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Kultur: Das Jungfrauenwunder

Kapstadts Jazzfestival ist das größte Kulturereignis Südafrikas – erstmals unter schwarzer Leitung

Der Himmel ist grau, der Tafelberg von dunklen Wolken verhüllt, der Atlantik liegt schwer und farblos vor der Stadt. Im Zentrum Kapstadts, zwischen Bürohochhäusern, Geschäften, Cafés und Health-Food-Stores, unweit des Greenmarket Square, wo ein entspanntes Treiben herrscht, erhebt sich das Holiday Inn. Im obersten Stock wohnt in diesen Tagen, in einer Suite mit Panoramablick, Rashid Lombard, der Gründer und Leiter des North Sea Jazzfestivals in Kapstadt, das sich in diesem Jahr erstmals selbstbewusst „Capetown International Jazzfestival“ nennt. Nach fünfjähriger Zusammenarbeit mit den Festivalmachern in Den Haag hat sich Lombards Festivalorganisation „esp Afrika“ nun selbstständig gemacht und produziert damit am Kap das größte südafrikanische Kulturereignis – unter schwarzer Leitung. Das wäre vor elf Jahren noch undenkbar gewesen.

Der 52-jährige Lombard, mit schwarzer Ledermütze und Spitzbart, wuchs im District Six auf, einem Township am Rand von Kapstadt, in dem viele Jazzmusiker und Künstler lebten, bis es von der Apartheid-Regierung zwangsgeräumt wurde. Lombard hat es geschafft, 24 Millionen Rand (umgerechnet etwa 3,2 Millionen Euro) als Festivalbudget zusammenzubekommen und die Besucherzahlen von anfänglich 3000 auf über 30000 zu steigern. Auf fünf miteinander verbundenen Bühnen wurden an zwei Abenden 40 Bands präsentiert. Dabei reichte die stilistische Bandbreite von Kwaito (Young Urban Township HipHop), über Soul und Pop bis zu klassischem Jazz und avantgardistischer Free Form. Das Festival ist bewusst kommerziell angelegt, um mit den Zuschauermassen im Rücken auch jungen, unbekannten Musikern sowie der heimischen Jazzavantgarde ein Forum zu geben.

An die Blüte des südafrikanischen Jazz in den Fünfzigerjahren erinnerten die Namen der einzelnen Bühnen: „Kippies“ für den Altsaxofonisten Kippie Moeketsi. Oder „Manenberg’s“ für den Freund Lombards aus den Zeiten des District Six, Basil „Manenberg“ Coetzee. Eine weitere, noch lebende Musikerlegende, der Tenorsaxofonist Winston Mankunku Ngozi, wurde allerdings am Künstlereingang abgewiesen, als er die zu seinen Ehren anberaumte Hommage besuchen wollte – er wurde von den Ordnern nicht erkannt. So illustrierte das Festival unfreiwillig auch den sich vollziehenden Generationswechsel: Zwischen dem in den Sechzigern ins Exil gegangenen Gitarristen Lucky Ranku, der mit seinen „African Allstars“ und der großartigen Sängerin Pinise Saul auftrat und für sich noch immer keine Möglichkeit sieht, wieder in Südafrika Fuß zu fassen, und den jungen, professionellen Vertretern der aktuellen Jazzszene liegen kulturelle Welten.

Trotzdem sind die Themen der meisten Musiker gesellschaftlich motiviert. Es geht um Missbrauch, Vergewaltigung, Umweltbewusstsein und Identität. Themen, die auch die 25-jährige Sängerin Simphiwe Dana bewegen. Sie war mit dem Erfolg ihres ersten Albums „Zandisile“ die Entdeckung des Festivals. Mit ihrer weichen Soulstimme singt Dana sozialkritische Texte auf Xhosa, ihrer Muttersprache, über Kindesmissbrauch auf dem Hintergrund des sich auf dem Land hartnäckig haltenden Glaubens, Aids lasse sich durch den Kontakt zu Jungfrauen heilen. In den Townships am Stadtrand hängen große Transparente mit der roten Aidsschleife in den Kirchen, die Gott um Heilung bitten.

Die Musiker sprechen die Probleme offen an, aber nicht entmutigt. Ihre Musik symbolisiert das Vertrauen in die eigene Kraft, und die Leute wollen es hören. Dafür gehen sie aus, stehen an und zahlen einen Eintrittspreis, der mit 399 Rand für beide Tage (40 Euro) den meisten unerschwinglich ist. Um auch denen, die es sich nicht leisen können, die Musik zugänglich zu machen, gibt es jedes Jahr einen zusätzlichen Konzertabend bei freiem Eintritt.

Der musikalische Höhepunkt des Festivals war der herausragende Auftritt des südafrikanischen Schlagzeugers Louis Moholo, der schon im vergangenen November beim Total Music Meeting in Berlin ein denkwürdiges Konzert gegeben hatte. Moholo war, aufgewachsen im Kapstädter Township Langa, 1964 ins Londoner Exil emigriert, und so war es wie eine Rückkehr – von einer tiefen Emotionalität begleitet. Er widmete ein Stück seiner langjährigen Freundin, der im letzten Jahr verstorbenen, ebenfalls aus Langa stammenden, skandalumwobenen Popsängerin Brenda Fassie, genannt „Ma Brrr“. Und er spielte David Murray’s „Flowers for Albert“, ursprünglich eine Hommage an den Free-Jazz-Saxofonisten Albert Ayler.

Als „Flowers for South Africa“ wurde daraus eine Hymne an die für ihn immer noch kaum fassbare Freiheit Südafrikas – und seine Zukunft.

Maxi Sickert

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