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Kultur: Das ist Zukunftsmusik

Kultursenator Thomas Flierl will mit neuen Intendanten die Berliner Theaterszene bewegen. Heute streitet der Kulturausschuss

Die Theater-Kulturpolitik der Hauptstadt kommt in Bewegung, und die Opposition im Abgeordnetenhaus gerät in Erregung. CDU, FDP und Grüne holen etliche Mandatsträger aus den Ferien – um an diesem Montag auf einer Sondersitzung des Kulturausschusses mit Senator Thomas Flierl (PDS) über dessen anstehende Entscheidungen zu streiten.

Flierl möchte, wie gemeldet, die im Sommer 2006 auslaufenden Verträge der Berliner Intendanten Volker Hesse (vom Maxim Gorki Theater) und Bernd Wilms (Deutsches Theater) nicht verlängern. Im persönlichen Gespräch mit Hesse hatte Flierl dabei offenbar einen Mangel an künstlerischem Profil des Maxim Gorki Theaters beklagt – und auf ähnliche Kritik dürfte sich auch Wilms gefasst machen, wenn er im August zum Senator geladen ist. Da beide Intendanten aus dem Westen kommen und als möglicher Nachfolger für Volker Hesse der in der DDR aufgewachsene Regisseur und Autor Armin Petras gehandelt wird, argwöhnen CDU und Grüne, „dass hier eine Art sozialistischer Personalpolitik gemacht werden soll“ (so die sonst bedachte kulturpolitische Sprecherin der CDU, Monika Grütters).

An diesem Punkt und fast 15 Jahre nach dem Mauerfall noch einen „Ost- West“-Konflikt zu inszenieren, wirkt schon verwegen. Der 1962 im westfälischen Meschede geborene Petras – Lessing-Preisträger 2005 des (sozialistischen?) Freistaates Sachsen – ging zwar in der DDR zur Schule, siedelte aber schon vor der Wende in den Westen über und wurde zuletzt zweimal hintereinander mit eigenen Stücken zum Berliner Theatertreffen eingeladen; inszeniert hatte er sie im Thalia-Theater Hamburg.

Interessant am politischen Sommertheater, das man andernfalls als Berliner Lokalposse abtun könnte, ist ein anderer Vorwurf. Er lautet: Mit inhaltlicher Kritik an den betroffenen Bühnen mische sich die Kulturpolitik in künstlerische Fragen ein und verletze die Neutralitätspflicht des Staates. Dies zu Ende gedacht, würde freilich heißen, dass ein Kultursenator (oder Kulturdezernent) bei der Besetzung von Leitungspositionen in Theatern, Opern, Orchestern oder Museen nur noch ohne ausdrückliche Begründung, ohne offen gelegte – und damit auch öffentlich diskutable – Kriterien entscheiden dürfe. Man kann aber nicht einerseits mehr musisch gebildete, kulturell kompetente Kulturpolitiker verlangen, und dann in allen qualitativen Fragen Enthaltsamkeit predigen. Also nach dem Eunuchen im Harem rufen.

„Zensur“ wäre nur, wenn mit amtlicher Macht in einzelne Produktionen hineingeredet würde. So lange der Vertrag eines Theaterintendanten läuft, hat dieser die unbestreitbare Programmhoheit (und Freiheit) über sein Haus. Es verletzt indes nicht die Kunstfreiheit, wenn verantwortliche Kulturpolitiker sich bei neu zu verhandelnden Verträgen eine Meinung bilden und diese auch mal kritisch und kritisierbar äußern.

Tatsächlich geht es ja bei den Personalrochaden im Theaterbetrieb allzu häufig nur um schnell gehandelte Namen und kaum mehr um inhaltliche Vorstellungen davon, wie ein bestimmtes Theater für ein Publikum aussehen könnte – und was es in einer Stadt zu erzählen und anzuregen hätte. Volker Hesse beispielsweise war es, bevor er 2001 nach Berlin kam, im kleinen Zürcher Neumarkttheater gelungen, im Kontrast zum damals saturierten Zürcher Schauspielhaus ganz einzigartige, weit über Zürich und die Schweiz ausstrahlende Projekte zu verwirklichen: theatralische Recherchen in der Welt der Wirtschaft („Topdogs“) oder brisanter Randgruppen, an denen Dramatiker, Schauspieler, Wissenschaftler oder auch Politiker beteiligt waren.

Ein solches Modell, das in Berlin eher zwischen Volksbühne, Sophiensälen und Matthias Lilienthals „HAU“ anzusiedeln wäre, ließ sich unter gänzlich anderen Bedingungen nicht einmal modifiziert auf das Maxim Gorki Theater übertragen. Stattdessen hat Hesse – beim Publikum zunehmend erfolgreich und im Haus konsolidierend – eine Art großstädtisches Klein-Stadttheater versucht: das programmatisch allerdings schwer zu unterscheiden ist von den größeren Nachbarbühnen Deutsches Theater und Berliner Ensemble.

