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Foto: Britta Pedersen/dpa

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Kultur: „Das ist die Fortführung der Verbrechen Hitlers“

Mangelhafte Provenienzforschung: Ronald S. Lauder attackiert in Berlin die deutschen Museen.

Immer wieder hat sich der Präsident des Jüdischen Weltkongresses (WJC), Ronald S. Lauder, seit dem Fund von 1400 Bildern in der Schwabinger Wohnung von Cornelius Gurlitt in die Debatte um NS-Raubkunst eingeschaltet. Schon vor Wochen kündigte er an, in Berlin persönlich für ein Umdenken zu appellieren. Nun ist er gekommen, spricht über Bilder – in starken Bildern: Knapp 70 Jahre nach dem Ende des Dritten Reichs seien Kunstwerke „die letzten Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkriegs“, sagt er in den Räumen der Topographie des Terrors.

In seinem Vortrag wirft Lauder Deutschland schwere Versäumnisse im Umgang mit der Raubkunst vor. Zwar habe die Bundesrepublik die Washingtoner Erklärung von 1998 unterschrieben, sich also verpflichtet, Raubkunst-Fälle aufzudecken und gemeinsam mit den Erben zu gerechten Lösungen zu kommen. Das habe aber nichts daran geändert, dass es in Deutschland Museen gebe, „die wissentlich von den Nazis geraubte Kunst in ihrem Besitz haben oder dies als Experten zumindest wissen sollten“.

Lauder scheute sich nicht davor, Picassos oder Chagalls mit gestohlenen Autos zu vergleichen. Als Geschädigter sei es nicht die Aufgabe, bei jedem Gebrauchtwagenhändler nachzusehen, wo der Wagen eventuell stehen könnte. Auch von Erben sollte man dies nicht verlangen. Der WJC-Präsident fordert daher, Museen müssten von sich aus Provenienzforschung betreiben. Doch das ist in Deutschland immer noch zu selten der Fall. So sollen nur 350 von 6000 Museen aktiv geworden sein: „Das kommt einer Fortführung der Verbrechen Hitlers gleich.“

Dabei habe sich Deutschland in anderen Bereichen rechtschaffen verhalten und sei Vorbild für die Welt. Lauder lobt, wie die Bundesrepublik Lösungen für Fragen der Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern gefunden habe oder den Umgang mit „namenlosen Bankkonten“ und Versicherungspolicen. „Ich möchte Deutschland deswegen ermutigen, in gleicher Weise mit dem Problem der Raubkunst umzugehen.“

Der WJC-Präsident und ausgewiesene Kunstliebhaber fordert von der Bundesregierung, eine Kommission führender Provenienzforscher einzusetzen. Sie solle Museum für Museum die Depotbestände überprüfen, Berichte verfassen, Erben ausfindig machen und Entschädigung anbieten. Einrichtungen wie die Limbach- Kommission gehen Lauder nicht weit genug. 2003 gegründet, trifft sie ihre Entscheidungen zwar auf Grundlage der Washingtoner Erklärung, ihre Empfehlungen sind indes nicht bindend. Würde die von Lauder geforderte Kommission keine jüdischen Sammler oder deren Nachkommen ausfindig machen können, sollten nach dem Vorbild Österreichs die Kunstwerke versteigert werden. „Die Hälfte vom Erlös ginge nach Israel, die andere an die jüdische Gemeinde in Deutschland“, schlägt Lauder vor. Des Weiteren fordert der Amerikaner, die Verjährungsfristen für Rückgabeansprüche zu verändern. Den Vorstoß des bayerischen Justizministers, die Verjährung einzuschränken, wenn der derzeitige Besitzer weiß, dass es sich um Raubkunst handelt, begrüßte er.

So leidenschaftlich der Appell, so schwammig bleibt Lauder in den Details. Das ist schade, denn nicht alle Fälle von NS-Raubkunst sind so eindeutig, wie er sie schildert. Wer schlichtet in Streitfällen? Wer würde die Mitglieder der internationalen Kommission benennen? Was ist etwa mit jenen Schätzen, die sich hinter verschlossenen Türen in Privatbesitz befinden? Sie sind nicht von den Washingtoner Prinzipien betroffen, das macht auch den Fall Gurlitt so kompliziert. Und: Was ist mit den möglicherweise Hunderten von Bildern, die an den Wänden deutscher Behörden hängen, von denen Julius Schoeps, Direktor des Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrums am selben Abend spricht? Der Historiker hatte Lauder nach Berlin eingeladen. Auch er betont, wie wichtig unabhängige Provenienzforschung sei. Gegenwärtig setzten die Museen ihre Wissenschaftler selbst ein. „Das darf aber nicht zum Zweck einer Rückgabe-Abwehr geschehen“, so Schoeps. Erst am Mittwoch hatte Kulturstaatsministerin Monika Grütters angekündigt, die Mittel für die Suche nach NS-Raubkunst zu verdoppeln. Die Finanzierung betroffener Institutionen solle gestärkt und die Öffentlichkeitsarbeit der Museen unterstützt werden. Unterdessen hat das Augsburger Verwaltungsgericht entschieden, dass die Staatsanwaltschaft der Presse eine Liste aller Gurlitt-Bilder zur Verfügung stellen müsse. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Weil die Staatsanwaltschaft Beschwerde eingelegt hat, entscheidet nun der Bayerische Verwaltungsgerichtshof. Anna Pataczek

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