen, stellen sie junge Menschen neben sich.Ein bißchen Jugend wird schon abfärben.

Auch Holger Czukay, damals noch Bassist bei Can, betreibt Nachwuchspflege.Als Leiter der Medienperformance "Magazine" hat er sich hinter einer Burg von Elektronik verschanzt.Die Bühne überläßt er meist einem jüngeren Mann, der im Schneidersitz meditiert.Mit langem Bart, in die Stirn gezogener Mütze und Kinderfresser-Blick wäre er besser in einer Death-Metal-Band aufgehoben.Bei Czukay darf er mit zwei roten Kugeln spielen, deren Bewegung das Brummen, Summen und Wimmern auf der Bühne beeinflußt.

Kuschelrock für Aliens ist dagegen angesagt, wenn die kahle Sängerin U-She die Bühne betritt und zum Synthie-Schmelz Velvet Undergrounds "Sunday Morning" herunterseufzt.Dem Namen Can wird Czukay voll gerecht, kommt doch bei seiner Performance alles aus der "Konserve".Weil wir 1999 leben, gibt es auf einer Leinwand "unbekannte virtuelle Welten" (so der Pressetext).Ich sehe aber nur Filmschnipsel mit dem jungen Czukay, fahrenden Schiffen und verschwommenen Landschaften - aber keinen Sinn.Die Zwischenansagen des Meisters lassen vermuten, daß es auch gar keinen gibt.Mit randloser Brille und weißen Haaren sieht er aus wie mein Zahnarzt und verteilt Tips für den Alltag: "Wenn ihr einem Alligator entkommen wollt, müßt ihr versuchen, euch neben ihn stellen.Das macht ihn nervös."

Danach steht die Band mit dem blödesten Namen aller Zeiten auf der Bühne: Sofortkontakt! Ja, mit Ausrufezeichen.Der Gitarrist mit der hageren Gestalt und den langen Haaren ist wohl Michael Karoli, zumindest sieht er aus, wie ich mir olle Krautrocker vorstelle.Minutenlang reitet er auf einzelnen Tönen herum, zupft zerlegte Akkorde oder nudelt Tonleiterübungen.Sein Kollege mit den kurzen Haaren und dem DaffyDuck-T-Shirt fiedelt dazu die Geige so einfallslos, daß ich mir aus Langeweile überlege, wie viele Joints der Durchschnittsdeutsche wohl braucht, um darauf tanzen zu können.Auch in der Halle duftet es aus allen Richtungen, daß einem schon vom bloßen Atmen schwindlig werden kann.

Daß man auch ohne Drogen ordentlich trippen kann, beweist Irmin Schmidt.Natürlich ist auch der Can-Keyboarder älter und dicker geworden.Trotzdem macht er im neuen Jungle-Gewand eine prima Figur.Während sich seine Baßtöne langsam heranschleichen, drückt Schmidt noch ein bißchen auf seinem Elektronikspielzeug herum, das er auf seinem Piano abgestellt hat.

Dann haut er in die Tasten, beginnt mit grazilen orientalischen Figuren, um sich schließlich zu einer Spieltechnik zu steigern, die an Handkantenschläge erinnert.Schmidt liefert die Rechtfertigung dafür, daß Can heute auch im Techno-Lexikon stehen.Diesen Oldie kann man zu jedem Rave einladen.

Auch Jaki Liebezeit schlägt sich bzw.sein Schlagzeug wacker."Club off Chaos" heißt sein Trio.Wie ein Trommler auf einer römischen Galeere hat er sein Instrument auf Kniehöhe aufgehängt, und auch die monotonen Schläge, die er klopft, rechtfertigen die Assoziation.Wenn sein Sound-Mann mit der Golfer-Mütze nicht gerade albern herumhopst, knallt er Bässe durch den Raum, die so laut und tief sind, daß man sich von den Schallwellen eine blutige Nase holen kann."Ja, tut mir weh", brüllt ein Fan.Mir auch.

ANDREAS KRIEGER

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