Die Entwicklung 2006 nach fünf Vertragsjahren abzubrechen, wird für Hesse und sein Team hart sein, doch sie erscheint nicht völlig willkürlich – wenn man mit Petras etwa das besondere Modell eines zeitgenössischen Autoren- Theaters als Alternative hätte. Eine solch entschiedene Programmatik hat Thomas Ostermeiers Schaubühne inzwischen weitgehend aufgegeben. Allerdings fragt sich, ob Petras dafür im Maxim Gorki nicht ein gar zu biederes Ambiente hätte; und man müsste wissen, ob in diesem eigenwilligen 42-jährigen Autor-Regisseur auch ein andere Künstler animierender, integrierender Theaterdirektor steckt.

Bernd Wilms, der das Maxim Gorki bis 2001 ziemlich erfolgreich geleitet hatte, war es als Intendant des Deutschen Theaters (DT) zunächst gelungen, das nach erst glänzenden, dann zunehmend glücklosen Jahren der Intendanz von Thomas Langhoff dahindämmernde Haus erfrischend aufzumischen. Aber seine erste Spielzeit war 2001/2002 auch schon die bislang beste: mit einer zum Kultstück gewordenen „Emilia Galotti“ als Spitze. Doch der Regisseur Michael Thalheimer hat nach diesem Frühstart am DT nur noch enttäuscht. Und Wilms, der sich nun in einer heftigen Selbstbelobigung in der „Berliner Zeitung“ zu rechtfertigen suchte, er beklagt, dass seine Regisseure „in Deutschland ganz vorrangig diskutiert“ würden – nur gemeinerweise nicht mit ihren Berliner Arbeiten, sondern wenn sie „in Hamburg, München oder Wien“ inszenierten.

Das ist, mit Verlaub, Unsinn. Denn es ist leider so, dass die von Wilms unter anderem genannten Barbara Frey, Stephan Kimmig oder eben Armin Petras ihre dann auch beim Berliner Theatertreffen gefeierten Inszenierungen wie „Onkel Vanja“, „Nora“ oder „We are camera“ am Münchner Residenztheater und am Hamburger Thalia gemacht haben. Am DT hat es keinen Abend mehr von ähnlicher inszenatorischer Raffinesse und schauspielerischer Brillanz gegeben. Und es fehlt, wie beim Berliner Ensemble (BE), bei den wechselnden Regisseuren und Stücken eine trotz aller Stilvielfalt prägende theatrale Handschrift – ein künstlerisches Profil.

Weil Bernd Wilms ausdrücklich mit „Legenden“ aufräumen möchte und von seinen „erstklassigen Schauspielern“ spricht: Die größte Legende der aktuellen Berliner Theaterszene sind ihre Schauspieler – weil sie, die Ansprüche von einst genommen, vor allem an der Schaubühne, am BE und am DT schmerzlich fehlen. Castorfs Volksbühne, an der Genie und Wahnsinn (und auch mal Langeweile und Dilettantismus) ihre Blüten treiben, ist ja ein Sonderfall.

Auch an den drei anderen Großbühnen spielen einzelne große Künstler. Aber ein wirklich hauptstädtisches Ensemble gibt es hier längst nicht mehr. Berliner Schauspieler wie Jutta Lampe (zuletzt fünf Gast-Sätze an der Schaubühne), Libgart Schwarz, Angelika Domröse, Hilmar Thate, Udo Samel, Ulrich Mühe, Otto Sander und viele andere machen Fernsehen, Film oder müssen in andere Städte jetten, um angemessene Rollen zu kriegen. Da haben Peymann, Wilms und Ostermeier zu wenig Gespür gehabt oder keine Verführungskraft.

Claus Peymann ist jetzt 67 und hat seinen Vertrag am BE gerade verlängert. Ein verdienter Theatermann wie Bernd Wilms, der 2006 in Berlin12 Jahre Intendant gewesen und 66 sein wird, muss um seinen Posten nicht mehr kämpfen. Also steht zumindest am DT ein Generationswechsel an, und für den kommt trotz Selbstbewerbung der 2006 auch schon 65-jährige Alexander Lang nicht ernstlich in Betracht. Köpfe aber wie Ulrich Khuon (Thalia Hamburg), Frank Baumbauer (Münchner Kammerspiele) oder Matthias Hartmann (Bochum, demnächst Zürich) sind jetzt nicht verfügbar.

Stattdessen dürften Thomas Flierl und seine neue, kluge Kulturstaatssekretärin Barbara Kisseler wohl mit der 2006 in Düsseldorf scheidenden Intendantin Anna Badora sprechen. Badora ist gebürtige Polin, war Assistentin bei Zadek und könnte von Temperament und Herkunft eine Öffnung der verfestigten Berliner Szene bedeuten. Ein zweiter gewichtiger Name ist Michael Schindhelm, der scheidende Basler Intendant (mit Ostbiografie), ein ehrgeiziger Macher mit weitem Horizont: vom Naturwissenschaftler (einst Kollege und Zimmernachbar der Physikerin A. Merkel) bis zum Romancier.

Das ist wohl die Zukunftsmusik. Aber die wird nicht auf der Bühne des Kulturausschusses gespielt.

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