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Kultur: Das Makakenmädchen

Emmanuelle Bayamack-Tams „Die Prinzessin von.“

Seine erste Ejakulation hat Daniel in einem Supermarkt. Er ist 13 Jahre alt und seine Mutter lässt beim Einkaufen ein Fläschchen Eau de Cologne fallen. Die Splitter schneiden ihr in den Fuß, das Blut rinnt über ihre strahlend weiße Haut, was ihren Sohn in höchste Verzückung versetzt.

Die Mutter ist seine geliebte Prinzessin Barbara von der Biebrza. Sie ist aus Polen nach Frankreich gegangen, hat einen Seemann geheiratet und Daniel als Zweijährigen adoptiert, weil er – der dürre Essensverweigerer – in ihren Augen wie ein kleiner Fischreiher aussah. Es selbst fühlt sich hingegen wie ein „kleines, in einen Makakenkörper gesperrtes Mädchen, oder schlimmer noch, Ausgeburt der Doppelzüngigkeit, ein kleines in einen Makakenkörper gesperrtes, jedoch äußerst entschiedenes Mädchen, bereit, seine Eltern hinters Licht zu führen, fest dazu entschlossen, und zwar unter allen Umständen, das Verhalten eines Jungen vorzugaukeln, der sich gewaschen hat.“

Wie Daniel diese aufwendige Täuschung auch mit 25 Jahren noch aufrechterhält und seinen Selbsthass in verquere Aktionen kanalisiert, beschreibt die französische Autorin Emmanuelle Bayamack-Tam in ihrem siebten Roman „Die Prinzessin von.“ auf fesselnde Weise. Die langen, verwinkelten Sätze, mit denen ihr Ich-Erzähler von seiner Arbeit als Tänzerin Marie-Line in einem Pariser Nachtclub, dem Sex mit seinem Chef und der heroinbefeuerten Freundschaft zu einer jungen Frau berichtet, spiegelt seine komplexe Persönlichkeit. Bei aller Drastik und bei allem Drama bleibt der Erzählton von Bayamack-Tam, die 1966 in Marseille zur Welt kam und auch als Lehrerin arbeitet, stets ein beiläufiger, ja eleganter. Das verleiht ihrem Text eine große Anziehungskraft.

Daniel benutzt immer wieder die Formulierung „eine Tages werde ich erklären, wenn ich es erkläre“, der er stets sehr dezidierte Einschätzungen folgen lässt. Aber gleichzeitig zeigt er mit der einschränkenden Floskel die grundsätzliche Vorläufigkeit seiner Identitätskonstruktion an. Auch der Wunsch das Geschlecht zu wechseln, kippt langsam in die Erkenntnis, dass das „Dazwischen“ wohl seine wahre Bestimmung ist. Eine Linie, so schmal, dass selbst ein Makakenäffchen nur sehr schwer darauf balancieren kann. Nadine Lange

Emmanuelle Bayamack-Tam: Die Prinzessin von. Roman. Aus dem Französischen von Christian Ruzicska. Secession Verlag. Zürich 2011, 218 S., 22,95 Euro

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