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Kultur: Das Kino Eiszeit in Kreuzberg macht Programm - und Politik

Drei Männer sitzen in einer spärlich erleuchteten Kombüse und kiffen. Einer erzählt.

Drei Männer sitzen in einer spärlich erleuchteten Kombüse und kiffen. Einer erzählt. Es geht um Frauen und, je mehr Zeit vergeht, ums Essen. Die drei warten auf den "Boxer", der an Land gegangen ist, um Nahrungsmittel zu besorgen. Einstweilen malen sie sich gegenseitig die leiblichen Genüsse aus, die sie bei der Rückkehr des vierten Mannes erwarten dürfen. "Gemide/An Bord" heißt das Debüt des türkischen Regisseurs Serdar Akar, ein klaustrophobisches Kammerspiel, dessen Protagonisten allesamt furchtbar unsympathisch sind. Als Besatzung eines kleinen Frachtschiffes fahren sie den Bosporus hinauf und hinunter, um Sand zu transportieren; und Serdar Akar erzählt von den Regeln an Bord, die der Kapitän mit rüden Worten und Schlägen durchsetzt, von den Versuchen der Männer, sie immer wieder zu unterlaufen, von ihren simplen, aber umso nachdrücklicher verfolgten Begierden.

Der Kahn ist die unwirtliche Heimstatt dieser Männer, und gleichzeitig ihre ganze Welt. Denn so großspurig und welterfahren sie sich an Bord geben: An Land sind sie unsicher und haltlos. Auch wenn ihre Streifzüge nur bis in Istanbuls hafennahes Vergnügungsviertel Laleli reichen - flackernde Neonreklamen und Schaufenster voller Lebensmittel, zwielichtige Lokale und die dort gezeigten Pornovideos bringen die Ordnung ins Wanken: Ohne Wissen des Kapitäns schleppen die Männer eine Ausländerin an Bord, verstecken sie und vergewaltigen sie nacheinander. Als der Kapitän dahinter kommt, versuchen die vier gemeinsam, sie wieder loszuwerden.

"Gemide" ist ein Film voller Obszönität und Gewalt, die vom Kapitän ausgeht und über den Steuermann Kamil nach unten weitergegeben wird. Als die fremde Frau aufs Schiff kommt, sind die beiden Matrosen plötzlich nicht mehr die letzten Glieder dieser Kette. Ihr Opfer, gefesselt und geknebelt, lässt apathisch alle Misshandlungen über sich ergehen. "Ein Schiff ist wie ein Land", sagt der Kapitän zu Beginn des Films, "und ich bin der Premierminister." Eine Parabel auf die türkische Gesellschaftsordnung? Wer sich darüber ein Urteil bilden will, muss ins Kreuzberger Eiszeit-Kino gehen.

Das 1981 aus der Hausbesetzerbewegung entstandenen Kino sah sich als Ort für politische Filme, die sonst nirgendwo zu sehen waren. Seit drei Jahren hat es sich darauf spezialisiert, türkische Filme in der Originalversion zu zeigen, mit oder auch ohne deutsche oder englische Untertitel. "Noch immer zeigen wir Filme, die man sonst in Berlin nicht zu sehen bekommt, und das ist nach wie vor ein politischer Anspruch", erklärt Kinoleiter Andreas Wildfang. "Schließlich sprechen hier mehr Leute Türkisch als Englisch, und es gibt inzwischen eine Menge Kinos, in denen man englischsprachige Filme im Original sehen kann."

Als Plattform etwa für den türkischen Autorenfilm, wie man vermuten könnte, verstehen sich die Macher nicht. Sie haben sich der Pop-Kultur verschrieben. Möglichst das zu zeigen, was in der Türkei im Kino läuft, und zwar bevor die Filme übers Satelliten-Fernsehen ausgestrahlt werden, ist die Prämisse. Das Konzept ist erfolgreich. So lief etwa Sinan Cetins Komödie "Propaganda" hier wie dort vor vollen Häusern, und auch "Hoscakal Yarin", eine Aufarbeitung der politischen Ereignisse in den siebziger Jahren von Reis Celik, zog die Zuschauer scharenweise ins Eiszeit. Deutsche allerdings finden kaum den Weg in die Zeughofstraße, jedenfalls nicht zu den türkischen Filmen. "Auf neun türkische kommt ein deutscher Zuschauer", berichtet Wildfang. "Das Verhältnis ändert sich allerdings ein bisschen, wenn die Filme länger laufen."

Dass im Eiszeit - man verwaltet außerdem das Schöneberger Xenon und das Central in Mitte - türkischsprachige Mitarbeiter beschäftigt sind, versteht sich für Andreas Wildfang von selbst. "Auch das ist Politik," sagt er. Zudem versucht der Kinomacher, die herkömmliche Trennung zwischen der weiblichen Domäne Kasse und der männlichen Domäne Vorführung aufzuheben. "Immer noch bewerben sich Frauen als Kartenverkäuferinnen und Männer als Vorführer. Wir bieten den Kassenangestellten an, sich zur Vorführerin ausbilden zu lassen."

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