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Kultur: Das metropolitane Niveau

Berlins Opernhäuser sind nur durch einen radikalen Systemwechsel zu retten / Von Michael Schindhelm

Mitte November hat Michael Schindhelm, amtierender Direktor der Berliner Opernstiftung, seine Pläne zu einer „Neujustierung des Opernstrukturkonzeptes“ den Betroffenen vorgelegt – und gleichzeitig seine Demission für April 2007 eingereicht. Dass Klaus Wowereit, Berlins Regierender Bürger- und Kulturmeister, der Opernstiftung kritisch gegenübersteht, ist kein Geheimnis. Heute tritt der Stiftungsrat zusammen, um über das Schindhelm-Papier zu beraten, insbesondere über den Vorschlag, an der Deutschen Oper einen Semi-Stagione-Betrieb zu etablieren. Im Folgenden legt Michael Schindhelm seine Ideen erstmals öffentlich dar. Tsp

Berlin ist neben Wien die einzige Stadt im deutschsprachigen Raum mit drei Opernhäusern, und eigentlich wäre das für die Stadt und ihre Opernhäuser ein Grund, stolz zu sein. Aber die Stadt ist arm und hat Mühe, ihre Häuser mit den entsprechenden Finanzmitteln auszustatten. Um die Schließung eines Opernhauses zu verhindern, wurde Ende 2003 die Opernstiftung ins Leben gerufen, als Dachverband, in welchem die Häuser zwischen 2004 und 2009 16,8 Millionen Euro sparen und 220 Personalstellen abbauen sollten. 2009 soll der Zuschuss noch 99 Millionen betragen. Um diese Vorgabe zu bewältigen, wurde ein Abbaukonzept entwickelt.

Im Frühjahr dieses Jahres sah ich mich gezwungen, öffentlich zu erklären, dass ich das Konzept nicht für umsetzbar halte, weil es zur wirtschaftlichen Situation der Häuser unrealistische Annahmen gemacht hat. Weder ist es (wie vorgesehen) möglich, in den bestehenden Strukturen 9,6 Millionen Euro Personalkosten einzusparen, noch, die Einnahmen um 7,2 Millionen zu steigern. Der Stiftungsrat beauftragte mich damit, das Konzept neu zu justieren.

Wir sind davon ausgegangen, dass die Haushaltslage Berlins keine Alternative zum Sparen bietet. Sollte es nicht gelingen, dass die Staatsoper vom Bund übernommen wird, müssen das Land Berlin und die Opernstiftung einen sinnvollen Plan dafür haben, wie viel Oper mit rund 100 Millionen Euro öffentlichem Zuschuss zu machen ist. Die mittelfristigen Planungen der Häuser für die Jahre 2008/09 zeigen, dass bis Ende 2009 mit einem Defizit von sieben Millionen Euro pro Jahr zu rechen ist. Schon 2008 könnte eines der Häuser zahlungsunfähig werden, ab dem Jahr darauf beträfe das möglicherweise alle drei Opernhäuser. Ziel meines Konzeptes ist es, trotzdem drei künstlerisch und wirtschaftlich voneinander unabhängige Opernhäuser zu erhalten.

Rein mathematisch machen wir folgenden Vorschlag: Die Häuser haben zwischen 2004 und 2007 Einsparungen von 7,6 Millionen realisiert (gemäß Wirtschaftsplan). Bis 2011 sparen sie nochmals 7,6 Millionen Euro. Damit würden 90,5 Prozent der Vorgaben dauerhaft umgesetzt, allerdings benötigten die Häuser dafür zwei Jahre mehr Zeit.

Allerdings ist die Erhaltung von Opernhäusern keine Mathematikaufgabe. Vielmehr geht es darum, die Frage inhaltlich zu beantworten, warum Berlin drei Opernhäuser hat. Wäre Berlin reich, genügte vielleicht der Hinweis darauf, dass das schon seit 100 Jahren so ist. Ist man aber gezwungen, genauer hinzuschauen, stellt man fest, dass die Stadt nicht einfach drei Opern hat, sondern dass die beiden großen Häuser, die Deutsche Oper und die Staatsoper, auch nahezu identisch sind, obwohl ihre Gebäude und ihre Geschichte das nicht vermuten lassen. Sie haben ungefähr gleich große Orchester und Chöre sowie sonstige Personalbestände, sie erhalten den nahezu gleichen Zuschuss, und sie haben nach wie vor den gleichen Auftrag, in der Tradition des Ensemble- und Repertoiretheaters möglichst die ganze Vielfalt der Opernliteratur auf metropolitanem Niveau zu präsentieren. Nicht die Existenz von drei Opern, sondern die von zwei strukturell identischen Repertoirehäusern ist das – weltweit – Einzigartige am Berliner Opernstatus.

Es mag Liebhabern als furchtbar pragmatisch in den Ohren gellen, aber ich betrachte den Betrieb von zwei großen Repertoirehäusern desselben Zuschnitts als Ergebnis der Teilung (Ost und West erhoben den Anspruch, an die deutschsprachige Tradition des Repertoirebetriebs anzuknüpfen) und deshalb als eine Situation, die heute hinterfragt werden darf. Aus zwei Gründen: Erstens könnte wünschenswert sein, dass, wenn Berlin drei Opernhäuser trägt, es sich dabei um drei grundsätzlich unterschiedlich profilierte Opern handelt. Und da das kleinste Haus, die Komische Oper, aufgrund des deutschsprachigen Repertoires, seines Akzents auf Sängerdarsteller und Regietheater, bereits eine Ausnahme unter den deutschen Bühnen darstellt, ginge es um eine „Entzerrung“ der Profile von Deutscher Oper und Staatsoper.

