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Kultur: Das Leben einer Seelöwin

Fast ein Heimspiel: Leslie Feist begeistert in Berlin mit ihren neuen Songs

Von H.P. Daniels und Kai Müller

Eine Handvoll dumpfer Basstöne dreht sich im Kreis, vom Band oder aus einem Datenspeicher, als Leslie Feist, die kanadische Sängerin, sich durchs die Staffette aufgereihter Instrumente schlängelt. Sie greift sich die E-Gitarre und singt Ohoohaa und von Honey, den es auf See nur in Träumen gibt. Sie hat ein weißes, ärmelloses Seidenkleidchen an, die große, rote „Guild“-Halbresonanzgitarre hängt tief, das Pony verschattet die Augen. Und hinter ihr verrichten fünf Herren dezent ihr minimalistisches Handwerk. Feist-Songs setzen sich aus Details zusammen, die nur erinnert erscheinen, wie aus einem Traum rekonstruierte Sound- und Akkordpartikel.

Seit dem Erfolg ihrer ersten Solo-Platte „Let It Die“ 2004 ist Leslie Feist ständig unterwegs gewesen. Als Weltenbummlerin zwischen Amerika und Europa. Paris und New York. Da kann einem die Wirklichkeit schon mal entgleiten und die Erinnerung zur mächtigen Antriebsfeder werden. So heißt ihr neues, bezauberndes Album „The Reminder“, für das sie wieder die Welt bereist. Vorher gastiert sie noch einmal in „Berlin/Bayern“, im „Schimmel-Theater“. So jedenfalls steht es als Ankündigung zu lesen im Internet auf Feists Myspace-Seite. Was Leslie Feists bizarren Humor wiedergibt. Denn selbstverständlich weiß sie, dass Berlin nicht in Bayern liegt. Und natürlich kennt sie das Schiller Theater. Immerhin hat sie eine Zeitlang in der Hauptstadt gelebt, bei ihrer kanadischen Freundin und Musikerkollegin Peaches. Hat hier auch bei den norwegischen Kings Of Convenience ausgeholfen. Als Sängerin im Studio und als Vorprogramm auf der Bühne der Passionskirche. War Background-Sängerin bei Chilly Gonzales. Und hat sich schon damals in die Herzen und Erinnerungen gegraben mit ihrer Stimme und Gitarre.

Heute, drei Jahre später, ist Leslie Feists Stimme noch immer ein Abenteuer. Ein Feuer kurz vor dem Verglimmen, wenn die Glut alles durchdrungen hat und wollige Wärme verströmt. Man hört diesem Organ an, dass es in seiner Jugend, als Feist in Calgary Sängerin einer Punkband war, stärker strapaziert wurde, als ihmgut getan hätte. Wenn sie nun die Töne moduliert wie ein Tenorsaxophonist, rauchig und so, dass man die Luft strömen hört, versteht man Feists Talent, dem Schmerz ein Gefühl zu geben. Sie formt die Melodie, wie Lester Young es tat, gegen den Widerstand des Atems.

Feist ist alles andere als feist in ihrem züchtigen Minikostüm, den bestrumpften Beinchen und umgeben von ihren fabelhaften Mitstreitern, die auf Glockenspielen plingeln und diverse Tastaturen bearbeiten, zwischen Kunst und Künstlichkeit. Feist singt eine hübsche Kindermelodie dazu und schrappt metallisches Klirren aus der E-Gitarre. „Honey Honey“ macht den Anfang. Fliegender Instrumentenwechsel: Schlagzeug, Bassgitarre, Telecaster, Klavier. Sie rocken in dichtem, schönem Klang. Mit ein paar unaufdringlich-charmanten Gesten lässt Leslie ihr Publikum im ausverkauften Saal eben mal einen Dreiklang summen. Dirigiert von der Bühne ein großes meditativ verbindendes „Ohhhm“. Die hübsche Frau hat alles im Griff: Musiker und die, die ihnen zuhören. Sie singt eine ruhige Folknummer, um gleich wieder voll aufzudrehen. Zwischen Rock und Jazz, verhalten-weichen Tönen und scharfen Spitzen. Vorwärts marschierenden Stampfern wie „My Man My Moon“ und zarten Balladen à la „The Park“, in das sie frühlingshaftes Vogelgezwitscher einstreut und die Frage flüstert: „Why would you think your boy could become/ The man who could make you sure he was the oooooone.“ Sie wechselt eine silberne Glitzermanschette vom linken auf den rechten Oberarm: „Here it sparkles better!“ Alles schimmert.

Derweil wechseln auch ihre Multiinstrumentalisten-Freunde von Saiten und Tasten zu Altsaxofon, Flügelhorn, Trompete und Melodica, und werden für einen Song zu einem berauschend-feierlichen Blasorchester. Dann wieder heftig riffende E-Gitarren, scheppernd schönes Dengeln. Zwei Gitarren, die sich gegeneinander stemmen, sich gegenseitig befeuern: Leslie und ihr famoser Telecaster-Saitenmann.

Eigentlich ist diese Musik der Stille abgerungen, in die sie ständig zurückzufallen droht. Lautstärke ist Befreiungsakt und Beleidigung zugleich. Sie wühlt sich aus Bluesakkorden heraus. Feists betörende Dynamik verdankt sich ihrer Kunst zur Sublimation. Diszipliniert geht sie mit dem in einem Pariser Studio erdachten und raffiniert arrangierten Material um, verweigert die Erlösung im Live-Lärm, in der schroffen Geste der Frontfrau. Selbst der rhythmisch gospelnde Chorgesang in der Nina-Simone-Interpretation „Sea Lion Woman“ wird nicht zum Überschwang genutzt.

Die 31-jährige Leslie Feist, die eine Zeitlang Mitwirkende beim schräg schönen kanadischen Rockorchester Broken Social Scene war, kann sich schon jetzt an den größten Singer/Songwriterinnen wie Joni Mitchell und Rickie Lee Jones messen. Und im Gegensatz zu Madeleine Peyroux oder Norah Jones, ist Leslie Feist eine herausragende Bühnenmusikerin, die ihren Songs im Konzert noch so viel mehr an berauschender Eindringlichkeit verleiht als auf ihren Studioaufnahmen. Nach „Fighting Away The Tears“ im Duett mit Mocky und knappen eineinhalb Stunden ist alles vorbei. Kurz und bündig. Und zum Heulen schön.

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