zum Hauptinhalt

Kultur: Das ist die Berliner Nachtluft

"Ein Glanz werden": Irmgard Keun hat ihrer Romanheldin, der jungen Rheinländerin, die es aus der Provinz in die Hauptstadt Berlin zieht, ein Lebensziel in den Mund gelegt, so hochgestochen und leicht verschroben formuliert, wie sich auch die zeitgenössischen Bühnenheldinnen Ödön von Horváths auszudrücken belieben. Die Sehnsucht nach etwas Höherem lässt sie die Bodenhaftung verlieren und zwischen Dialekt und Bildungsjargon heimatlos herumirren.

"Ein Glanz werden": Irmgard Keun hat ihrer Romanheldin, der jungen Rheinländerin, die es aus der Provinz in die Hauptstadt Berlin zieht, ein Lebensziel in den Mund gelegt, so hochgestochen und leicht verschroben formuliert, wie sich auch die zeitgenössischen Bühnenheldinnen Ödön von Horváths auszudrücken belieben. Die Sehnsucht nach etwas Höherem lässt sie die Bodenhaftung verlieren und zwischen Dialekt und Bildungsjargon heimatlos herumirren. Doris, "das kunstseidene Mädchen", sucht in Berlin Männerbekanntschaften, verwahrt sich jedoch gegen Aufdringlichkeiten mit der gespreizten Frage: "Wofür halten Sie mich in etwa?" Ist sie, "in etwa", ein Flittchen? Falls ja, dann jedenfalls eines, dem ein Herz unter der Kunstseide pocht; von einem Unterschlupf zum anderen taumelnd, dämmert diesem Nachtschattengewächs, was es mit dem elterlichen Zuhause aufgegeben hat: "Ich fühle Entbehrungen nach Euch ..."

Irmgard Keuns Roman, 1932 erschienen, ein Jahr nach dem geistesverwandten "Fabian" Erich Kästners, erzählt in der Ersten Person Singular von den Abenteuern der Provinzlerin in der großen Stadt - Rollenprosa, die sich zur Dramatisierung anbietet. Gottfried Greiffenhagen hat, wie auch bei "Fabian" schon, dieses Geschäft besorgt, eine Herausforderung für junge Schauspielerinnen, Gedächtnis und komödiantische Präsenz zu trainieren. Nachdem sich 1997 in der Komödie am Kurfürstendamm Astrid Kohrs dieser Aufgabe gestellt hatte, ist es jetzt, in den Kammerspielen des Deutschen Theaters, Inka Friedrich, die ihr Berliner Engagement zu Saisonbeginn mit der "Antigone" des Sophokles angetreten hat.

Barbara Freys Inszenierung, eine Übernahme vom Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, bereichert das Repertoire der neuen Intendanz gleichsam um eine Zugabe: 75 Minuten auf der Hinterbühne, ausgestattet von Bettina Meyer mit einem zusammengewürfelten Gestühl, das veranschaulicht, wie unstet die flotte Stadtstreicherin zwischen allen Stühlen wechselt. Inka Friedrich, mit sich und dem Publikum allein, gelingt es, im doppelten Sinn des Wortes, uns Zuschauer anzusprechen; belustigt, besorgt, bekümmert folgt man ihren diversen Männergeschichten, die sie freimütig erzählt, ohne je ordinär zu werden. Allerhöchstens zeigt sie einmal, in Marlene-Dietrich-Pose, ein seidenbestrumpftes Knie. Mit charmantem Lächeln verrät sie ihre Lebenserfahrung: "Tilli sagt: Männer sind nichts als sinnlich und wollen nur das. Aber ich sage: Tilli, Frauen sind auch manchmal sinnlich und wollen auch manchmal nur das."

Defizite der Bühnenfassung gegenüber der Originalvorlage sind gewiss unvermeidlich. Bedauerlich jedoch, dass man eine Streichung nicht wieder aufgemacht hat, nämlich als es von einer Friedensdemonstration heißt: "denn sonst wird Krieg". Die Stelle hätte sich aktualisieren lassen mit der prophetischen Warnung, "dass der nächste Krieg mit stinkendem Gas wäre, davon man grün wird und aufquillt".

Günther Grack

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false