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Kultur: Das Kinn bleibt oben

Die Berliner Operette ist auferstanden – im Hansa Theater

Die Zeit ist wieder reif für Operetten wie Eduard Künnekes „Glückliche Reise“: Wenn die Librettisten Regierungsrat Hübner witzeln lassen „Heute macht man aber auch aus jeder Not eine Verordnung“, konnte das Publikum bei der Uraufführung 1932 in Kenntnis der gerade beschlossenen Maßnahmen genauso bitter lächeln wie die Zuschauer von heute mit Blick auf die Agenda 2010. Und wenn Lona ihre Freundin Monika anfährt „Nun tu mal nich, als wärste die Herzogin von Chicago“, muss man nicht wissen, dass Emmerich Kalman vier Jahre zuvor ein Stück mit diesem Titel herausgebracht hatte. Aber man ahnt, dass Künneke hier einen Seitenhieb austeilt in Richtung jener pompösen Ausstattungsoperetten, die auch nach 1918 noch so taten, als habe die Monarchie den Ersten Weltkrieg überlebt.

Mit solchem Adels-Talmi wollen weder der Komponist noch seine Librettisten Max Bertuch und Kurt Schwabach etwas zu tun haben. In ihrer „Glücklichen Reise“ geht es um die großen Träume der kleinen Leute: Um die Reisebüro-Angestellte, die sich an jene Orte sehnt, die ihr in Plakatform tagtäglich vor der Nase hängen. Um die Stenotypistin, die in trüben Stunden am Schreibtisch beschlossen hat, lieber den ältlichen Langweiler zu heiraten, der gerade zur Hand ist, als weiter auf den Prinzen zu warten. Und vor allem um Stefan und Robert, die sich mit modernem Blick sofort als klassische NewEconomy-Verlierer identifizieren lassen. Damals, 1914, als der Krieg begann, sind sie auf den Zug aufgesprungen, haben sich Riesenkarrieren ausgemalt – um dann vier Jahre später abzustürzen. Die „Abfindung“ reichte gerade für ein armseliges Stück Acker im brasilianischen Hinterland, wo die Illusion vom schnellen Geld in der Neuen Welt bald zerplatzte.

Nicht, dass Heike Hanefelds Inszenierung im Moabiter Hansa Theater großes Tamtam um die Aktualität von Künnekes Sozialkomödie mit Musik machte. Bei ihr sieht das Stück genau so aus, wie sich traditionsverhaftete Operettenfans das wünschen. Folker Ansorge hat geschickt ein Dreißigerjahre-Ambiente auf die Bühne gezaubert, Friederike Baer die Darsteller so angezogen wie in alten Schwarzweiß-Filmen. Dass die Chose trotzdem auch für Menschen ohne ausgeprägte „Weißt-du-noch-damals“-Nostalgie funktioniert, liegt am Tempo des Abends. Die Pointen zünden passgenau, die jungen Paare sehen gut aus und agieren charmant, die schrulligen Nebenfiguren detailgenau gezeichnet. Vor allem aber trifft das „Casanova Society Orchestra“ den richtigen Ton. Banjo, Klarinette, Geige, Piano, Tuba und einen entfesselten Bandleader wie Gregor DuBuclet – mehr braucht man nicht für eine Schlagermusik, die so klingt, wie sich die Theatermacher damals fühlten: Wenn uns die Finanznot auch zum Improvisieren zwingt, unser Kinn bleibt oben!

bis 29.6., Tickets unter 030/39909909

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