Zweitens gleichen sich die Häuser leider nur in ihren Strukturen. Ihre künstlerische wie wirtschaftliche Verfassung ist jedoch sehr unterschiedlich, und dies, obwohl beide Ensembles und Leitungen bestrebt sind, das Beste zu geben. Man muss nicht das fragwürdige Kriterium der Auslastung bemühen, um mittels einer Gegenüberstellung von Wirtschaftsdaten zu zeigen, wie gravierend die Unterschiede sind. Das Haus an der Bismarckstraße besuchten 2005 knapp 200 000 zahlende Gäste, das Unter den Linden knapp 240 000. Die Deutsche Oper wurde mit 38 Millionen Euro bezuschusst, die Staatsoper mit 38,7 Millionen. Jedoch erwirtschaftete die Deutsche Oper nur einen Erlös von sieben Millionen Euro, die Staatsoper aber 13 Millionen. Und 2005 ist keine Ausreißerjahr. Es dokumentiert eine Entwicklung, die innerhalb von mindestens zehn Jahren aus mehreren Gründen (Standort, künstlerische und kaufmännische Kontinuität in der Leitung) zu einer dramatischen Schieflage zwischen den beiden großen Häusern geführt hat.

Der heutigen Leitung der Deutschen Oper ist bestimmt nicht die Verantwortung dafür zuzuschieben, dass das Haus weniger attraktiv ist als die Staatsoper. Es wäre schön, man könnte Kirsten Harms jetzt die Gelegenheit geben, in wirtschaftlich soliden Rahmenbedingungen über fünf Jahre die Schieflage zu korrigieren. Doch angesichts der geforderten massiven Einsparungen haben wir diese Zeit nicht. Worin besteht das Hauptproblem? Nach unserer Einschätzung, die sich auf Daten der Deutschen Oper stützt, ist ein Großteil des dort vorgehaltenen Repertoires nicht mehr erfolgreich. Die im Spielplan befindlichen Werke sind das wichtigste Kapital eines Repertoireopernhauses. Ist dieses Kapital verschlissen, wird es schwierig. Die geringeren Einnahmen bestätigen, dass dies in der Bismarckstraße der Fall ist. Deshalb versucht das Konzept einen Befreiungsschlag: die Deutsche Oper von der Hypothek eines nicht mehr attraktiven Repertoires zu entlasten.

Dies kann nicht von heute auf morgen geschehen, weshalb ich dafür plädiere, den notwendigen Reformprozess bis zum Jahre 2011 zu strecken. Das Ganze ist schmerzhaft, denn im Ergebnis würde die Deutsche Oper ein anderes Haus sein. Als Richtlinien schlagen wir vor, die Anzahl der Premieren (szenisch und konzertant) auf 13 zu erhöhen. Die Deutsche Oper sollte neun Produktionen selbst herstellen, die anderen Aufführungen mit großen internationalen Opern koproduzieren. Jeder Abend hätte den Reiz des Neuen, in einer internationalen Maßstäben genügenden Besetzung. Da die Deutsche Oper ein modernes Gebäude hat, muss nicht auf den unrentablen Ensuitebetrieb abgestellt werden. In bestimmtem Maße können Vorstellungen alternieren und zusätzlich Proben stattfinden.

Das Staatsballett sollte ausreichend Auftrittsmöglichkeiten bekommen. Ziel wäre, tatsächlich etwa ein Drittel reine Opernvorstellungen weniger zu geben, gleichzeitig erheblich mehr Mittel für jede einzelne Vorstellung zur Verfügung zu haben, um sie so attraktiv wie möglich besetzen zu können. Insgesamt (mit Liederabenden, Konzerten etc.) müsste das Haus trotzdem nicht gravierend weniger bespielt werden als heute.

Die Bismarckstraße wäre ein Tor zum internationalen Opernbetrieb. Außerhalb des deutschsprachigen Raumes ist das Stagione-System die nahezu absolute Regel. Unter den Linden verfügte Berlin zugleich über einen Repertoirebetrieb, der heute eine Auslastung von gegen 90 Prozent aufweist. Zum ersten Mal wäre ein Berliner Gesamtspielplan zu leisten, der die unerwünschte Fixierung auf Blockbuster verhindert. Stagione und Repertoire würden sich ergänzen. Würde beispielsweise die Deutsche Oper im Stagione für den Monat November zehn Vorstellungen von „Rigoletto“ planen, dann wäre ihr ein Exklusivrecht einzuräumen. In den Monaten davor und danach würde die Staatsoper auf „Rigoletto“ entsprechend verzichten. Wäre dieser an der Bismarckstraße abgespielt, könnte er im Repertoire Unter den Linden wieder aufgenommen werden. In Berlin gäbe es drei unterschiedlich profilierte Opern, einmalig in Mitteleuropa. Der Weg dorthin wäre hart. Auch die Staatsoper, das Staatsballett und die Komische Oper müssten Einsparungen verkraften. Für die Deutsche Oper wäre dieser Weg besonders schwer. Aber er böte eine dringend notwendige Perspektive aus einer Problemsituation, die die derzeit Verantwortlichen nicht verschuldet haben.

Bislang gibt es keinen anderen Vorschlag. Es erscheint sinnvoller, darüber nachzudenken, wie man ihn umsetzen kann, als zu proklamieren, dass er nicht funktioniert.

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