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Kultur: Das Lachen im Halse

Salzburger Festspiele: Martin Kusej eröffnet mit einer Nestroy-Posse

Theaterglück ist manchmal eine Frage von Sekunden. Am Sonntagabend zum Beispiel im Salzburger Landestheater, in Martin Kusejs Inszenierung der Posse „Höllenangst“ von Johann Nepomuk Nestroy, geschah es nach 90 Minuten. Der Schuster Pfrim und sein Sohn Wendelin (Martin Schwab und Nicholas Ofczarek) stehen gerade verloren in dem eichenfurnierverbretterten Bühnenkasten von Martin Zehetgruber, da stürzt aus allen Boxen ein Lärmgewitter über sie her, wie sie es noch nie erlebt haben.

Dabei sind sie vorher schon unter Blitz und Donner (wie sie glauben) dem Teufel begegnet. Der Sohn, ein Arbeitsloser, hat mit dem eingebildeten Satan einen Pakt geschlossen: Seele gegen ein glückliches irdisches Leben. Statt Glück gab’s bisher jedoch nur Stress und Panik. Jetzt wollen die beiden zumindest Wendelins Seele retten. Sie sind auf Wallfahrt nach Rom zum Papst; der soll es richten.

Unglücklicherweise geraten die biedermeierlichen Tramps auf eine viel befahrene Autobahn des 21. Jahrhunderts. Links und rechts rast die Blechlawine knapp an ihnen vorbei. Heulen, Bremsenkreischen, schließlich ein donnernder Crash. Stille. Sie blicken sich staunend an. Für einen Moment haben die armen Teufel den Lauf der Welt angehalten – um den Preis einer Katastrophe.

Mit dieser Pantomime hatte der Salzburger Abend, mit dem Martin Kusej das Schauspielprogramm der diesjährigen Festspiele eröffnete, einen Höhepunkt an poetischer Ironie: Die Hölle, die Nestroy in seiner Posse von 1849 ironisierte, ist heutzutage die Autobahn. Der ganz normale Wahnsinn von Mobilität und Konsum. Doch dass dieser sprachlose Augenblick so nachhallt, zeigt auch, wie schwer sich die Inszenierung mit dem großartigen Satiriker Nestroy tut, dem Künstler der Sprache und des dialektischen Sprachwitzes. Kusej, der Erfinder pathosgeladener monumentaler Bilder, und Nestroy, der auch in seinen Grobheiten feingliedrige, nonsensverliebte Melancholiker: Sie passen nicht wirklich zusammen.

Gleich zu Beginn lässt Kusej den Bizeps rollen und macht auf diese Weise klar, dass er sich um die Nestroy-Traditionen nicht schert. Ein Barsänger (Louie Austen, eine Wiener Kultfigur) kommt hereingeschlenzt und schmalzt mit Sinatra-Stimme „I’m a dead man walking down the street“. Er kommt noch öfter und soll die Zuschauer offenbar für die drei Couplets entschädigen, die Ofczarek in der Nestroy-Rolle entzogen sind. Das ist schade, denn dieser junge, kräftige Burgschauspieler hätte alles dazu: die proletarische Schärfe und den Zug zum Publikum. Zwar bekommt er dafür Teile eines (von Nestroy zurückgehaltenen) Monologs, in dem Wendelin nach dem Scheitern der 48er-Revolution bitter-sarkastisch für den Aufstand gegen die „Weltregierung“ plädiert, will sagen: gegen das Schicksal.

Doch es hilft nichts; Ofczarek bleibt merkwürdig gebremst. Kein Zufall, dass er im Spiegelkabinett, in das sich die Bühne am Ende verwandelt, ein stummes Statement abgibt. Erst findet zwischen den Spiegeln mit roten Fahnen und Schießerei im Zeitraffer die Revolution statt. Dann kommt zum Katzenjammer Louie Austen, singt ein breit gezogenes „Smile!“, und Wendelin zeigt sekundenlang sein geblecktes Gebiss: Dem Proletarier, von seiner teuflischen Glücksillusion kuriert, bleibt nur das einverstandene Grinsen.

Während der österreichische Radikalregisseur mit solchen Symbol-Tableaus letztes Jahr durch „König Ottokars Glück und Ende“, Grillparzers traditionsbeladene Habsburg-Apologie, sinnhafte Schneisen schlug, erschlägt er Nestroys feine Sprachgespinste, bevor er sie überhaupt geknüpft hat. Allerdings ist deren Vehikel, die einem französischen Schwank entnommene Intrige, auch starker Tobak: eine Räuberpistole mit einer jungen, von bösen Verwandten bedrohten Baroness (Alexandra Henkel), einem Richter als Liebhaber (Joachim Meyerhoff, von Wendelin für den Teufel gehalten), einem guten und einem schurkischen Onkel (Dietmar König und Johannes Krisch), einer lebensklugen Zofe (Caroline Peters) und einem fadenscheinigem Happy End.

Wenn auch in historischen Biedermeierkostümen (Heide Kastler) und nicht in den sonst üblichen Adidas-Jacken, bewältigt Kusej die Mechanik doch hochsportiv à la Feydeau: mit klappenden Türen und fallenden Hosen. Viel Effekt, wenig menschlich berührende Affekte – aber die stehen auf der Höllenangst-Liste des Regisseurs wohl auch ganz oben. Einzig Martin Schwab setzt in diesem blindwütigen Funktionieren einen Gegenakzent: Pfrim, das Urbild des Wiener Querulanten, einst Paraderolle von Hans Moser, stattet er mit eigensinniger Cholerik und scharfem Witz aus.

In Salzburg wurde dieser Nestroy – und demonstrativ auch Martin Kusej – frenetisch gefeiert. Offenbar war das Premierenpublikum schmerzlos glücklich, gab es doch keine Erinnerung, die sich hätte bemerkbar machen können (die Hans-Moser-Aufführung liegt 45 Jahre zurück). Und eine resignative Weisheit von Wendelin hätte gewiss auch dem in der Stadt weilenden Kanzler Schüssel ein Lächeln entlockt: „Mir könnt’s nie einfallen, gegen die irdischen Regierungen anzustürmen, die sind oft selber arm.“

Im Herbst wandert „Höllenangst“ nach Wien ans Burgtheater, wo Martin Kusej gern Direktor geworden wäre. Den Mann, der der Burg ob der ministeriellen Missachtung ab 2009 den Boykott und ganz Österreich schon vorher das Exil angedroht hat, darf man sich gleichwohl in den nächsten Salzburger Wochen als einen glücklichen Künstler vorstellen. Er nimmt für den Mozart-Marathon seinen gefeierten „Don Giovanni“ und seine „Clemenza di Tito“ wieder auf. Und er erforscht in seinem Beiprogramm „Magazin des Glücks“ die Grundlagen des Komischen.

Als Gesprächspartner hätte er gerne Woody Allen dabei gehabt, wie man hört. Dafür kommt Alexander Kluge. Lacht da wer?

Andres Müry

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