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Kultur: Das Leben, faustdick

Kleine Kunst auf großen Bühnen: Tim Fischer singt Georg Kreisler-Songs im Berliner Ensemble, die Geschwister Pfister tingeln durchs „Tipi“ am Kanzleramt

Kabarettisten neigen in ihren späten Jahren offenbar zur Resignation. Kurt Tucholsky skizzierte, bevor er sich im schwedischen Exil umbrachte, seine berühmte „Treppe“: „Sprechen – Schreiben – Schweigen.“ Georg Kreisler, der in diesem Sommer 80 Jahre alt geworden ist, zieht eine vielleicht noch bitterere Lebensbilanz: „Schreiben bedeutet Schweigen. Denn was ist ein Schriftsteller, wenn nicht ein Einpeitscher der Neugierigen? Was ist ein Journalist, wenn nicht ein Chronist der Autoritäten? Was bewirkt ein Dichter, wenn nicht Stille?“ Anzuschreiben gegen die Verhältnisse ist sinnlos, da hilft nur eins: weiter schreiben.

Der alte Schauspieler kommt in wackeligen Schritten hereingeschlurft, dann setzt er sich an den Schminktisch und beginnt zu singen, eine melancholische Introspektion: „Man hat sich an den Mann gewöhnt, / den man im Spiegel sieht, und lacht ihn täglich an. / Man hat sich an das Grau gewöhnt, / das unsern Tag durchdringt, und nimmt es schweigend hin.“ Der Mann legt nacheinander seinen Borsalino, die graue Perücke und den Vierzigerjahre-Trenchcoat ab, am Ende scheint er sogar in einen neuen Körper hineinzuschlüpfen, Sekunden braucht es nur, und der gichtige Alte hat sich in einen agilen Jungspund verwandelt, der über die Bühne springt und tanzt. Als „Musical“ und „Uraufführung“ war Georg Kreislers Stück „Adam Schaf hat Angst oder Das Lied vom Ende“ im Berliner Ensemble angekündigt (wieder am 11. und 17. 12.), in Wirklichlichkeit ist es ein biografischer Liederabend, der mit kurzen Zwischentexten versehen ist und nur notdürftig szenisch zusammengehalten wird.

Vor allem aber ist dieser Abend ein Triumph für Tim Fischer. Dass der junge Chansonnier ein hervorragender Sänger ist, hat man gewusst, hier beweist er, dass auch ein begnadeter Darsteller in ihm steckt. Den schnarrenden Brecht-Sound hat er genauso drauf wie die seufzende Zarah-Leander-Schwermut, seine Aasigkeit dämpft er mit (gut kopiertem) Wiener Charme ab, er ist Diva, Zicke, Großkotz, Verführer, Narziss mit Goldmund. In zwanzig Liedern und zwei Stunden schreitet er einen Nachkriegs-Lebensweg ab, der Kreislers Vita verblüffend ähnelt: Die Rückkehr in ein zerbombtes Wien, wo die alten Nazis schon wieder Karriere machen („Das war Professor Töpfer, seinerzeit Völkischer Beobachter / Anthropologie und Rassenkunde, jetzt ist er beim Funk“), Ausflüge in die Politik („Kriecht ein Furz durch den Mund, / ganz ohne Grund, / stinkt sich gesund / und tritt dann den Dienstweg an mit Pedanterie. / Das ist Demokratie“), Lehrjahre in der Theaterprovinz („Paderborn und Lingen, / Gießen, Sindelfingen, / alle lechzen nach Kultur“).

Die Lieder, von einem Quartett als Salonorchester-Cool-Jazz dargeboten, sind altbekannte Kreisler-Klassiker, textlich etwas aufpoliert, auch ein Noir-Hit wie „Wie schön wäre Wien ohne Wiener“ darf nicht fehlen. Da weht einem viel existenzialistisches Pathos entgegen, der Muff von Wiederaufbau und Atomkriegsangst. Erträglich wird die museale Mini-Revue allein durch die Stimme von Tim Fischer und das Spiel seiner Bühnenpartnerin Steffi Kühnert, die als „Inspizientin Adelheid“ für Slapstick sorgt. Wenn er schmachtet, bläst sie Seifenblasen, dreht er Pirouetten, fliegt sie garantiert auf die Fresse. Warum Regisseur Werner Schroeter aber zwei echte Boxer auf die Bühne geholt hat, die in Gesangspausen gegeneinander antreten, bleibt ein Rätsel. Wahrscheinlich soll das eine Großmetapher sein: Das Leben ist auch bloß ein (Faust-)Kampf.

Irgendwann, bald nach Beginn des zweiten Teils, blitzt beim Nachdenklichsten der Pfister-Familie ein Moment der Selbsterkenntnis auf: „Ja, so war das früher“, murmelt der Toni sinnierend, als erinnere er sich gerade an die Fernsehshows seiner Kindheit. Ein Satz, der als Motto eigentlich viel besser über die (angebliche) Abschiedsrevue der drei gepasst hätte als das irreführende „Have a ball!“. Denn von Ball-Laune ist im Tipi am Kanzleramt nur wenig zu spüren. Stattdessen schauen die Pfisters zurück auf die Unterhaltungsshows des vergangenen Jahrhunderts: Auf die Frack- und Zylinder-Revuen der ersten, auf die quietschbunte Grand-Prix-Ästhetik der zweiten Hälfte: Doch das Revue-Korsett mit Bigbandsound und opulenter Ausstattung schnürt ihnen schnell die Luft ab.

Weil die Pfisters nicht die notwendige Distanz zu den historischen Vorbildern finden und alle Off-Theater-Frechheit diesmal in der Garderobe gelassen haben, produzieren sie nur blasse Abziehbilder der Originale. In ihrem Bemühen, die massenkompatible Unterhaltung zu bieten, die das groß dimensionierte Tipi für dieses auf zwei Monate Laufzeit (bis 9.2.) angelegte Programm braucht, landet „Have a ball!“ bei der weichgespülten Unverbindlichkeit von MDR-Musikshows. Nur augenblicksweise merkt man noch, was das Trio einst so populär machte: die Anmut von Fräulein Schneider, der jungenhafte Peter-Kraus-Charme von Toni, die kesse Unverschämtheit von Ursli (die diesmal einen Schlag ins Tantenhafte hat). Verschenkte Talente und verschenkte Professionalität inmitten abgestandener Witzchen (über Sushi, die Frau des japanischen Botschafters) und pappigerArrangements des Bandleaders Johannes Roloff. Und das war früher ganz sicher nicht so. Jörg Königsdorf

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